Adolf Stern (1835-1907) - Liebesgedichte



Adolf Stern
(1835-1907)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 




Nimmer und nimmer vergeß ich den Tag

Nimmer und nimmer vergeß ich den Tag,
So winterlich grau, so nebelumhüllt,
Wo ich einsam, krank und verlassen lag,
Die Seele von dunklen Träumen erfüllt.
Da bist du gekommen,
Leis und beklommen,
In hellen Gewanden, mit strahlenden Mienen,
Mir wie ein Engel des Lichtes erschienen.

Du tratest so lieblich vor mich hin,
Ich fuhr von den Kissen, erstaunt empor,
Dein süßer Anblick berauschte den Sinn,
Dein leiser Gruß entzückte mein Ohr,
Bei jedem Worte
Sahst du zur Pforte:
Ob ich wohl ginge, ob ich wohl bliebe? -
So kämpftest du zwischen der Scheu und der Liebe.

Und wie ich die Hand zum Abschied bot,
Und streifte zitternd dein seiden Gewand,
Eine Blüte dunkel und purpurrot
Du ließest sie fallen in meine Hand,
Dein Haupt sank nieder,
Erhob sich wieder,
Ich fühlte den Kuß wie Heilung der Wunden,
Ich hielt die Blume - du warst verschwunden!
(S. 6)
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Die Abendglocken tönen am Rhein

Die Abendglocken tönen am Rhein,
Der wonnige, sonnige, goldne Schein,
Der in den Wellen verschieden,
Ersteht im Herzen als Frieden!

Die Tale liegen duftig umblaut,
Was pochst du Herz so laut noch, so laut,
Als ob ein Sehnen dir bliebe -
Was wähnst du und träumst du von Liebe?
(S. 6-7)
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Ein heil'ger Becher ist dein Mund

Ein heil'ger Becher ist dein Mund,
Dran zwei Rubinen strahlend winken,
Ich möcht' ihn leeren bis zum Grund,
Und Ruh und Frieden aus ihm trinken.

Wie Christi Tränen klar und rein
Aus des Vesuves Lava blühen,
So ist dein Wort ein Feuerwein,
Gereift an deines Herzens Glühen.

Ein Feuerwein voll milder Kraft,
Der Wahrheit Wort, das nie kann lügen,
O schenke mir den heil'gen Saft,
Laß trinken mich in vollen Zügen!
(S. 7)
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Es sank des Tages Schwüle

Es sank des Tages Schwüle,
Im Dunkel strömt der Fluß,
Er sendet der Wellen Kühle
Auf feuchten Lüften als Gruß.

Die Fliederbäume wehen,
Sie streuen süßen Duft,
Der Mond will auferstehen
Aus blauer Wolkengruft!

Vorbei das Ringen und Tuen,
Gefangen liegt der Harm,
Und träumend darf ich ruhen
Der Nacht und dir im Arm.
(S. 7-8)
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Melusine

Des Knaben Traum verläßt mich nicht,
Die Märe von der Melusine;
Mir ist, als wenn das Mondenlicht
Durch deine Fenster schimmernd schiene.

Ich schau hinein, violenfarb
Kost das Gewand um deine Glieder,
Die Lippen, drum ich flehend warb,
Ich seh sie dunkelblühend wieder.

Doch schwebt ein Lächeln drauf - bei Gott! -
Es liegt das Hassen und das Minnen,
Die Sehnsucht und der bittre Spott
In diesem einen Lächeln innen.

Und bangend frag' ich: Gilt mir das?
Dann muß ich dich auf immer meiden;
Gib ganze Liebe, ganzen Haß -
Doch nicht das Lächeln zwischen beiden!
(S. 8)
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Was stellst du mich auf Scheidewege?

Was stellst du mich auf Scheidewege
Und sprichst so hart von einst und jetzt?
Der echten Liebe, treu und rege,
Ward nie ein Markstein so gesetzt.

Ich hab' in mancher trüben Stunde
Den Tag der Trennung überdacht,
Doch ist in meines Herzens Grunde
Die Liebe immer neu erwacht.

Was könnt' ich tuen? - Wandern, streifen
Durch Weltgewühl und Menschenqual?
Nach bunten Schattenbildern greifen?
Mich bergen in ein dunkles Tal?

Am Ende käm' aus allem Streiten,
Von jeder Täuschung, jedem Glück,
Aus Weltgewühl und Einsamkeiten
Mein Sehnen doch zu dir zurück.

Und ob mich meine Füße trügen
Von Land zu Land, von Meer zu Meer,
Die Sehnsucht nach den teuern Zügen
Verließe doch mich nimmermehr.

Du magst im Augenblick, im bösen,
Mich von dir stoßen in die Welt,
Ich aber will das Band nicht lösen,
Das uns so fest umschlungen hält.

Du könntest mir vielleicht entsagen,
Ich aber ohne dich nicht sein,
Was du auch wähnst in dunkeln Tagen -
Ich war, ich bin und bleibe dein!
(S. 9-10)
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Dein Lieben wird mir zugewendet

Dein Lieben wird mir zugewendet
Wie erster, holder Frührotstrahl,
Den niederwärts der Himmel sendet,
Und dem entgegenjauchzt das Tal.

Sei er ein Bote nun des Lichtes,
Das meines Lebens Zukunft füllt,
Hab ihn ein Nebelheer, ein dichtes,
Nach kurzen Stunden schon verhüllt,

So hat mir doch dein innig Neigen
Gescheucht der Klage trüben Laut,
Daß ewig mir die Nacht zu eigen,
Daß niemals ich den Tag geschaut.

Und möchten ferner mich umwinden
Die Gluten und das Licht zumal -
Nie werde ich sie so empfinden,
Wie jetzt den ersten Frührotstrahl!
(S. 10-11)
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Zum alten Hause

Durch die Gassen bin ich geschlichen,
Wie das letzte Taglicht verblichen,
Zwischen der Nacht und dem Abendschein,
Mit der Erinnrung allein, allein.

Dachte, wie in Hoffnung und Bangen
Hundertmal den Pfad ich gegangen,
Bilder im Sinne, tief in der Brust
Erste Keime der Hoffnung, der Lust.

Ringsum grüßten in grauer Runde
Mich die Häuser zu nächtiger Stunde,
Mahnten an jene Tage mich,
Wo ich nicht vorüberschlich.

Wo ich im Sommersonnengefunkel,
Wie im Sturm und im nächtigen Dunkel,
Hastigen Schrittes den Weg geeilt
Und vor deinem Hause geweilt.

Siehe da stand ich! Die Schwellen und Stufen
Schienen mich lockend nach oben zu rufen,
Aber ich zögerte auf dem Stein
Mit der Erinnrung allein, allein.

Denn kein Ton deiner schmelzenden Lieder
Klang von droben mir heute hernieder,
Und im traulichen Zimmer das Licht
Strahlte durch dieses Dunkel nicht.

Lange, bange hab' ich gestanden,
Hob die Blicke, die unverwandten,
Zu den alten Fenstern empor,
Und die Tränen quollen hervor.

Heilige Tränenflut, löse und wasche
Aller der Irrung Staub und Asche
Von der Liebe, die hier erweckt,
Schirmend sonst mein Leben gedeckt.

Hätte ich jemals träumend vergessen
Dieser Liebe so unermessen,
Heute und hier, in der schweigenden Nacht,
Wär' sie auf dieser Schwelle erwacht!
(S. 11-12)
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Luisella

1.
Denkst du der Mondnacht kühl und klar?
Im tiefsten Dunkel lag der Hag -
Doch in uns glüht es wunderbar,
Und mir im Herzen war es Tag!

Wir fuhren durch das nächt'ge Land
Und schienen auf der Welt allein,
Leis zitternd hielt ich deine Hand
Und scheute selbst des Mondes Schein.

