Bitte eines Liebhabers
an seine junge Geliebte
mit der er
schon einige Zeit versprochen war
Du übertreibst, o Freundin meiner Jugend,
Den Reiz der Schaam und Sittsamkeit,
Und in dem Fieber Deiner Tugend
Betrügst Du Dich um Glück und Zeit.
Wie lange willst Du noch, wie lange
Das treu'ste Band der Ehe fliehn,
Und mir zur Qual im kurzen Uebergange
Vom Fräulein bis zur Frau - verziehn? -
Du hörst mich nicht? Geliebteste! so höre
Doch Deiner ersten Mutter Rath,
Sie, die das Maas der jungfräulichen Ehe
Am richtigsten gemessen hat.
Als sie der Herr mit jedem Reiz umgeben,
Der Dich jetzt schmückt, ins Leben rief,
Bewahrte sie dies jungfräuliche Leben
So lange nur, als Adam - schlief.
(S. 17)
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Das Glück der Liebe
Das Schicksal zeigte mir jüngst auf zween blumichten Wegen
Der Lieb' und Weisheit mir winkendes Glück;
Wähl' Eines! sprach es. - Ich ging sogleich der Weisheit entgegen,
Doch sah' ich immer nach Doris zurück.
Sie ging mir schüchtern vorbei, dem schlauesten Amor zur Seiten;
Er aber, der meine Wünsche verstand,
Wie listig wußt' er sie nicht durch manchen Umgang zu leiten,
Bis sie an meine Seite sich fand!
Jetzt wär' mein Schicksal getäuscht! Mit unaussprechlichen Blicken
Dankt' ich's dem Amor, der mächtiger ist;
Dank sey's dem Amor! - Was gleicht der Liebe sanftem Entzücken,
Das man im Wege der Weisheit genießt!
(S. 29)
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Der Vogelsteller
Die Liebe und der Vogelsang
Sind ziemlich einerlei,
Es lockt der männliche Gesang,
Er lockt - er lockt
Vögel und Mädchen herbei.
Sie achten ihrer Schwäche nicht,
Denn ihre Herzen sind
In jugendlicher Zuversicht
Betäubt - betäubt
Liebevoll, fröhlich und blind.
Zwar bei dem ersten Ausflug ist
Das Vögelchen verzagt,
Hält jeden Laut für Hinterlist
Wohin, wohin
Es seine Flügelchen wagt.
Doch hüpft es bei dem zweiten Flug
Mit jubelndem Geschwätz
Von Baum zu Baum und dünkt sich klug,
Und hüpft, und hüpft
Dem Vogelsteller ins Netz.
(S. 38-39)
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Des Jägers Abendlied
Was such ich in den Wäldern auf?
Ist es das scheue Wild?
Es ruhe! denn in meinem Lauf
Umschwebt mich nur Dein Bild.
O wenn in gleichem milden Licht
Das meine Dir erschien,
Du würdest - ach! Du würdest nicht
Des Jägers Anblick fliehn.
Der von der Sehnsucht Bangigkeit
Ergriffen, und gedrückt
Von Ahndungen, durch Raum und Zeit
Dir nach, zum Himmel blickt.
Er spendet Frieden aus. Warum
Ward nicht auch mir ein Theil?
Ist die Natur für mich nur stumm,
Ihr Gipfel mir zu steil?
Ob schon der Mond die Wolken theilt,
Zertheilt er doch den Schmerz
In meinem Herzen nicht; es heilt
Das Grab nur solch ein Herz;
Das, als es brach, ins Thal der Ruh
Dein Bild hinüber trug -
Und dieses Herz verschmähtest Du,
Als es für Dich noch schlug!
(S. 40-41)
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Aus: A. M. von
Thümmels sämmtliche Werke
Erster Band: Vermischte Gedichte
Leipzig bei Georg Joachim Göschen 1832
Biographie:
https://de.wikipedia.org/wiki/Moritz_August_von_Thümmel