Christian Graf zu Stolberg (1748-1821) - Liebesgedichte

Christian Graf zu Stolberg



Christian Graf zu Stolberg
(1748-1821)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 

 



Die Blicke
An Dora

Röthliche, goldbesäumte Wolken hüllen
Ihre Stralen nicht mehr! Sie kommt, die Sonne!
Blickt allgütig lächelnde Freud' und junges
Leben hernieder!

Schimmernder blühn die thaubenezten Fluren;
Jedes zitternde Blümchen athmet Freude,
Stralt in Regenbogen die Sonnenblicke
Lieblicher um sich.

Himmlischer aber lächelt mir das Auge,
Ach! das Grazienauge meines Mädchens!
Blicket mild ins Herz mir noch ungefühlte,
Selige Freuden!

Wallendes Leben bebt durch jede Nerve,
Klopft in jeglichem Pulse; frohe Schauer
Strömen in die trunkene Seele namen-
Loses Entzücken!

Aber ach! Wehmut blickt mir oft ihr blaues
Auge! Wehmut und Trübsinn! dann entquellen
Sehnsuchtsseufzer, thaut mir der Liebe Zähre
Ueber die Wange!

Duftige Nebel locket so die Sonne
Aus dem Blumengefild am Sommerabend;
Trübe steigt der wolkige Schleier, träufelt
Labende Kühlung. - -

Blicke mir, meine Dora, blicke Wehmut
Mir ins liebende Herz! Auch sie gewähret
Süsses namenloses Gefühl, der Liebe
Traute Gesellin!

Bis du mir einstens (Ahndung lispelt's leise,
Ahndung, ach! die zur Hofnung noch nicht reifte!)
Bis du Lieb' im schmachtenden Auge, Liebe,
Liebe mir lächelst!
(S. 42-44)
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An die Schwalbe
Anakreons zwölfte Ode

Wie soll ich dich bestrafen,
Du plauderhafte Schwalbe?
Soll ich die leichten Schwingen
Dir kürzen? oder soll ich,
Wie Tereus that, die Zunge
Dir aus dem Schnabel reissen?
Aus meinen schönen Träumen,
Mit deiner frühen Stimme
Mein Mädchen mir zu rauben!
(S. 58)
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An mein Mädchen
Anakreons vier und dreißigste Ode

Ach flieh mich nicht, erblickend
Des Scheitels weisse Locken!
Und ach, weil dir die Blume
Der frischen Jugend blühet,
Verschmäh nicht meine Liebe!
Du siehst ja, wie in Kränzen,
Geflochten unter Rosen,
Die weissen Liljen prangen!
(S. 59)
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An die Unbekante

An's Mägdlein sei dies Lied gericht't,
Die mich nicht kent, und ich sie nicht,
Nicht weis, in welchem Land sie lebt,
Da noch mein Geist sie stets umschwebt.

Wenn ich aus dem Getümmel bin,
Erfüllt sie immer meinen Sinn;
Und wenn ich irre über Land,
Geht sie mit mir an meiner Hand.

Wenns wohl mir wird in Wies' und Wald;
Der Mond durch lichte Wolken wallt,
Erhöht den seligen Genuß
Mein Mädchen mir durch manchen Kuß.

Oftmal, mir selber unbekant,
Drückt meine Hand dann ihre Hand;
Ich fühl's, und seufze, daß ihr Bild
Den heissen Wunsch so schwach erfüllt.

So sehnlich sucht' ich, und so lang'!
Nun wird's im Herzen trüb und bang,
Daß ich das liebe gute Kind,
Das für mich da ist, nimmer find.

Wenn, Beste, du dies Liedchen siehst,
Und dir vom Aug' ein Thränlein fließt,
Und seufzest leis: der gute Mann,
Wie ich ihm nachempfinden kann!

So glaub, daß du mein Mädchen bist,
Das nur für mich geboren ist,
Und liebe mich, und sag es mir,
So eil ich, Beste, froh zu Dir!
(S. 92-93)
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An die Schwalbe
Anakreons drei und dreißigste Ode

Du liebe kleine Schwalbe,
Du kehrest jährlich wieder,
Und baust dein Nest im Sommer.
Wenn dann der Winter nahet,
So fliehst du zu dem Nile;
Doch Amor bauet immer
Sein Nest in meinem Herzen.
Ein Amor ist schon flücke,
Das Ei verbirgt noch jenen,
Und diesem birst die Schale.
Ohn' Ende schallt die Stimme
Der Nestlinge, die pipen.
Die grössern Amorn ätzen
Die kleinen Amoretten,
Und die Geäzten hecken
Geschwinde wieder Junge.
Was soll ich wol ersinnen?
So viele Liebesgötter
Vermag ich nicht zu hausen!
(S. 157-158)
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Amors Pfeile
Anakreons fünf und vierzigste Ode

Der Gatte Cythereens
Nahm Stahl in Lemnos Esse,
Und schmiedet' Amors Pfeile.
Die Spizen tauchte Cypris
In Honigseim; doch Amor
That in den Honig Galle.
Jüngst kehrte Mars vom Treffen,
Schwang seine hohe Lanze,
Und spottet' Amors Pfeile.
Sieh, der ist schwer! sprach Amor;
Du kannst ihn selbst versuchen!
Mars nimt das kleine Pfeilchen
Und lose lächelt Cypris:
Doch keuchend rief der Kriegsgott:
Schwer ist er! Nim ihn wieder!
Doch Amor sprach: Behalt ihn!
(S. 159-160)
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Aus: Gedichte der Brüder
Christian und Friedrich Leopold Grafen zu Stolberg
herausgegeben von Heinrich Christian Boie
Carlsruhe bey Christian Gottlieb Schmieder 1794

 

Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Christian_zu_Stolberg-Stolberg

 

 


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