Und ob du kalt nun auf mich siehst,
Ich sah dir doch ins Herz hinein;
Und ob du spröd und scheu mich fliehst -
In jener Mondnacht warst du mein!


2.
Wo ein schimmernder Falter fliegt
Denk' ich an jenen Grund,
Da ich dein Haupt im Arm gewiegt
Und dir küßte den Mund.

Wie ein gaukelnder Falter leicht
Flogst du im Sonnenstrahl,
Neckend, bis ich dich erreicht
Drunten im blühenden Tal.

Leuchtend golden war der Tag,
Hell und sonnig wie heut' -
Wieder hat ein schimmernder Hag
Blüten auf mich gestreut.

Um mich flattert im Blumenring
Blauer Falter ein Heer -
Nur den lieblichen Schmetterling
Ihn erhasch' ich nicht mehr.
(S. 12-13)
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Wie aus dürstender Blüte dennoch dringt

Wie aus dürstender Blüte dennoch dringt
Ein süßer erquickender Duft,
Aus verhallenden Saiten ein Ton sich schwingt
Und voll durchzittert die Luft,

So ringt sich aus Zweifeln, ernst und kühl,
Dir eigen geworden schon,
Das alte volle Liebesgefühl,
Der heilige Herzenston.

Doch sieh: der Duft verhaucht ins All,
Die Blüte stirbt in Glut,
Weit tragen die Winde den flüchtigen Schall,
Die Saite verstummt und ruht.

Doch Herzenstöne, heilig, geweiht,
Sie wecken die Sehnsucht, das Glück,
Sie rufen die alte selige Zeit
Der ersten Jugend zurück!

Und selige Gewißheit bricht
Durch aller Zweifel Not,
Und wieder Herz zum Herzen spricht:
Mein bist du über den Tod!
(S. 14)
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An Jone

Gegrüßt, gegrüßt, ihr vollen Fluten

Gegrüßt, gegrüßt, ihr vollen Fluten
Aus weitem, heil'gem Liebesmeer,
Gegrüßt, ihr Flammen und ihr Gluten,
Ich laß euch nimmer, nimmermehr;
Wer einmal von der Flut getrunken,
Wem von den Flammen nur ein Funken
Ins Herz gesunken, läßt euch nicht,
Strömt über, strahlt mit goldnem Licht!

Gegrüßt, o blaue Lenzeswonne,
O Sommerhimmel, goldig licht,
Gebt unsrer Liebe Duft und Sonne,
Laßt euer ewiges Gedicht
Ins hohe Lied der Gottheit rauschen,
Von Liebesgeben, Liebestauschen -
Die Welt, die Zeit, dahin, dahin -
Ein Sein, ein Herz, ein Kuß, ein Sinn!

Gegrüßt, o Herz, du heißes, wildes,
Zu dem das meine drängend spricht,
Wirf ab die Wucht des spröden Schildes,
Der vor der Liebe doch zerbricht,
Du kannst dich schützen nur im Geben,
Wir können nur im Sterben leben -
Mein Ich, dein Ich - dahin, dahin -
Ein Sein, ein Herz, ein Kuß, ein Sinn!
(S. 14-15)
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Hochflut

Ich steh am Strom um Mitternacht,
Er drängt die Wogen, die vollen,
Durch steinerne Pfeiler mit Macht, mit Macht
Und wirft ans Ufer die Schollen.

Vom Bergland treibt die Hochflut her
Mit mächt'gem, wilden Rauschen,
Sie drängt hernieder, hinab zum Meer -
Ich muß dem Klange lauschen.

Im Herzen braust mir Hochflut auch,
Ich fühle die vollen Wellen,
Den mächtigen eiszersprengenden Hauch,
Das Drängen und das Überschwellen.

Ich hab' dem vollen Klang gelauscht
Und frag' mich frohgemutet,
Woher der Liebesstrom gerauscht?
Wohin er treibt und flutet?

Er kommt, er kommt von dir daher,
Und will bei dir auch schließen -
O wunderbar, daß Quell und Meer
In ein zusammenfließen!
(S. 15-16)
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Vergessen

Aus deinem Auge blitzend klar
Strahlt Licht so unermessen -
Ich hab' die Nacht, die draußen liegt,
Vergessen!

An deinem Busen ruh' ich süß,
Und Friede ist's indessen,
Ich hab' den Sturm, der draußen tobt,
Vergessen!

Aus deinem Munde hör' ich hold
Ein Wort, den Namen wessen?
Den meinen! - und ich hab' die Welt
Vergessen!
(S. 16)
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März

Ich bin bei kühler Morgenluft
Am Strom hinabgegangen,
Noch liegt des Frühlings blauer Duft
Von Nebeln trüb umfangen.

Noch schmückt der März mit Reif die Flur,
Doch aller Zweige Beben,
Und fern im Ost ein Streif Azur
Verkünden neues Leben.

Ich schaute hin zum lichten Ost,
Um den die Nebel zogen,
Und mit dem Blick hat Mut und Trost
Die Seele eingesogen.

Ich dachte dein: denn drängen sich
Auch Nebel um mein Leben,
Ein Gruß von dir, ein Blick auf dich
Muß Licht und Klarheit geben.

Und wie im Ost der Azurblick
Dem Lenz gewiß verbündet,
So ist durch dich ein volles Glück,
Du Wonnige, verkündet!
(S. 17)
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Lenz

Nun klingen durch die Wintergruft
Die Auferstehungsstimmen,
Und Sonnenglanz und Veilchenduft
Die blaue Luft durchschwimmen.

Nun lacht der Frühling siegesstolz
Mit goldnem, goldnem Strahle,
Die Knospe schmückt das dürre Holz,
Es schwillt das Grün der Tale!

Nun wird der trübe Sinn erhellt,
Die Schwermut, nachtumflossen,
Mir ist, als hielt die Blütenwelt
Durch dich mein Herz umschlossen.

So sicher sah ich nie im Grund
Am Hag die Knospen treiben:
Dich hält mein Arm, dich küßt mein Mund,
Und Frühling muß es bleiben.
(S. 17-18)
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Ich schau' in dein Auge voll Glanz und Glut

Ich schau' in dein Auge voll Glanz und Glut,
Und wie ich hinunterseh',
Inmitten des heiligen Lichtes ruht
Ein altes finsteres Weh.

Von Schmerzen ein versenkter Hort,
Viel Tränenperlen so schwer -
Kein Kuß und kein flüsterndes Liebeswort
Hebt sie zu Tage mehr.

So laß mein Lied ein Feuer sein,
Das dir im Herzen flammt,
Da schmelzen die Perlen von dunklem Schein,
Aus Tränen und Schmerzen entstammt.

Sie lösen sich, sie drängen empor,
Sie fließen glühend warm,
Die heilige Tränenflut quillt hervor,
Dich aber hält mein Arm.

Und jeden Tropfen, den du geweint,
Ihn küßt hinweg mein Mund,
Bis Licht und Klarheit dein Auge scheint
Zum tiefsten, tiefsten Grund!
(S. 18-19)
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Auf Erden wird kein Glück geboren

Auf Erden wird kein Glück geboren,
Das gläubig nicht zuvor geahnt,
Doch ward auch keines je verloren
Im Sturme, plötzlich, ungemahnt.

So oft der Groll die Augen blendet,
So oft zwei Herzen er berückt,
Mahnt eine Stimme, gottgesendet:
Zerstöret nicht, was euch beglückt.

Den Klang der Liebe überstäuben,
Sobald ein Zweifel euch ersteht,
Es heißt den Diamant zerstäuben,
Nur weil ein Hauch ihn angeweht.

Zerschlagen hieße das, im Grimme
Die Perle, die ein Stäubchen deckt -
Und euch zu hindern wird die Stimme
In jeder Seele aufgeweckt.

