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Anna Versing-Hauptmann
(1834-1896)
Auf dem Balle
Von allen irdischen Genüssen
Im reichen schönen Weltenall,
Von allem Herrlichen und Süßen
Das Süßeste - es ist ein Ball!
Und weil, das ist ja längst ergründet,
Das Süße oft sehr ungesund,
So haben Fromme laut verkündet:
Der Tanz steh' mit der Höll im Bund.
Freund Satan habe leichte Mühe
In jenem gold'nen Lichtermeer,
Im Augenglanz, der Funken sprühe,
Im Duft der Blumen rings umher,
In jenen klaren Luftgewändern,
Aus denen Engelsköpfchen schau'n -
Wer möchte nicht mit Rosenbändern
Gefesselt sein durch Engelsfrau'n!
So sagt die Tante, doch die Nichte
Erwidert: "Ach, das ist ein Traum.
Wer öffnet denn dem schwarzen Wichte
Den duft'gen, lichterfüllten Raum?
Ich bin ein Thomas, muß erst lauschen,
Wie Satan geht, und tanzt, und spricht,
Wie seine dunklen Flügel rauschen
Zur Tanzmusik, sonst glaub' ich's nicht".
Was will die gute Tante machen?
Sie hüllt in Gaze das liebe Kind,
Mit Blumen, Bändern, tausend Sachen
Schmückt sie den Liebling, küßt ihn lind -
Und führt mit heißem Segensworte
Die Kleine in den bunten Schwarm.
Kaum tritt der Engel in die Pforte,
Reicht schon ein Ritter ihm den Arm.
"Wer ist das?" fragt die Tante leise.
'Der Böse!' flüstert sie geschwind.
Schon dreht sie lächelnd sich im Kreise,
Denkt: 'Wenn so hübsch die Teufel sind,
Dann hat es wenig zu bedeuten;
Ich fürchte mich auf keinen Fall,
Find' es ganz klug auch von den Leuten,
Daß sie ihn laden auf den Ball'.
Sie stehen still; mit sanftem Drucke
Löst Hand sich leise aus der Hand.
Klar schaut sie auf im Unschuldsschmucke,
Nicht ahnend, was sein Herz empfand.
Er spricht mit zartem Schmeicheltone
Von Seraph, Himmel, Sang, Musik.
Sie horcht dem holden Höllensohne,
Verlierend sich in seinem Blick.
Dann sagt sie: "Kann man doch sich irren,
Sie sind kein Teufel?" - 'Ich? wie so?
Bin Mediziner'. - "Ganz verwirren
Könnt' mich die Tante, ich bin froh! -
Sie sagt, der Böse suche gerne
Auf Bällen sich die Leute aus -
Allein in Ihrem Augensterne
Scheint mir der Arge nicht zu Haus".
Der Mediziner steht verlegen
Vor dieser zarten Lichtgestalt;
Sein Herz mit überlauten Schlägen
Spricht von der Liebe Allgewalt.
'Ein Teufel? Wenn ich's wirklich wäre,
So sänk' ich reuig vor Dich hin
Und bät': Zieh mich empor zur Sphäre
Der Engel mit dem Engelsinn!'
Frau Tante sieht dem ganzen Treiben
Kopfschüttelnd aus der Ecke zu.
"Sie wird sich sicher ihm verschreiben
Mit Herz und Sinn, mit Glück und Ruh!"
Was nützt da Klugheit? gute Seele,
Weit klüger ist Freund Belzebub -
Mit Lockgesang der Philomele
Er in das Herz sein Bildniß grub.
Zu Hause noch muß Tante brummen:
"Du ungerath'nes, böses Kind!"
Das Mädchen macht sie schnell verstummen;
Man weiß es ja, wie Kinder sind:
'Lieb' Tantchen, sieh, Du bist verblendet
Von Sorge, Mißtrau'n und Verdacht -
Gott selbst hat mir den Mann gesendet,
Der mir die Erd' zum Himmel macht!'
"Ein Mann, und Himmel auf der Erde?
- So schreit die Tante - Ach, mein Gott!
Verirrtes Schäflein von der Heerde -
Treib' mir so Heiligem nicht Spott.
O hättest Du ihn nur gemieden,
Den Ball, mit allem Höllenspuk!
Freund Satan raubte Dir den Frieden
Mit Flammenblick und Händedruck.
"Denn scheint er Dir auch jetzt ein Engel,
Sprich am Altare nur erst: Ja!
Dann zeigt er schon die wahren Mängel,
Steht als ein ganzer Teufel da!" -
'Behüte, Tante, laß Dir sagen,
Nahm einen Engel ich zum Mann -
Müßt' ich kein Herz im Busen tragen,
Wenn er ein Teufel werden kann'.
Gedicht aus:
Deutschlands Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen
der Vergangenheit und Gegenwart
ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o. J. [1895] (S. 107)
Biographie:
Versing: Anna V.- Hauptmann, berühmte Schauspielerin, wurde am 2.
