Karl Stauffer-Bern
(1857-1891)
Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
Traumgestalten
1.
Hinter des Kerkers
Gitter
Singt traurig ein Vögelein:
"O Lieb wie bist Du bitter
O Schatz wie bist Du fein.
O könnt ich mit Dir kosen
Und fliegen ins Land hinein - -
Ich sehe ja die Rosen
Nur durch ein Gitterlein!
O könnt ich mit Dir fliehen
Weit über das sonnige Land
Dort wo die Wolken ziehen!
Am fernen Meeresstrand!
Dort wo die Wellen kosen,
Dort wo der Tempel stand,
Als Venus noch mit Rosen
Die Schläfe sich umwand! - -
Es ist so kalt im Kerker
Es flackert das kleine Licht
Ich lösche es aus mit Schmerzen
Doch schlafen kann ich nicht . . .
(S. 345)
2.
Du denkest mein in
Deines Wahnsinns Nacht,
Ein Engel über Deinem Haupte wacht! -
Siehst Du nicht oft in Deiner Nächte Dunkel
Des blanken Schwertes fürchterlich Gefunkel?
Schlaf wohl und höre auf zu weinen, Süße,
Denn lieg ich auch, ein Ritter im Verließe,
Es dringen Strahlen auch in Kerkers Dunkel, -
Siehst Du es nicht, des blanken Schwerts Gefunkel? -
Ich seh' es nicht. Mir ist so weh, so weh . . .
(S. 346)
3.
Und stirbst Du hin
in Deines Wahnsinns Graus
So bau ich Dir ein schönes Todtenhaus
Auf einem Berge in dem dunkeln Hain
Ich will im Tode auch noch bei Dir sein.
Und einen schönen Marmorsarkophag
Den stell ich in den rothen Rosenhag;
Und steigt der Mond am Berge still empor
Dann schwebst Du aus dem kühlen Grab hervor.
Und küssest mir das Herze lang und leis
Und von der Stirn den kalten Todesschweiß
Und steigest wieder in Dein kühles Grab - -
Doch sieh! Der schwere Stein, er ist gespalten
Und durch den engen Riß mit Sturmgewalten
Dringen der Liebe und der Kunst Gestalten!
(S. 346-347)
4.
Was schwebt herein!
Die Thür ist doch verschlossen
Jesus Maria! kam hier wer herein?
Entsetzlich! Oh wer ist in diesem Raum?
Gieb Antwort! - Niemand? Ist wer da? -
Sei ruhig Schatz ich bin's, die Lydia.
(S. 347)
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Es ist so kalt, es glänzt so rein
Der helle Schnee beim Mondenschein
Es steht der Strom, es starrt das Eis:
Wie ist die Nacht so kalt und weiß.
Dort gehen zwei, wer mag es sein?
Beim Mondenschein, beim Mondenschein.
Sie stehn am Strom, es blinkt das Eis:
Wie ist die Nacht so kalt und weiß.
Ein leiser Schrei; es ist vorbei.
Es gingen zwei, es gingen zwei
Wohl an den Strom beim Mondenschein,
Das Wasser mag wohl stille sein
Beim Mondenschein, beim Mondenschein.
Es starben zwei beim Mondenschein,
Ein Knabe und ein Mägdelein
Das Wasser, wird es stille sein? -
Es war am Strom, er war so weiß:
Wie ist die Liebe glühend heiß.
(S. 347-348)
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Und auf dem Berge an dem See
Sahst Du mir in die Augen
Und wo ich bin und wo ich geh
Im Thale oder auf der Höh,
Die Welt will nimmer mir taugen;
Du hast gefangen die Geister mein
Und eingesperrt im Herzen.
O gieb mir wieder die Geisterschaar
Damit ich werde was ich war
Ein Knabe mit frischen Augen.
(S. 348)
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Blümlein wollt ich brechen ab
Ging in einen Garten:
Blümlein roth Blümlein blau
Sagt wer ist die schönste Frau
In dem schönsten Garten?
Knabe, Knabe sieh Dich vor
In dem schönsten Garten,
Hinterm Blümlein roth und blau
Steht der Bauer, steht er schlau,
Will Dich schlau erwarten.
O wunderschlaues Bäuerlein
In Deinem schönsten Garten
Wer mag die Allerliebste sein?
Der wilde Knabe will sie frein
Im allerschönsten Garten.
(S. 349)
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Ein Knäblein hat verloren
Feins Lieb so weiß und roth
Es gellt ihm in den Ohren
Ihr Schrei und Todesnoth.
Wart Lieb ich will Dich rächen
An Deinem Henkerpack
Und auf den Esel schlagen
Und nicht auf seinen Sack.