Sie dringt hervor aus Herzenstiefen,
Sie mahnt an Tage goldig licht,
Sie spricht in Tönen, die da schliefen,
O Herz, verschließ das Ohr ihr nicht!
(S. 19-20)
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Über die lauschigen grünen Tale

Über die lauschigen grünen Tale,
Über den rauschenden böhmischen Fluß
Send' ich tausend und tausendmale
Meiner Liebsten Gruß und Kuß!

Seh' ich schimmernd die Berge blauen,
Hell beglänzt vom sonnigen Licht,
Möcht' ich dennoch lieber schauen
Meiner Liebsten Angesicht!

Seh' die Fluren ich neu erwarmen
Und den Himmel so strahlend nun,
Liebste, möcht' ich in deinen Armen
Endlich, endlich wieder ruhn.
(S. 20)
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Geheimnisvoll in dunklen Stunden

Geheimnisvoll in dunklen Stunden,
Erschließt, dem Herzen zum Gewinn,
Sich plötzlich längst verklungner Kunden
Und alter Mären tiefster Sinn.

Ich weiß zu deuten nun die Sage
Von einem Kleinod, dessen Glut,
Verdunkelnd selbst das Licht der Tage,
Im tiefsten Schacht verborgen ruht.

Und wem es schimmert, dessen Leben
Ist seinem Leuchten zugewandt,
Kann er's nicht frei zu Tage heben,
So bleibt zur Tiefe er gebannt.

Du hast das Kleinod! Seinem Strahle
Bin ich gebannt! So führe mich
Zu reicher Welt, zum stillsten Tale -
Doch nimmer, nimmer ohne dich!
(S. 20-21)
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Hell am Felsen die Quelle schäumt

Hell am Felsen die Quelle schäumt,
Blitzend im Sonnenlicht,
Doch die Flut, die innen träumt,
Ahnst beim Quell du nicht.

Hell erglänzt das Gold im Schacht,
Funkelnd hier und dort,
Aber tiefer in Bergesnacht
Ruht ein ewiger Hort!

Hell, als ob der Lenz ihn rief,
Tönt ein Liebesgesang -
Doch wie meine Liebe so tief
Kündet nicht Lied, noch Klang!
(S. 21)
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Hat mich nächtig ein Traum nicht gewiegt?

Hat mich nächtig ein Traum nicht gewiegt,
Dem ich morgens glaube?
Endlich, endlich zur Heimat fliegt
Meine wilde Taube!

Flatterst du nicht mehr von Ast zu Ast?
Willst du endlich erwarmen?
Suchst du einmal Frieden und Rast
In des Liebsten Armen?

Ist vorüber die trübe Zeit,
Die dich mir genommen,
O so ruf' ich voll Seligkeit:
Sei willkommen, willkommen!
(S. 21-22)
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Nicht matter wird der Sonne Licht

Nicht matter wird der Sonne Licht,
Weil Nacht die Erde hüllt,
Und schmettert auch die Lerche nicht,
Sie bleibt gesangerfüllt.

Verstummt einmal mein feiernd Lied
Und schweigt auf kurze Zeit:
Glaub nicht, daß auch die Liebe schied,
Die mich zum Sang geweiht.

Das Licht ersteht in Morgenglut,
Die Lerche jubelt neu -
Mein Lied, o Liebste, das geruht,
Du siehst, es blieb dir treu!
(S. 22)
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Mut, o Herz, verscheuche die Klage

Mut, o Herz, verscheuche die Klage,
Nun uns schimmerndes Grün umlaubt,
Bringen werden die Sommertage,
Was die Stürme dem Lenz geraubt.

Müßten wir darum schon zagen und trauern,
Wenn die Veilchen im März nicht erstehn?
Wenn unter eisigen Regenschauern
Auch die Maientage vergehn?

Die Natur ist gerecht, und sie waltet,
Wie es Fluren und Herzen frommt,
Dreifach schimmernd und duftig entfaltet
Sich der Frühling, der spät erst kommt.

Aller Blüten würzige Hauche
Löst ein Lächeln des Sonnenscheins,
Veilchen am Boden, Rosen am Strauche,
Lenz und Sommer fallen in eins.

Und das Herz in lautem Entzücken,
Jubelt entgegen der wonnigen Zeit,
Wo uns die Blüten der Liebe schmücken,
Während die Frucht des Lebens gedeiht!
(S. 22-23)
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Du blickst mich an so klar und licht

Du blickst mich an so klar und licht,
Mir aber ist zu Sinn:
Du bist es, und du bist es nicht,
Geliebte Zauberin.

Die Augen, die mein Herz berückt,
Ich kenn' sie gut genug,
Doch schau daneben, still beglückt,
Gar manchen fremden Zug.

So wie der Himmel hält zurück
Im Lenz die vollste Glut:
Gabst du nicht alles Liebesglück,
Das dir im Herzen ruht.

Ein Sehnen hat mich tief erfaßt:
Noch ist es nicht zu spät,
Gib, was du mir verborgen hast,
Und was dies Bild verrät!
(S. 23-24)
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Eine Rose glüht im Tal

Eine Rose glüht im Tal,
Glüht in Märchenreichen,
Unter fremdem Sonnenstrahl,
Suchend ihresgleichen.

Während Schmelz und Blütenduft
Bei den Rosen allen
Frei verströmen in die Luft,
Wenn die Blätter fallen,

Schließt die eine, nimmer matt,
Ihres Duftes Wellen,
Ob auch sinke Blatt auf Blatt,
In geheimste Zellen.

Heilig in des Kelches Gral
Bleibt ihr Reiz behütet,
Wenn der Nordsturm durch das Tal,
In den Blättern wütet.

Niemand kennst du, dem in Ost
Solche Blume glühte?
Doch im eignen Leben sproßt
Uns die Wunderblüte!
(S. 24-25)
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Als blinkte ein Stern durch wolkige Nacht

Als blinkte ein Stern durch wolkige Nacht,
Als schiene die Sonne im Ost,
Als wär' eine lockende Mailuft erwacht
In Winterschauern und Frost,

Als schimmerte wieder blau der Fluß,
Der trüb zu Füßen mir schleicht,
So wandelt mir die Welt dein Gruß,
Die Nacht und der Nebel entweicht!

Du kommst! Du kommst! und so frag' ich nicht,
Ob Winter decke den Grund,
Verheißt dein Auge doch strahlendes Licht
Und frische Blüten dein Mund!
(S. 25)
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Es fällt der Schnee so schwer und dicht

Es fällt der Schnee so schwer und dicht,
Es treibt der Strom das Eis -
Der Frühling, Liebste, zeigt sich nicht,
Solang' er fern dich weiß!

Kein frisches Grün den Strom umsäumt,
Kein Knospen schmückt das Tal,
Und bis du kommst, o Herz, verträumt
Die Zeit der Sonnenstrahl.

Die frühste Lerche hält sich still,
Bis dich entzückt ihr Gruß -
Die Blume schläft, die blühen will
Erst unter deinem Fuß.

Der Himmel wird nicht blau allhier,
Bis dir sein Blauen frommt:
Drum kehr, o Liebste, heim zu mir,
Daß auch der Frühling kommt!
(S. 25-26)
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Alp-Ota

Wie strahlte der Himmel so blau und heiß
Hoch über dem Felsenland,
Wie blendend schimmerte das Eis
Der riesigen Gletscherwand.

Wir blickten von der Klippe schroff
Hinein in die Mittagspracht,
Stumm war's - das Harz der Arven troff,
Die Zweige regten sich sacht.

Und wie der Blick vom Strom im Tal,
Der sprühend in Tropfen zerstob,
Sich wieder und wieder zum Sonnenstrahl
Auf leuchtenden Bergen hob:

Da strömte ins Auge die Fülle von Licht,
Und Fülle von Glück in die Brust,
Wir blickten uns an, wir sprachen nicht,
Und schauerten still vor Lust.

