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Herwarth Walden
(1878-1941)
Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
Im Geschweig der Liebe
Dem Mädchen in der Frau
Der Frau im Mädchen
Ich wandle durch die Gassen aller Herzen
Mein Fuß stockt an der Kammer
Blut sickert zag
Aus jeder Kammer seufzt ein schweres Schweigen
Und alle Gassen schließen sich zum Kreise
Schmal ist der Pfad, der durch die Herzen führt
Und stockt der Fuß, das Schweigen lockt ihn weiter
Blut sickert zag
Ich wandle schwer und wandle
(S. 5)
_____
Du sollst nicht weinen
Mein Blut träumt still
Meinem Blute lauschen alle Herzen
Alle Herzen schlagen meinem Blute
Alle Herzen weinen meinen Tränen
Mein Blut träumt still
Mein Blut wacht Dir
Du sollst nicht weinen
(S. 6)
_____
Blond scheint Dein Haar
Die Sonne blindet
Leuchte über meiner Liebe
Strahl es über meine Stirn
Ich will Dir meine Blindheit beten
Ein Stern ruht tief in meinem Haupt
Gib ihm das Blondlicht Deines Sonnenhaars
Die Erde dunkelt
Mein Mund schwelgt weich
(S. 7)
_____
Deine Lippen sind zwei Schwingen
Flattern auf und suchen
Suchen
Meine Lippen schwingen Dir entgegen
Flattern auf und suchen
Suchen
Hart stößt der Wind
Zwei Vögel fallen (S.
8)
_____
Baum meines Sehnens
In meine Brust mit Deinen kahlen Zweigen
Ich muß Dich fühlen
Die Nachtigall fliegt auf
Ich halt Dich fest in meinem Fleisch
Baum meines Sehnens
(S. 9)
_____
Dein Leid glimmt still
Und stiller sterben Funken
Und immer stiller schwärzt sich Blatt um Blatt
Mein Haar welkt weiß
Ein Funke zittert
Verblühte Asche gräbt ihn ein
(S. 10)
_____
Singt ein Vogel
Ton klingt auf
Ton der Töne in den Himmel
Wolken atmen auf zur Erde
Bergen tief sich mitten Berge
Oeffnen tief sich bis zur Mitte
Erde atmet
Winde schluchzen
Schluchzen tief den Ton der Töne
Ein Vogel singt (S.
11)
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Nun blühe ich aus tausend Blüten
Nun juble ich aus tausend Herzen
Nun aus tausend Wunden zittre ich
Und es blickt mit großen Kinderaugen
Blüht und jubelt zittert
Zittert (S. 12)
_____
Mein Auge lauscht dem Beben Deines Mundes
Lippen keimen auf und winken
Zögern zagen sehren zehren
Flüchten zwischen weiße Zähne
Bergen schmal sich in die Tiefe
Brennen auf und suchen Dich
Lockt Dein Herz sie tief und tiefer
Blut springt auf
Schwellen herzschwer Deine Lippen
Brandglut sprengt weiße Wände
Deine Lippen greifen Ferne
Meine Augen lauschen hören sehen
Fühlen jagen klagen schlagen
Fallen Dir nieder
Komm (S. 13)
_____
Hilf mir
In der Nacht brennt ein Herz
Laut schreit ein Mund
Dunkel schweigt
Einsam schlägt die Uhr
Hilf Dir
In der Nacht klingt ein Ton
Lechzt Dein Mund
Dunkel leuchtet
Einsam erlischt ein Herz
(S. 14)
_____
Deine Augen springen, zwei Goldbälle, in das Herz meines Hirnes
Heiß sprüht mein Blut ins Gewirr Deines Goldhaars
Dem klingenden Atem meiner Sehnsucht senken
sich Deine aufschimmernden Schultern
Mein Mund umkost Deine Brust, Deinen Leib, Deine Füße
O Du Goldmorgen meiner Abendröte
Mein Kopf ist ein kreisender Stern im Welttreiben
Meine Hände umspannen die Erde
Suchende Kinderarme umklammern meinen Nacken
O Du Abendgold meiner Morgenröte
Welt wirbelt mich durch den Raum
Dein Leib ist die Insel meiner Erde
Dein Haupt ist die Insel meines Himmels
Deine Augen suchen mich in der Welt
O Du Kind meiner Tagnacht
O Du Goldmorgen meiner Morgenröte
Mein Mund umkost Deine Brust, Deinen Leib, Deine Füße
Meine Hände verschlingen sich in das Gewirr Deines Goldhaars
Mein Stern fliegt durch Dich
Reißt Dich hoch reißt Dich auf
Du wandelst gewandelt im Kreis meines klingenden Atems
O Du Kind meines Tagtraums
Neige Dich
Nun mein Stern Dir sich neigt
(S. 15)
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Stolz steht eine blonde Weide am Rand meines Waldsees
Mein Herz ist Gestrüpp urjähriger Bäume
Wild heult im Unterholz mein urerdiges Leid
Hoch in den Wipfeln klingt meine unerdige Liebe
Klingt über den See daß sein Wasser erzittert
Seine Wellen umschmeicheln Dich Du meine blonde Weide
Neigst Du Dich meinem Klingen
Neigst Du Dich tiefer dem Heulen
Lauschst Du meiner Leidliebe
Meinem Liebeleiden
(S. 16)
_____
Meine Finger krallen die Erde
Blut schießt auf
Dunkel dämmert
Dämmer dunkelt
Ein Baum blüht rot aus meiner Handwurzel
Fließendes Gold ist seine Krone
Meine Krone, die ich trage,
Meine Krone, die mich trägt