(S. 349)
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Don chichote
Cervantes, sage an Du starker Held
Wer sind die Narren nun auf dieser Welt
Ist es der Ritter mit der Rozinante
Dem vieles Lesen das Gehirn verbrannte
Der durch die Welt wie durch Romane rannte
Den die Canaille nimmermehr erkannte;
Der seinen Namen schrieb ins Sternenzelt?
Der Alles, alles, alles auf der Welt
Für seine Dame wagte, die bekannte
Prinzessin von Toboso. Es zerschellt
Die Dutzendweisheit aller Automaten
Vor Deinem Genius spanischer Poet:
So lange sprossen treuer Liebe Saaten
Und Schönheit, nimmermehr Dein Ruhm vergeht
Erhabner Dulder! Herrlicher Poet.
(S. 350)
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Es liebt ein Knab ein Mägdelein
Im rosenrothen Maien
Es war so klug, es war so klein,
Da wollt er um die Holde frein
Doch als er um sie worb
Gab sie ihm einen Korb. -
O wonnevolles Mägdelein
O kleines kluges Käferlein,
Es wird Dich noch gereuen
Die Rosen blühn im Maien
Im Maien wird es sein.
(S. 351)
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In ein Stammbuch
Als ich einst um Dich geworben
Ließest Du ein Körbchen schmücken
In dem Lenz wars oder Winter
Complimente wohl geordnet
Eines niedlich nach dem andern lagen drinnen. -
Neulich dacht ich wieder Deiner
Eben als ich aus den Armen
Ueppiger Römerin mich wand.
Man vergißt was einst man liebte
An dem Busen dieser Frauen.
Neckisch küssen sie mich müde
Nimmer lassen mich die Wilden.
Niedlich warst Du angezogen
Niedlich warst Du auch gewachsen
Aber in dem braunen Köpfchen
Mocht es wohl ein wenig spuken:
Uebermuth und weiß ich was noch?
Ei mein kleines kluges Kätzchen
Niedlich warst du anzuschauen.
Eifrig sucht ich zu gefallen
Civettina, deinen Augen;
In dem Herzen nicht vergessen
Lange konnt' ich, bis die Brüste
Antonina's jener großen
Liebeswilden Römerin. -
In den dunkelblassen Armen
Canzonirend, küssend, pressend
Eine Mainacht um die andre
Machte sie mich Dein vergessen.
Antonina, schwarzgelockte,
Numa's wunderbare Tochter,
Neige mir Dein römisch Haupt!
"Nein, Du hast mich nicht vergessen
Niederschwang in Deine Seele
Abendlich zur Dämmerstunde
Melancholisch sich mein Bildniß.
Und Du bliebest sinnend stehn
Eine Weile bliebst Du stehn
Neu erstand in Deiner Seele
Eines lieben Mägdleins Bildniß. -
Canzonirend an dem Strande,
Junge Bursche heiter scherzten
Lieder klangen zur Guitarre
Abendlich am blassen Weltmeer."
Abendlich am blassen Weltmeer
Leise kräuselten die Wellen
In der Dämm'rung sich am Strande,
Canzonirend klang herüber
Eine liebe alte Weise:
Nehmt in Acht Euch, Mägdlein, Mägdlein.
Und verhöhnet nicht die Knaben;
Mancher freite eine Andre
Aus Verdruß und ohne Liebe
Nehmt in Acht Euch Mägdlein, Mägdlein
Nicht zu stolz und nicht zu spröde.
Ach die Reue ist so bitter,
Liebe, Liebe ist so süß,
In dem Herzen, in dem Herzen
Civettinas regt sich etwas
Etwas reget sich im Herzen.
Niemals kehret was vergangen
Ewigkeit hat es verschlungen
Unter sank es in dem Strom -
Mancher freite eine Andre
Neige mir dein römisch Haupt
Numa's dunkelblasse Tochter.
Aus Verdruß und ohne Liebe -
(S. 351-354)
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Lyrischer Dichter Herzen und Sachen
Mit ihren Seufzern und Weh und Achen -
Die Liebe ohne Lendenkraft
Hat nimmer mir Genuß verschafft. -
Zudem ist die Lyrik gar kein Metier
Wie ich an meiner eigenen seh
Sie kommt wie die Liebe und redet in Zungen
Küßt Dir den Mund, ist fortgesprungen!
(S. 355)
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Aus: Karl
Stauffer-Bern Sein Leben /
Seine Briefe/ Seine Gedichte
dargestellt von Otto Brahm
Bei Meyer & Jessen Berlin 1911
Biographie:
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Stauffer-Bern