Nun steht im Wachen wie im Traum
Die schimmernde Alp vor mir,
Und holdere Wünsche weiß ich mir kaum
Als: wieder dort mit dir!
(S. 26-27)
_____



Mein bester, bester Kamerad

Stets steiler, schroffer wird der Pfad,
Den ich zu lichten Höhen schreite,
Doch bleibst du treulich mir zur Seite,
Mein bester, bester Kamerad.

Jäh schwingt sich um des Glückes Rad,
Doch soll es nie uns ganz entrollen,
Solang' du liebend stärkst mein Wollen,
Mein bester, bester Kamerad!

Wie dünkt mich nichtig, matt und fad
Ein preisend Wort von deiner Treue,
Nur eines klingt mir stets auf neue:
Mein bester, bester Kamerad!
(S. 27)
_____



Längst kam der Frühling, Rosenpracht erglühte

Längst kam der Frühling, Rosenpracht erglühte,
Tau, Sonne, Lenzduft - fühl' ich alles nicht? -
Wohl heg' ich einen Wunsch nur im Gemüte:
Daß neu mich labe deiner Lippen Blüte,
Daß neu erglänze deiner Augen Licht.

Doch fühl' ich jeden warmen Lenzhauch wehen,
Ich schaue gläubig nach dem lichten Tau,
Zu jedem Sonnenstrahle möcht' ich flehen,
Vor jeder Rose bleib' ich hoffend stehen,
Für dich, o Herz, für dich, vielsüße Frau!

Kann nicht der Lenzhauch stärkend dich umweben?
Der Strahl und Tau dir Jugendkraft verleihn?
Der Duft der Rosen nicht zur Ferne schweben
Und neue Rosen deinen Wangen geben? -
Ich schau' den Lenz: doch denk' an dich allein!
(S. 27-28)
_____



Nach Jahren

1.
Ein letzter Vers, mein Herz, mein Lieb,
Auf deinen unbekannten Pfaden,
Von ihm, der dir so viele schrieb,
Von deinem besten Kameraden!

Ruh still und tritt in meinen Traum
Nur licht wie in den besten Tagen -
Und licht in meiner Seele Raum
Laß mich dein liebes Bildnis tragen!


2.
Sie schütten Blumen über mich her -
Mir ist die lichteste Gabe,
Die duftigste Rose, doch nichts mehr
Als Schmuck auf deinem Grabe!

Auf jeden Wunsch verzichte ich,
Tief heg' ich nur noch den einen:
Bevor ich mich bette neben dich,
Mich satt um dich zu weinen!


3.
Ein Kranz aus schlichtem Reis,
Dein geliebtes Edelweiß,
Von den Bergen hoch herab
Trug ich auf dein stilles Grab.

Wieder, stummer Kamerad,
Zog ich Alpenpfad auf Pfad,
Wie mit dir so oft zuvor,
Talentlang und bergempor.

Aber was ich sah und sann
Auf den Wegen - es zerrann!
Blumen nur vom Gletscherrand
Hielt ich fest in meiner Hand.

Und so bring' ich, ohne Laut,
Hell von Tränen übertaut,
Da dein Fuß nun rasten muß,
Deiner Berge letzten Gruß!


4.
Du, die schläft im stillen Raume,
Über den der Efeu webt,
Du, die nur in meinem Traume,
Nur in meinem Herzen lebt,

Sende einen Gruß voll Milde
Aus der grünumhegten Gruft,
Sprich zu mir mit deinem Bilde,
Sprich zu mir im Hauch der Luft.

Unvergeßne, Frühverklärte,
Nimm mein Sein in treue Hut,
Starke, Tapfre, Leidbewährte,
Hauch ins Herz mir deinen Mut!

Kühle lind aus deinem Frieden
Meine Stirn im heißen Streit,
Jeder Kranz, der mir beschieden,
Bleibt, wie einst, auch dir geweiht!
(S. 28-30)
_____



Meta

Hüte, hüte dich, Rose

Wie die Blüte, die rosig licht
Glänzt aus der Blätter Schoße,
Strahlt in Jugend dein süßes Gesicht:
Hüte, hüte dich, Rose.

In des Auges schimmerndem Strahl
Birgst du selige Lose,
Birgst du herzverzehrende Qual,
Hüte, hüte dich, Rose!

Vor dem Wurm, der Blüten zersticht
Unter leichtem Gekose,
Vor dem rings gepriesenen Wicht
Hüte, hüte dich, Rose!

Lieber magst du im Sturm verwehn
Als im sumpfigen Moose,
Wie die Welt dir wünscht, vergehn,
Hüte, hüte dich, Rose.

Nur Gebete sind mir erlaubt,
Innige, wünschelose -
Gottes Segen schirme dein Haupt,
Hüte, hüte dich, Rose!
(S. 30-31)
_____



Gehst du an goldnem Sommertage

Gehst du an goldnem Sommertage
Durch Täler frisch und sonnenhell,
So klingt ein Rauschen aus dem Hage,
Ein Lied vom fernen Waldesquell.

Und welcher Traum dich auch umfliege
Auf solchem grünumhegten Gang,
Du würdest, wenn die Quelle schwiege,
Vermissen doch den fernen Klang.

So hab' ich dir ein Lied zu bringen,
Das ganz dem Sang des Quelles gleicht,
Der kaum vernommen wird im Klingen
Und nur vermißt wird, wenn er schweigt.

Auch sollst du seinem Sinn nicht lauschen
An deiner Jugend goldnem Tor,
Nimm heut' dies Lied wie Wellenrauschen,
Nur leis berührend Herz und Ohr.

Doch wie vom Waldgang heimgekommen
Dich eine Ahnung wohl bewegt,
Als hättest du am Quell vernommen
Den reinsten Ton, den er gehegt,

So rufe auch in fernen Tagen
Dies Blatt erinnernd dir zurück,
Wie heiße Wünsche ich getragen
Für dich, o Holde, und dein Glück!
(S. 31-32)
_____



Rätsel

Dein Reiz, der tränend manchen Blick verhüllt,
Dein Reiz, der sehnend manches Herz erfüllt:

Der uns beglückt wie Licht, wie Blütenhauch,
Wie holder Klang, löst mir ein Rätsel auch:

Ich weiß, warum ich grüßen noch den Tag,
Warum ich ringen, dulden, leben mag.

Weiß ich doch nicht, ob durch der Welten Zahl
Ein Strahl erglänzt wie deines Auges Strahl.

Ein Ton erklingt wie deiner Seele Klang -
Und bin darum vor andern Welten bang!
(S. 32)
_____



Vor heißem Strahl aus wetterdunklem Blau

Vor heißem Strahl aus wetterdunklem Blau
Birgt, in des jungen Rosenkelches Falten,
Am Sommertage sich der Tropfen Tau -
Und hilft der Blume süßen Reiz gestalten:

So möchte ich, was mir im Lied erblüht,
Vor allem Staub und Wirrsal dieser Erde
Hinüberretten in dein rein Gemüt,
Daß es durch dich zu holdem Leben werde!
(S. 32-33)
_____



Im Misoccotale

Rebenumkränzt und rosenumhaucht,
In die Lüfte des Südens getaucht,
Fülle von Blüten, Fülle von Licht -
Aber glücklich die Seele nicht.

Silbern schimmert der Wasser Schaum,
Üppig wölbt der Kastanienbaum
Schattige Zweige über mich -
Aber ich sehe und träume nur dich!

Siehe, mir ist die herrliche Welt
Nur ein Frühling, von Keimen geschwellt -
Daß in Blüten stünde das Tal
Müßte mir glänzen dein Augenstrahl.