October (nach Oettinger’s Moniteur des Dates am 14. October) 1834 in
Mainz geboren. Ihr Vater war der bekannte Baritonist und Bassist Wilhelm
Versing, ihre Mutter die hervorragende Schauspielerin Auguste Lauber. Im
folgenden Jahre kam sie mit ihren Eltern nach St. Petersburg, woselbst
sie bis 1846 blieb und ihre Erziehung in einem der ersten
Mädcheninstitute erhielt. Schon damals äußerte sie den Wunsch, sich
gleichfalls der Bühne widmen zu dürfen, der aber vorerst noch
unberücksichtigt blieb. Erst als sie dreizehn Jahre zählte, gab die
Mutter den Bitten der Tochter nach und übernahm nun selbst ihre
Ausbildung. Anna debütirte mit großem Erfolge in Olmütz 1849 und erhielt
bald darauf ein Engagement am ständischen Theater in Prag. Von 1850–52
war sie am Theater in Brünn thätig, verließ dann aber die Bühne, um sich
mit dem Buchhändler Hauptmann zu verheirathen und nun ganz ihrer Familie
zu leben. Wiederholt lehnte sie glänzende Anträge, die sie nach Wien,
Berlin und Hannover riefen, ab, bis dann plötzlich (1859) der alte Drang
zur Bühne mit erhöhter Kraft in ihr erwachte. Nach einem erfolgreichen
Gastspiel in Frankfurt a. M. trat sie sofort in den Verband des dortigen
Theaters ein. Ihre Wirksamkeit neben Fanny Janauschek, welche damals in
Frankfurt die erste Rolle spielte, wurde durch diese mehr oder weniger
in den Schatten gestellt, so daß Anna V. ihren Vertrag zu lösen suchte.
Da indeß ihre Bemühungen dieserhalb fruchtlos blieben, benutzte sie die
unfreiwillige Muße, welche ihr die Nichtverwendung in Frankfurt
bereitete, zu Gastspielen in Breslau, Wien, Pest, Brünn, Magdeburg,
Berlin, Leipzig und anderen großen Städten. In Wien, wo sie 1860 im
Hofburgtheater die Jeanne d’Arc, die Maria Stuart, die Adrienne
Lecouvreur spielte, fand sie den ungetheilten Beifall des Hofes und des
Publicums; da sich aber die Kritik ablehnend gegen sie verhielt, mußte
Director Laube unter dem Druck der Presse von dem beabsichtigten
Engagement der Künstlerin absehen. In Coburg, wo ihr Spiel gleichfalls
ungetheilte Anerkennung fand, wurde sie sofort (1861) auf Lebensdauer
engagirt und gleichzeitig zur Vorleserin der Herzogin ernannt. Als sie
aber im Winter 1864/65 einen fünfmonatigen Urlaub zu einem Gastspiel in
St. Petersburg benutzt hatte und nach Coburg zurückkehrte, fand sie die
dortigen Verhältnisse derart verändert, daß ihr das lebenslängliche
Engagement unerträglich wurde und sie ihre Entlassung erbat, die sie
auch erhielt. Sie begab sich zunächst wieder auf Gastspielreisen und
trat dann 1867 in den Verband des deutschen Theaters in Prag, dem sie
bis 1879 angehörte. Sie hatte wohl selbst ihre Stellung erschüttert und
zog es daher vor, Prag zu verlassen. Nachdem sie vorübergehend am Wiener
Stadttheater und kurze Zeit in Hamburg thätig gewesen, wagte sie
schließlich eine Gastspielreise nach Amerika, die ihr aber keine
glänzenden Erfolge, wohl aber manche Enttäuschung eintrug. Heimgekehrt
nach Europa, ließ sie sich dauernd in Prag nieder, wo sie, zurückgezogen
von der Bühne, nur ihrer Familie lebte. Noch hatte sie den Verlust ihres
Gatten zu beklagen, und nicht lange danach, am 8. September 1896, folgte
sie ihm im Tode nach.
Anna V. hat als Schauspielerin die allerverschiedenste Beurtheilung
erfahren, aber gerade diese läßt den Schluß zu, "daß die Künstlerin ihre
Aufgaben häufig befriedigend zu lösen verstand". Unbestritten bleibt ihr
daß Verdienst, überall, wo sie auch immer auftrat, das Interesse für das
classische Drama geweckt oder belebt zu haben. Auch als Dichterin ist
Anna V. hervorgetreten. Schon 1861 gab sie ein Bändchen lyrischer
"Gedichte" heraus, dem sie zwanzig Jahre später ihre "Jugendlieder und
Lebensbilder" (1881) folgen ließ. Ein Band "Novellen" (Aus meinem
Frauenleben. – Die Philosophie. – Carla Colomba) erschien 1866, und ein
Drama "Verwirrt und gelöst" wurde 1877 am Deutschen Landestheater in
Prag aufgeführt.
Wurzbach"s Biogr.
Lexikon I., 155. – Biographisches Jahrbuch und deutscher Nekrolog, 1.
Jahrg. 1896, S. 344. – Böhmens deutsche Poesie P und Kunst, 6. Jahrg.
1896, S. 1313. – Die deutsche Schaubühne, 3. Jahrg. 1862, S. 80 und 7.
Jahrg. 1866, Heft 10.
Franz Brümmer
Aus: Allgemeine Deutsche Biographie
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