Edgar Steiger (1858-1919) - Liebesgedichte

 




Edgar Steiger
(1858-1919)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 





Erste Liebe

Das war mein erstes Minnespiel -
Du spieltest's mit dem Knaben.
Du gabst mir Freuden und Leiden viel,
Hab' Dank für deine Gaben!

Ein Händedruck war all mein Lohn
Und deiner Augen Leuchten,
Die mir glückseligem Erdensohn
Zwei flammende Sonnen däuchten.

Wohl hab' ich schon seit jener Stund
Manch köstlich Glück genossen;
Mir ist von schöner Frauen Mund
Viel Heil ins Herz geflossen.

Und doch gedenk' ich jener Zeit
Und an dein Wohlgefallen,
So tönt's, wie durch die Büsche weit
Gesang der Nachtigallen.

Und mich umfängt ein Wonnesein
Und seliges Genügen -
Es ist so schön, im Sonnenschein
Wunschlos im Gras zu liegen.
(S. 4)
_____



Keine Zeile!

Laß gut sein! Wenn dein Brief ihr nicht gefiel,
Was tut's? Ein Ende hat ein jedes Spiel;
Zu langes Plaudern macht' ihr lange Weile.
Vielleicht auch fand sie einen andern jetzt,
Der sich anbetend ihr zu Füßen setzt.
Du tatest's nicht! Ganz recht. Doch - keine Zeile!

Was soll sie schreiben? Daß sie deiner satt,
Daß aus dem Liebesalmanach ein Blatt
Herausgerissen ward in aller Eile?
Ob sie's als Zigarette heut verraucht,
Ob sie's als Lockenwickel gar gebraucht,
Wer weiß? Mir gleich! Und dennoch - keine Zeile!
(S. 19)
_____



Zu Zwei'n

Es dunkelt rings auf allen Wegen.
Du schreitest leicht an meinem Arm.
Wie wiegt dein Haupt sich mir entgegen!
Wie weht dein Odem frühlingswarm!

Gleichgült'ge Worte fallen leise
Wie Regen in der Maiennacht;
Dazwischen klingt die alte Weise:
Gebt acht! Das Herz erwacht.

Da möcht ich dich auf Armen tragen
Und jauchzen weit ins Land hinein
Und dir ins Ohr es flüsternd sagen:
Nun hab ich dich! Nun bist du mein!
(S. 20)
_____



Marianne

Sie gingen alle fort, wir sind allein.
Mein Zimmer liegt in trübem Dämmerschein;
Des Abends Schatten tanzen auf den Dielen;
Nur am zerrissenen Kalkgetünch der Decke
Und in den Spinnwebfäden in der Ecke
Die letzten goldnen Sonnenstrahlen spielen.
Und die verstaubten Scheiben glühn so rot
Wie blindgeweinte Augen. O wie tot,
Wie traurig und wie ärmlich wär' es hier,
Wärst du, mein brauner Krauskopf, nicht bei mir!
Scheu, wie ein Vöglein, das dem Nest entfiel,
Birgst du an meiner Brust dein müdes Haupt;
Das Zittern spür' ich deiner warmen Glieder.
Was bangt dir noch! Wir beide sind am Ziel.
Wie soll's dich reuen, daß du mir geglaubt -
Was schlägst du schauend deine Augen nieder?
Du weinst? Vergiß die jahrelange Qual
Des frühgeknickten Lebens! Ruh' dich aus!
Den Frieden, den dir fremde Sünde stahl,
Ich geb' ihn wieder dir - du bist zu Haus.

Dort steht aus schlichtem Tannenholz der Tisch,
An dem ich manches Briefchen dir geschrieben,
Das irdne Schreibzeug und der Tintenwisch,
An dem ich meine Feder abgerieben.
Und dort die wacklige Kommode hinkt,
So lang' ich mich entsinne, auf drei Beinen.
Gib acht, daß sie nicht ganz zusammensinkt!
Sie trägt nicht allzuschwer an meinem Leinen;
Und die paar Bücher, die ich drauf gestellt,
Ein karger Weisheitsrest aus bessern Tagen -
Sie darf sich drüber wahrlich nicht beklagen.
Die andern sind zerstreut in alle Welt,
Ich mußte längst sie, um nicht zu verhungern,
Eins nach dem andern hin zum Trödler tragen,
Wo sie verdrießlich hinterm Fenster lungern.