Alle der Zauber, berauschend hold,
Dünkt mich ein Becher von leuchtendem Gold -
Aber den Wein auf seinem Grund
Müßte mir spenden dein rosiger Mund!
(S. 33)
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Wohl hast du Seele mir und Sinne

Wohl hast du Seele mir und Sinne
In lichterlohe Glut gesetzt,
Doch nie mit einem Trunk der Minne
Die heißen Lippen mir genetzt.
Du glichst dem Quell in dunkler Sage
Der, wie ihm dürstend naht ein Mund,
Den Strahl, den er gesandt zu Tage,
Im Nu verbirgt im tiefsten Grund.

Und tief im Grunde hört dann rauschen
Der Schmachtende die Fluten hell -
Und bis zum Tode muß er lauschen,
Ob nicht zu Tage springt der Quell!
So muß auch ich mit stummem Flehen
Und darbend, dürstend nach dem Licht,
In dein verschleiert Auge sehen,
Daraus kein Blitz der Liebe bricht!
(S. 33-34)
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Im frühen Dämmerlicht erwach ich trauernd

Im frühen Dämmerlicht erwach ich trauernd,
Denn wieder stand vor mir dein holdes Bild,
In deine Augen blickt ich wonneschauernd,
In meine Arme preßte ich dich wild,
Du sahst mich an, nicht duldend, nicht bedauernd,
Nein glücklich, strahlend, süß und liebesmild,
Und sehnend ruf ich - nun der Morgen graute,
Mich neidisch weckend! - deines Namens Laute.

Und draußen löst aus dichter Nebel Hülle
Der Lenztag sich, und mir nur strahlt er nicht;
Der Äcker Bruch, der Felsen grau Gerülle
Erglänzen hell im roten Morgenlicht,
Den Hag umrauscht des neuen Laubes Fülle,
Das üppig sich um morsche Stämme flicht -
Es taucht die Welt tief in des Frühlings Wellen,
Die neu verjüngend, duftig, sie umschwellen.

Mir aber ist erwacht die holde Sage
Von neuem Leben, hoffend wallt mein Blut;
Im Duft und Äther dieser Frühlingstage,
Im Frühehauch, in Morgenwolkenglut
Möcht ich mich baden, möchte Leid und Klage,
All mein Erinnern in der heil'gen Flut
Wie eine spröde, schnöde Hülle lassen,
Um dich beglückt und hoffend zu umfassen!
(S. 34-35)
_____



Nun legt die scheidende Sommernacht

Nun legt die scheidende Sommernacht
Tauperlen dir zu Füßen,
Mit tausend Rosenaugen erwacht
Der Tag, um dich zu grüßen.

Nun such ich ein Lied vom Lenz beschwingt,
O Holde, zu deinem Preise,
Doch siehe, durch all meine Seele klingt
Die alte, die ewige Weise:

Du wandelst im Grün, so segn' ich das Tal,
Das schimmernd dich umkränzet,
Du wandelst im Licht, so segn' ich den Strahl,
Der dir zu Häupten erglänzet.

Mein Lied hat einen Klang nur und Hauch,
Den einen: Der Himmel behüte
Den Tau des Morgens, die Rosen am Strauch
Und dich, du duftige Blüte!
(S. 35)
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Dürft ich in deinen Locken wühlen

Dürft ich in deinen Locken wühlen,
Dürft ich in ihrer blonden Flut
Die tränenheißen Augen kühlen -
Ein Tropfen wär's für meine Glut:

Doch wer verschmachtend liegt am Wege,
Der späht nach einem Blatt zuletzt,
Das einen Tropfen Tau nur hege,
Der ihm die Lippe flüchtig netzt!
(S. 36)
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Du blickst mich an und mildes Licht

Du blickst mich an, und mildes Licht
Strahlt mir aus holden Zügen,
Doch Frieden, seliges Genügen
Erfüllet meine Seele nicht.

Ich schau ins Auge dir hinein,
Von Glück und Leid zugleich durchschauert,
So wie der Todgeweihte trauert
In seines letzten Frühlings Schein.

Nur Lenz und blühend Leben ist
Dein Blick, dein Ton - doch schwer beklommen
Fühl ich, wie bald die Tage kommen,
Da du - für mich - gestorben bist.

Der Stern der Liebe glänzt auch dir,
Bald wird ob deinem Haupt er leuchten,
Dein Auge wird sich bräutlich feuchten,
Und dunkle Nacht ist über mir.

Du bist beglückt, doch du entschwebst
Für Welt und Himmel mir auf immer -
Drum fallen Schatten in die Schimmer
Der Tage, da du mir noch lebst!
(S. 36-37)
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Seit ich dich liebe, ward das Leben leer

Seit ich dich liebe, ward das Leben leer
Und starrt gleich einer Wüste um mich her.

Das Nachts den Schlaf mir scheucht, dein Angesicht,
Verhüllt mir Tages Gottes Sonnenlicht.

Am Brunnen sitz ich tiefer stummer Qual
Und trinke stündlich seinen bittern Strahl.

In einen Abgrund schaue ich hinein,
So hohl, so lichtlos: niemals wirst du mein!

Doch ob ich Raum und Zeit und Ziel verlor
Durch dich allein, ich seh zu dir empor.

So schaut der Pilger, der im Sand versinkt,
Zum letzten Stern, der ob der Wüste blinkt!
(S. 37)
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Ich las in trüben Tagen

Ich las in trüben Tagen,
In Stunden ohne Ruh,
In deinem Blick ein Fragen:
Wie lange zögerst du?

Ich las ein traurig Mahnen
Zu enden diesen Streit,
Zu meiden deine Bahnen,
Zu scheiden, da es Zeit.

Es steht kein Herd auf Erden,
Der dein ist und auch mein,
Ich kann nicht glücklich werden,
Und du - willst glücklich sein!

Auch wär ich längst geschieden,
Wie mir dein Blick bestimmt,
Wüßt ich, dir brächte Frieden,
Was mir den Frieden nimmt!
(S. 37-38)
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Nimm hin der Blüten frischen Kranz

Nimm hin der Blüten frischen Kranz,
Ich nahm, ich bot sie ohne Wahl,
Scheint mir doch deines Tages Glanz
Zum letztenmal, zum letztenmal.

Die Rosen leuchten auch hinfort,
Und funkeln wird der Sonnenstrahl,
Ich aber höre nur das Wort:
Zum letztenmal, zum letztenmal.

Mein Mund verstummt und mein Gedicht,
So wie die Nacht sich senkt zu Tal,
Du aber wandle hoch im Licht
Viel tausendmal, viel tausendmal!
(S. 38)
_____



Wie ist das Leben bitter arm

Wie ist das Leben bitter arm!
Für so viel Liebe, so viel Harm,
Für so viel Jahre, trüb verbracht,
Für so viel Nächte, schwer durchwacht:
Ein Gruß aus Tränen leis und matt,
Ein Druck der Hand, ein Rosenblatt!

Und doch - die Welle schwillt und treibt,
Wer ahnt, was kommt? wer weiß, was bleibt?
Ob mir nicht nah der Tag gerückt,
An welchem mich allein beglückt
Die welke Rose tief im Schrein
Und jener Tränen Widerschein!
(S. 38-39)
_____



Wie ein Mann an Stromeshelle

Wie ein Mann an Stromeshelle
Trauernd steht und ungewiß,
Weil sein höchstes Gut die Welle
In die feuchte Tiefe riß.

Und er weiß: unwiederbringlich
Ist dahin, was drunten ruht,
Aber dennoch, unbezwinglich,
Bannt es ihn an jene Flut.

Also ich! In jener Stunde,
Die uns schied mit tiefem Weh,
Wußt ich in des Herzens Grunde,
Daß ich nie dich wiederseh.

Aber dennoch hält ein Wähnen
Mich im tiefgeheimen Bann,
Gleich als brächten heiße Tränen
Jemals wieder, was verrann.