Du kummerbleiche Armut, sag': "Wer bot
So trotzig lachend dir die Stirn wie ich?
Wer aß vergnügt ein Stückchen trocken Brot,
Drauf er statt Butter weiche Reime strich?
Du glaubst es nicht? Frag' nur den Kleiderkasten,
Der brummend an der Wand dort lehnt!
Der sah mich Wasser trinken, sah mich fasten.
Schließ auf! Wie leer er dir entgegengähnt!
Nichts hab' ich, außer was den Leib mir deckt,
Und den verschoßnen Schlafrock, der so schmunzelnd
Am Nagel den erbosten Gläubiger neckt.
Selbst der Gerichtsvollzieh'r, die Stirne runzelnd,
Sprach sehr enttäuscht: "Den laß ich ruhig hangen.
Nach solchem Bettel trägt kein Mensch Verlangen."
Und dennoch, dennoch, du, mein junges Glück,
Wirst wie der alte Schlafrock Treue zeigen,
Und holten sie mir alles, Stück für Stück,
Du, dunkle Menschenrose, bleibst mir eigen.
Dein herber Duft erfrischt das müde Sein,
Wie einen Fieberkranken kühler Wein.
Und streift dereinst der Tod mit kühler Hand
Die schweißbedeckte Stirne mir, so werden
Sich über mich zwei nasse Augen neigen,
Und sanft im Kuß erlischt der heiße Brand
Des Lebens, das so glücklich war auf Erden
Und nun sich auflöst in das große Schweigen.

Wohl sagt ihr Herrn, daß alles, alles feil,
Daß Liebe, Unschuld, Leib und Seelenheil
Mit einer Handvoll Gold sich kaufen lasse.
Als Hure geht die Tugend auf der Gasse
Und wirft verstohle Blicke rechts und links
Zur Lust des Promenadenschmetterlings,
Und scheint sie dir den frechen Wunsch zu weigern,
Sie tut es doch nur, um den Preis zu steigern.
Und doch, ihr Herrn, mit allem euerm Gold,
Das flink durch die geschäft'gen Finger rollt,
Eins weiß ich, was euch heut und ewig quält,
Was immer auf der durst'gen Lippe zittert
Und euch den Tag vergällt, die Nacht verbittert
Und noch im Arm des schönsten Weibes quält.
Und dieses Eine, das kein Gold ergattert,
Das höhnisch stets ob euern Häupten flattert,
Das euch kein Gott noch Teufel geben kann,
Ich hab's, ich hab's, ich armer sel'ger Mann!
Denn da, wo Furcht und Hoffnung stets euch plagen,
Kenn ich das Wort, das Glück und Frieden gibt,
Ich weiß und fühl's und darf es kecklich sagen,
Daß mich ein Weib um meinetwillen liebt.

Du hebst die dunklen Schelmenaugen, Kind,
Und lachst vergnüglich. Denkst auch du daran,
Wie mit zerrißnen Schuh'n, bei Nacht und Wind
Dir in den Weg trat der geliebte Mann?
Bei Gott, ein seltsam Stelldichein! Im Teiche
Erglänzte zitternd der Laternen Schein
Wie trübe Ampeln neben einer Leiche.
Da ging ich traurig durch die Schattengänge,
Inmitten all der Fröhlichen allein,
Umschwirrt vom wirren Stimmenschwall der Menge.
Kein Heller in der Tasche. Doch was brauchen
Poeten Geld? Noch blieb mir die Zigarre,
Die letzte, um den Hunger zu verrauchen.
Und wie ich leer ins leere Dunkel starre,
Kommt in das öde Sehfeld plötzlich Leben -
Ein Frau'nbild seh ich langsam drüber schweben,
Und fern am Himmel wie ein Schattenspiel,
Frisch hingeworfen von des Künstlers Kiel,
Des Leibes weiche Linien sich heben.
Da schaut' ich auf, und eh' ein Wort gesprochen,
Da hatten sich vier Augen schon verstanden,
Die sich in dunkler Nacht zusammenfanden,
Um sich zu schau'n, bis sie im Tod gebrochen.