Plötzlich, wie aus feuchtem Schimmer,
Strahlt dein lichtes Bild hervor,
Und die Seele glaubt es nimmer,
Daß ihr Kleinod sie verlor.
(S. 39)
_____



Zuletzt

Der Sommer lacht vor meiner Schwelle,
Doch nicht in meiner Seele Raum.
Es hegt mein Herz, bei goldner Helle,
Vom Wiedersehn den Wintertraum.

Denn dich erblicken soll ich nimmer,
Und niemals fassen deine Hand,
Bis einst der letzte goldne Schimmer
Von deinen blonden Locken schwand.

Bis einst der holde Reiz zerstoben,
Der dir mein trotzig Herz gewann,
Bis alles, was der Lenz gewoben,
Der Herbst mit seinem Reif umspann. -

Und weil ich durch das Leben fahre
Im vollen Sonnenschein allein,
So träum ich über ferne Jahre
Mich in des Winters Glück hinein!
(S. 40)
_____



Nach Jahren

Dein Auge hat mir nicht einmal getagt,
Da's tief um mich genachtet,
Du hast mir den Tropfen Wasser versagt,
Da ich am Wege verschmachtet.

Dem Himmel befehl ich dein Geschick,
Sei glücklich! - Ich aber bete,
Daß nicht vor meinen sterbenden Blick
Dein Bild, mich höhnend, trete.
(S. 40)
_____



Margret
Lieder und Tagebuchblätter

Wohl brach dein süßes Neigen

Wohl brach dein süßes Neigen
Des Schmerzes dumpfen Bann,
Doch in mir ist ein Schweigen,
Das ich nicht deuten kann.

Ich weiß nicht, ist's Ermatten
Am wildverworrnen Lauf
Und geht, als Abendschatten,
Der großen Nacht vorauf?

Ich weiß nicht, ob es gleiche
Der Stille vor dem Tag -
Und ob es selig weiche
Bei Licht und Lerchenschlag?

Ich weiß nur, daß es milde
Die Zukunft mir verhüllt
Und doch mit deinem Bilde
Mein ganzes Herz erfüllt.
(S. 43)
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Du trittst so hold, mit leichten Schritten

Du trittst so hold, mit leichten Schritten
In meines Lebens schwanken Kahn,
Dein süßes Lächeln scheint zu bitten:
Nun führe uns des Glückes Bahn.

Ich aber sehe wohl mit Stolze
Die Wimpel fliegen, doch mich preßt
Die Furcht: ist es nicht morsch im Holze,
Und ist mein Arm noch stark und fest?

Ich kann und darf nicht zögernd schwanken,
Wenn du mir lieb ins Auge schaust,
Ich muß aus tiefster Seele danken,
Daß du dich meinem Schutz vertraust.

Und doch - und doch - mir nagt im Marke
Ein schlimmes Wort, bei dem mir graut:
Ach hättest du die leichte Barke
Und ihren Herren nie geschaut!
(S. 43-44)
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Frühlingstrennung

Und ob der Lenzhauch noch so lind,
Der mir die heiße Stirne rührt,
Ich weiß es doch, er wird zum Wind,
Der übers Meer dich mir entführt.

Und ob durch tausend Knospen quillt
Ein junges Leben, blütenvoll,
Ich weiß es doch: die Rose schwillt,
Die ich zum Abschied reichen soll.

Der Frühling ruft: Erwacht, erwacht!
Hinaus ins Leben drängt sein Wort -
Ich wollt', es bliebe Winternacht,
Und wir, o Liebste, träumten fort!
(S. 44)
_____



Nach London

Erster Gruß ins ferne Land -
Sei er dir ein Gruß vom Glücke,
Und zur Heimat eine Brücke
Jeder Zug von meiner Hand!

Noch vom Hauch des Meeres matt,
Der in Wettern dich umflogen,
Siehst du brausen neue Wogen
Und das Meer der Riesenstadt.

Ob dein Auge mutig blickt
In ihr Rauschen, in ihr Grollen,
Aus der Meerflut, aus der vollen,
Schöpfst du nicht, was dich erquickt.

Einen Tropfen, rein und hell,
Send ich dieses Liedes Gabe,
Daß sich deine Seele labe
Aus der Liebe stillem Quell.
(S. 45)
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Wie der Sturm schon herbstlich rauscht

Wie der Sturm schon herbstlich rauscht,
Blatt um Blatt die Farben tauscht,
Kürzer wird der Tage Lauf,
Keimen unsre Blüten auf.

Und sie glühen, duftgeschwellt,
Wenn das Laub, das rote, fällt,
Holder, leuchtender als je:
Rosen - Rosen tief im Schnee!
(S. 45)
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Nun schweigen alle Stimmen

Nun schweigen alle Stimmen
Des Tages um mich her,
Goldwolken seh ich schwimmen -
Sie zogen übers Meer.

Daß still mein Herz sich füge
Der Ruhe ohne Laut,
Hab ich in deine Züge
Zur Gutenacht geschaut.

Dein Auge lacht mir heiter,
Ich segne treu sein Licht,
Und doch - mein Herz pocht weiter,
Mein Sehnen schlummert nicht.

Ich seh im Abendrote
Weit in die Welt hinaus -
Wann kommt ein Friedensbote,
Wann kommst du in mein Haus?
(S. 46)
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Nur einen Strahl

Weil du Herz und Glück
Treu an mich gebunden,
Kehrt ein Wunsch zurück
Innig, tiefempfunden:

Mag des Himmels Wahl
Volles Licht dir spenden -
Mir nur einen Strahl
Deinetwillen senden!
(S. 46)
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Vor einem Bilde

Ich saß für mich, mein Herz war schwer,
Es drang zu mir der Stimmen Schwirren,
Ein Keifen halb, und halb ein Girren,
Sie schwatzten eifrig, hohl und leer;
Die Lichter brannten immer trüber,
Mein Auge irrte durch den Raum
Nach kleinen Bildern wandhinüber
Und weilte dort im halben Traum.

Da sieh - mit einmal wacht ich auf
Und blickte fest auf eine Stelle:
Und Sonnenglanz und Morgenhelle
Und Wald und Berg und Stromeslauf,
Dein süß Gesicht, dein Lächeln milde,
Und deine Hand in meiner Hand -
Ach! alles strahlte aus dem Bilde,
Dem kleinen, an des Zimmers Wand.

Sie war's - gesegnet tausendmal! -
Die Stelle, wo vom Berg wir beiden,
Beglückt, nach langen Trennungsleiden,
Hinabgeblickt ins grüne Tal;
Mir zog durchs Herz ein Ahnen wonnig,
Der hohle Spuk ringsum verschwand -
Wann kommt ein zweiter Morgen, sonnig,
Wann stehn wir wieder Hand in Hand?
(S. 47)
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Friedensschluß

Ach, ich kann den Streit nicht schlichten,
Der an meinem Herzen zehrt,
Ob mein Leben, ob mein Dichten
Deiner jungen Liebe wert.

Aber ehe sie verfließen
Goldne Tage, die du gibst,
Möcht ich vollen Frieden schließen
Auch mit mir, weil du mich liebst.
(S. 48)
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Ich hab dich nicht am Waldesquell

Ich hab dich nicht am Waldesquell,
Im Hage grün und sonnenhell
Und nicht im Lenz gefunden -
Im Strom der Welt, im Irrlichtschein,
Sah ich dir tief ins Herz hinein,
Und ward dir treu verbunden.

Nun reiht sich traumhaft Tag zu Tag,
Und still um uns ergrünt der Hag
Und sproßt der Märchenzauber;
Es rauscht der Quell, die Sonne flirrt
Durchs Laub, und aus dem Laube girrt
Sein Lied der wilde Tauber!

Wir aber ruhn am grünen Ort
Und hüten fromm den goldnen Hort,
Den wir im Kampf gewonnen,
Der Strom braust fern, die Welt ist weit -
Gott schütz uns unsre Einsamkeit
Und unsern Zauberbronnen.
(S. 48)
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Mit Wilhelm Raabes "Wunnigel"

Und nun ich dieses Büchlein halte,
Wie selig überkommt es mich;
Es ist das Buch, das liebe, alte,
So zauberreich für mich und dich.
Es quillt hervor aus seinen Lettern
Erinnrungsglück, Erinnrungsweh -
Mit seinen Bergen, seinen Wettern,
Mit blauem Duft, mit Firnenschnee
Und mit des Weinlaubs roten Blättern
Bei Beaurivage der Genfersee.

Da steht vor uns, was unvergessen,
Neu lebt sie auf, die kleine Welt,
Das Licht, bei dem wir still gesessen,
Da unser Haus ein Wanderzelt.
Kein andrer kann es wissen, ahnen,
Was hell aus diesen Zeilen blickt,
Dich aber mag es treulich mahnen
An Tage, die uns Gott geschickt,
An junges Glück auf fernen Bahnen,
Das unsre Seelen voll erquickt.
(S. 49)
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Zum Geburtstag im Spätherbst

Daß du in Nebeltagen,
Da rauher Herbst es war,
Dein Auge aufgeschlagen
So frühlingsklar -

Daß von des Herbstes Bilde
Nichts in das Herz dir kam,
Und du nur lenzesmilde,
Scheint wundersam.

Doch daß du, Liebste, handelst
Als wie vom Mai geweiht
Und mir zum Lenze wandelst
Spätsommerzeit -

Daß du vom goldnen Tranke
Der Hoffnung neu mir schenkst,
Mein Herz mit Liebesdanke
Zu deinem lenkst -

Das dünkt mich wunderbarer
Mit jedem neuen Jahr,
Als daß kein sonnenklarer
Tag dich gebar.
(S. 49-50)
_____



Ob ich je zum Lichte dringe

Ob ich je zum Lichte dringe
Oder mit gelähmter Schwinge
Früh mich bette in der Erde,
Klanglos, und vergessen werde,

Dennoch will in hohen Weisen
Meines Lebens Tag ich preisen:
Schauen durft' ich helle Sonnen,
Schöpfen aus dem reinsten Bronnen.

Durfte fühlen, daß von Wunden
Echte Liebe läßt gesunden,
Daß sie schenkt aus tiefster Güte
Selbst der Jugend neue Blüte.

Läßt der Tag mich vieles missen,
Du, mein Lieb, mein Weib, sollst wissen:
Lohn des Lebens, Mut zum Leben
Ward mir reich in dir gegeben.
(S. 50-51)
_____



Zwei Blüten

Ich sah im Sonnenglanze
Zwei Blüten, dicht geschmiegt,
Um die mit frischem Kranze
Das Laub, das dunkle, liegt.

Ich sah durchs Grün sie blinken,
Wie ist die Welt so groß!
Ich sah sie müde sinken,
Wie ist so weich das Moos.

Wär' uns dies Loos zu eigen:
Ein Lebensstamm, ein Laub,
Ein Wiegen in den Zweigen
Und eine Rast im Staub.
(S. 51)
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Ich fahre hin in halber Nacht

Ich fahre hin in halber Nacht,
Die Welt ist trüb, das Land ist grau,
Doch leuchtend, wo dein Auge lacht,
Dein Wort erklingt, o goldne Frau!
Du hast mir Trost und Glück
So überreich gegeben -
Nimm keinen Strahl und Hauch zurück,
Es geht um Heil und Leben.

In Morgenstille steht der Hag,
Um den der weiße Nebel braut,
Doch dein gedenkend wird es Tag,
Und Lerchenjubel schmettert laut;
O goldner Tagesschein,
O Lenz und Jugendschimmer,
Er kommt von dir, von dir allein -
O wahr' ihn mir für immer!
(S. 51-52)
_____



Wie sprühende Funken

Wie sprühende Funken
Verstoben in Nacht,
Sind Sterne gesunken,
Die sonst mir gelacht.

Ihr Scheinen, ihr Prunken,
Ich misse es nicht,
Es hat sie getrunken
Ein einziges Licht.

Du weißt, wo es funkelt,
Du kennst seinen Quell,
Und bis es einst dunkelt,
Bewahr' es mir hell!
(S. 52)
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Ich sah im Schlummer Duft und Tau

Ich sah im Schlummer Duft und Tau,
Ich schritt am Bache, lenzbeschäumt,
Erwachend schaut' ich Nebelgrau
Und Schnee, der frisch die Höhen säumt.
Der Tag ist trüb, die Luft ist rauh -
So hab' ich denn, geliebte Frau,
Von dir, von meinem Lenz geträumt!
(S. 53)
_____



Am Neujahrsmorgen 1888

Eh noch die laute, wirr geschäft'ge Zeit
Gemüt und Feder, Liebste, mir entweiht,
Sei, wie ein Sternbild zwischen Tag und Nacht,
In reiner Stille dir mein Gruß gebracht.
Sind wir nur Kinder der Vergänglichkeit,
So sag ich treu: dich lieb' ich allezeit!
Doch sind wir mehr, so schließt dies Wort ja auch
Die Ewigkeit in seinen kurzen Hauch.
(S. 53)
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Du blickst von Felsenschroffen

Du blickst von Felsenschroffen,
Bei wilder Wasser Strahl,
Hinab, und schimmernd offen
Liegt unter dir das Tal.

Du meinst den Hauch zu spüren
Der Blüten, dir vertraut,
Dich faßt mit frommem Rühren
Der alten Glocken Laut.

Du willst hinunterdringen
Auf Tönen und auf Duft,
Und schaffst im Traum dir Schwingen,
Besiegend jede Kluft.

Und wär's auch nur ein Wähnen,
Daß man zu Tal dich rief:
Du segnest unter Tränen,
Was dich beglückt so tief!
(S. 54)
_____



Ich fühl's an meines Herzens Pochen

Ich fühl's an meines Herzens Pochen,
Und immer wieder faßt mich's bang,
Ein letztes Wort blieb ungesprochen
Schon jahrelang.

Ein Dankeswort - es will zutage,
Es ringt nach Lauten stark und mild,
Und sinkt zum Grund, in dem ich trage
Dein liebes Bild.

Es wird auf meinen Lippen liegen,
Wenn sich erfüllt mein letzt Geschick,
Bis dahin, Liebste, glänzt's verschwiegen
In meinem Blick!
(S. 54)
_____



Wohl führt mein Weg zu Tale

Wohl führt mein Weg zu Tale,
Und Abend ward's im Land,
Doch bleibt mein Blick dem Strahle
Des Lichtes zugewandt.

Der Nachtwind regt sich leise,
Doch hört mein Ohr allein
Die tröstlich holde Weise:
Dein Herz, o Herz, ist mein.

Und ob es mählich dunkelt -
Mich dünkt die Nacht noch fern,
So lang dein Auge funkelt
Als hellster Abendstern.
(S. 54-55)
_____



Grenzen der Menschheit

Sie träumen rings um uns von Lenzen,
Wie sie die Erde nie gekannt,
Und höhnen, daß in enge Grenzen
Wir noch gebannt.

Sie künden ein Geschlecht, das Äther
Und Wundertropfen nur sich schenkt,
An Brot und Traubensaft der Väter
Voll Abscheu denkt.

Sie hoffen eine Kraft, die Fernen
Wie Höhen spielend überschwebt,
Sie wähnen, daß zu andern Sternen
Ihr Flug sie hebt.

Sie schlagen unsre Götterbilder
In Trümmer, aber träumen frei
Von einer Zukunft, welche milder
Und reiner sei.