Was ich gesagt, was du erwidert, kaum
Vermöcht' ich's heute dir zu wiederholen.
Es war das Zwiegespräch ein holder Traum,
Forttragend mich aus schnöder Wirklichkeit
Auf sanften Tönen. Nur von Zeit zu Zeit
Ward unliebsam geweckt ich, wenn verstohlen
Dein feuchter Blick an mir herniederglitt,
Mitleidig musternd mein geflicktes Kleid.
Oh, wie der Blick mir in die Seele schnitt!
Nie hab' ich meiner Armut mich geschämt,
Ich wußt' es, daß im schönen Land der Denker
Der Versemacher wird zum eignen Henker,
Und habe nie mich drüber groß gegrämt.
Doch jetzt, da mich dein stummes Auge frug,
Da fühlt' ich, wie der Puls mir schneller schlug,
Wie heiß mir in die Schläfe schoß das Blut,
Die Hand zur Faust sich ballt' in blinder Wut -
Ein Bettler stand ich vor dir nackt und bloß -
Zum ersten Male flucht' ich meinem Los.

Was lachst du, Krauskopf? Wie? Du drohst sogar,
Das garst'ge Wort vom Munde mir zu küssen,
Du meinst, ich müßt' es endlich selber wissen,
Wie's dazumal um dich bestellet war.
Ich weiß, dich drückte ja derselbe Schuh,
Du warst so arm wie eine Kirchenmaus,
Doch einen Pfennig ärmer ich als du -
Nun schaut uns an, ihr Herrn und lacht uns aus!

Ja, lacht uns aus, indes das Dunkel kühl
Sich um die sonnenmüde Erde legt
Und auch um unsres Lagers weichen Pfühl
Die Nacht den keuschen Schlummermantel schlägt!
Wir sind allein. Das weiße Linnen blinkt,
Die alte Wanduhr schlägt die Feierstunde,
Du zitterst mir im Arm, und durstig trinkt
Dein heißer Mund an meinem heißen Munde.
Dein stürmisch Herz fühl' ich an meinem klopfen,
Du schmiegst dich zuckend an und hältst mich fest.
Auf meinen Wangen Deine Tränentropfen -
Komm, Vögelein, ich trage dich ins Nest.
(S. 21-26)
_____



Ein Sonntag

Zur Mittagsstund', da zwischen Dornenzweigen
Die Rose ihre schwülsten Düfte hauchte,
Da fühltest du, wie mit beredtem Schweigen
Mein Blick in deinem selig untertauchte.

Und deines Auges flimmerblaue Wellen
Erzitterten wie unter Ruderschlägen,
Und auf den sonnensprüh'nden Wasserfällen,
Da tanzte deine Seele mir entgegen.

Und wie ich mich in ihrem Glanze sonnte,
Verstummte jählings jeder Wunsch und Wille.
Ich fühlte, daß ich wieder lieben konnte,
An meines Herzens klarer Sabbatstille.

Seit jener Stund', da zwischen Dornenzweigen
Sich unsere mittagstrunknen Seelen küßten,
Da wissen wir, daß wir einander eigen,
Ob wir auch ewig auseinander müßten.
(S. 32)
_____



Letzte Liebe

Abendrot und Morgenrot
Flammen ineinander -
Durch die Büsche schleicht der Tod -
Geh'n wir still selbander!

Noch ein brünstig Stoßgebet
Flüstre liebestrunken!
Wenn dein Licht im Mittag steht,
Bin ich längst versunken - - -
(S. 33)
_____


Aus: Weltwirbel Gedichte von Edgar Steiger
Egon Fleischel & Co Berlin 1916

 


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Edgar_Steiger



 

 


zurück zum Dichter-Verzeichnis

zurück zur Startseite