Sie fordern stündlich, daß der dumpfe
Leidvolle Schauer uns durchbebt,
Daß unsre Tage wir im Sumpfe
Noch hingelebt.

Und doch, o Liebste, schaut ihr Wähnen
Einst bettelstolz auf uns zurück,
So sei gewiß: auch dann gibt's Tränen
In Leid und Glück.

Auch dann nur heilt es Erdenwunden,
Daß voller Treue, voll Vertraun
Sich in das Herz zu guten Stunden
Vier Augen schaun.

Und ihren Göttern möge danken
Die Zukunft, wenn ihr nicht entrückt,
Was uns, in unsern engen Schranken,
So tief beglückt!
(S. 55-56)
_____



Am Abend

Daß sich die Schatten länger streckten
Im Lebensweg, dich träf's nicht tief -
Wenn sie nicht auch den Schatten weckten,
Der in der eignen Seele schlief.

Du wähntest ihn im dunklen Grunde,
Drin alles Sein versinkt und schweigt,
Er aber lebt und wächst zur Stunde,
Da sich dein Tag zum Abend neigt.

Er droht den Rest von Licht zu saugen,
Der dich vom Morgen her durchschwellt,
Heil dir, wenn Licht geliebter Augen
Dein dunkelnd Herz dann neu erhellt!

Die Kraft, die selbst dem Sonnenschimmer
Zur Dämmerzeit nicht mehr gewährt,
Die Liebe hat sie ganz und immer:
Die Kraft, die Schatten dir verklärt!
(S. 56-57)
_____



Schwanenflug
Wilhelmsthal, 5. September 1898

Die Schwäne ziehen leise
- Ihr Fittich glänzt wie Schnee -
Die altgewohnten Kreise
Im traumhaft stillen See.

Mit einmal schlägt ein Klingen,
Ein Rauschen mir ans Ohr,
Auf leuchtend weißen Schwingen
Strebt dort ein Schwan empor.

Hoch in das Blau sich heben,
Steigt er, ein lichter Aar,
Und, langsam niederschwebend,
Teilt er die Fluten klar.

Ich hab' ein Offenbaren
In diesem Bild gewahrt:
Von deiner wunderklaren
Lichtschönen Kunst und Art.

Sie hebt ihr hell Gefieder
Empor zu Glanz und Glut,
Und taucht die Seele wieder
In friedlich stille Flut.

Noch eben, Flügel breitend,
Rührt sie des Himmels Saum,
Durch leise Wellen gleitend
Wiegt sie das Herz im Traum.
(S. 57-58)
_____



Wie träumt' ich sonst, in sonnigen Tagen

Wie träumt' ich sonst, in sonnigen Tagen,
Dich liebend immer höher zu tragen,
Du Krone, du Seele meines Gedichts,
Nun ward es Herbst und die Nebel jagen,
Und schwindelnd über die Wolken ragen
Die Höhen des Glücks, die Gipfel des Lichts.

Noch schreit' ich trotzig ihnen entgegen,
Doch fühl ich's leis im Herzen sich regen:
Die Ruhe am Wege sei wonniglich,
Und stärker faßt mich's, als müßte ich hüten
Den Quell im Grund und die Heideblüten,
Und Tage und Träume der Rast für dich.
(S. 58)
_____



Petersthal

Ob ich's gelebt, ob ich's geträumt?
Ach, Herz, ich weiß es nicht -
Ich sehe Berge waldumsäumt,
Ich sehe goldnes Licht.

Ich fühle Morgenhauch im Tal,
Es blitzt im Tau der Hag,
Und hell, wie Tau und Sonnenstrahl,
Glänzt uns des Lebens Tag.

Mein Sinn ist froh, dein Blick ist klar,
Leis geht mit uns das Glück -
Und ob ich's träumte, ob es war,
Nie kehrt es mehr zurück!
(S. 58-59)
_____



Aus dem Laube im Baum

Aus dem Laube im Baum
Nach der schimmernden Wolke,
Nach dem ziehenden Volke
Schaut der Vogel im Traum.

Golden leuchtet die Welt,
Über sich hört er sie klingen,
Doch er hebt nicht die Schwingen -
Ach er weiß, was ihn hält.

An sein Nestchen geschmiegt
Fühlt er sehnend die klare,
Wonnige Lust der Jahre,
Da auch er sich gewiegt.
(S. 59)
_____



Nun

Ich habe dich über alles geliebt,
Du warst mein Wachen, mein Traum und mein Tun -
Und doch, wie arm ist, was Liebe gibt,
Ich weiß es nun!
(S. 59)
_____



Mit den letzten Rosen

Die letzten Rosen in deine Hand
Leg' ich, in Tränen getaucht,
Weiß nicht, in welchem fernen Land
Ihr Duft dich nun umhaucht.

Weiß nur, daß meiner Tränen Tau
An jedem Blättchen hing,
Und daß ich gerne, o goldne Frau,
Statt ihrer mit dir ging!
(S. 60)
_____



Nachklang

Du nahmst der Sonne hellen Schein
In deine Gruft, in deinen Schrein,
Die Ruh bei Nacht, die Lust am Tag,
Und meines Herzens vollen Schlag.

Oft träum' ich, daß du wiederkehrst
Und, was du nahmst, mir neu bescherst,
Du legst mit deiner kleinen Hand
Es still auf meines Lagers Rand.

Dann fahr' ich auf und rufe dich
Und weine nach dir bitterlich,
Und lausche zitternd, tief verstört,
Dem leichten Schritt, so oft gehört.

Ach er verhallt - wie ferne schon!
Ich höre nichts als einen Ton -
Nur eine Weise, selig fromm,
Sie haucht mir leise: komm, o komm!
(S. 60)
_____



Traumlieder

1.
Ein Winterhauch herab von der See,
Novembernebel, rieselnder Schnee,
Auf dunkelnden Wogen eisiger Schaum.
Ich seh es wallen und schweben im Traum,
Und doch - dazwischen lächelt der Tag
Und küßt die Rosen am sonnigen Hag.

Ein Klang schlägt an mein lechzendes Ohr,
Schwillt immer höher zum jubelnden Chor,
Der Klang, der meiner Seele frommt:
Die Liebste lebt, die Liebste sie kommt! -
Doch plötzlich wach ich, verhallt ist der Chor -
Nur heiße Tränen quellen hervor.


2.
Du Blitz am dunklen Himmelssaum
Was deutet mir dein Licht,
Was ist, das von ihr der Traum,
Mich süß durchschauernd, spricht?

Hat mir der Strahl die Gruft erhellt
Die mir zu Füßen starrt?
Und kam der Traum aus andrer Welt
Wo Sehnsucht meiner harrt?
(S. 61)
_____



Ein Ton

Nun frag' ich schon seit Jahren
Den Himmel, Nacht für Nacht,
Auf welchem wunderklaren
Gestirn dein Auge wacht?

Die Rosen, die ich trage,
O Herz, zu deiner Gruft,
Sie schließen meine Frage
In ihren Schein und Duft.

Ich steh' am stummen Grabe,
Und lausche tief und viel,
Ob nicht ein Ton mich labe
Von deinem goldnen Spiel.

Ein Ton der Unvergeßnen,
Den hören wird mein Ohr,
Selbst aus dem unermeßnen
Gewalt'gen Weltenchor!

Ich träume, daß er klinge,
Wenn meine Stunde schlägt,
Und mich auf seiner Schwinge
Zu deiner Seele trägt!
(S. 62)
_____


Aus: Ausgewählte Werle von Adolf Stern
Mit einer Einführung von Gotthold Klee
Erster Band Gedichte
Dresden und Leipzig 1906
C. A. Kochs Verlagsbuchhandlung (H. Ehlers)

 

 


Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Stern_(Schriftsteller)



 

 


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