Fließt ihr Gold über meinen Leib bis zu den Füßen
O Du Goldmantel meiner roten Sehnsucht
O Du Goldschatten meines roten Baumes
Blut schließt auf
Zwei Augen geöffnet dem Blick meiner Seele
Zwei Münder geöffnet dem Ton meines Herzens
Mein Herz tönt
Sterne klingen in seinem Tone
Menschen weinen in seinem Tone
Du aber Du
Du aber sollst lächeln
Fang meinen Ton im Saum Deiner Wangen
Nun klingen Sterne im Kreis Deiner Augen
Nun kreisen Sonnen im Klang Deines Lächelns
Nun weint ein Mensch im Blut Deines Herzens
Hörst Du den Ton dem die Erde erzittert
Fühlst Du das Blut, das die Welt überschwemmt
Meine Stimme ist die Glocke am Erdhimmel
Sie läutet mein Blut ein, daß die Welt überschwemmt
Du aber sollst lächeln
Dein Lächeln ist der Hall meiner Glockenstimme
In Deinem Lächeln blüht das Leid meines Erdschmerzes
Aus Deinem Lächeln strömt mein Blut Dich zurück
Mädchen mit der Goldkrone
Mein Herz schlägt fern
Du aber sollst lächeln
Mir sollst Du lächeln
(S. 17-18)
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Klingt Deine Stimme aus vieler Tage Ferne
Eine silberne Kugel springt auf mein Herz, daß es tönt
Tönt es zurück aus vieler Nächte Ferne
O meine nächtlichen Tage
O meine taglichen Nächte
Mein Herz springt eine silberne Kugel in den Klang Deiner Ferne
Immer läutet der Laut Deiner Stimme zu Dir
Meine Blutwolke jagt meinem Herzen voran
Dein Leib ist meine bebende Erde
Ferne Ferne
Immer läutet der Laut Deiner Stimme zu mir
(S. 19)
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Deine Knie beten
Sanft gleitet meine Hand Dir über Stirn und Haar
Feuer überschüttet Dich
Ich bin der ewigbrennende Baum
Meine Aeste greifen um die Erde
Meine Arme greifen Leere
Meine Arme sind gebreitet
Meinem Feuer flieht die Erde
Mein Mund brennt Feuer
Du Flamme Du die meinem Feuer brennt
Du ohne Furcht Kind meiner Erde
Deine Knie beten (S.
20)
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Meine Arme durchgreifen die Luft
O Du mein brustnaher Stern
Fern
Träumst Du
Mir nur mir
Scheinst Du
Meine Arme durchgreifen die Luft
Strecken sich langbang nach dem Sterntraum
O Du mein brustnaher Traumstern
Meine Arme runden die Erde
Sterntraum gleitet zum Traumstern
Leuchtet mein Herz nun glanzhoch
O Du mein brusttiefer Stern
(S. 21)
_____
Aus meinem Leib blüht eine Eintagsblume
Mein Leib ist gottgesegnet
Mein Leib bebt die Sekunde zur Ewigkeit
Eintagsleben
Alltagssterben (S.
22)
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Schenk mir den Glanz Deines Blondhaars
Schenk mir das Licht Deines Blauauges
Schenk mir den Duft Deines Kußmunds
Schenk mir den Klang Deines Herztons
Schenk mir das Blut Deines Weißleibs
Schenk mir
Schenk mir
Erde such ich im Welttaumel
Entwurzelt wurzle ich im Ueberall
Ich ist Traum
Schenk mir
Schenk mir
Daß ich Dich träume
Daß ich mich träumen kann
(S. 23)
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Ranke am Stamm meines Hartholzes
Tief in die Risse dringt Dein blühender Atem
Rundum schlagen Keime die Augen auf
Grünt mein Stamm nun im Festkleid
Jeder Zweig senkt eine Träne in jedes Auge
Du aber glänzst in grünendem Ahnen
Meine Krone ist über Deinen Morgen gebreitet
Glänzt über Deinen Tag und Deinen Abend
Glänzt über Deine Nacht
Meine Krone schützt Deinen Tag und den Abend
Du aber steigst in Höhe und Tiefe und Runde
O Du meine Ranke im gläubigen Morgen
(S. 24)
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Brüllt die Erde heiß eisern durch viele Rohre
Heiß heiser
Feuer schmettert den Himmel auf
Stahl platzt
Bäume zersplittern die Luft
Herzen zerreißen
Blut schäumt träumende Wasser auf
Dein Auge singt süß
Eine Sonnenblume senkt ihr blondes Haupt
Fruchtbar bar der Furcht
Dein süßes Auge singt Leben
Leises Leben siegsingt über heisere Erdschreie
Eine Kinderträne löscht alle Feuer aus
Eine Kinderträne keimt eine stille Knospe auf
O Du mein Jungkind
O Du mein Jungmädchen
O Du meine Jungfrau
Heult die Erde alle Tode auf
Immer keimt das Leben dem Singen eines süßen Auges
Deines Auges
Eine Sonnenblume senkt ihr blondes Haupt
(S. 25)
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Ich breite meine Arme in die Sterne
Erdwärts sind meine Augen gerichtet
Meine Finger greifen in die blaue Fülle
Erdwärts schwebt ein Stern den ich nicht fasse
In den Himmel breit ich meine Arme
Sucht mich ein Stern
Meine Finger greifen in die blaue Leere
(S. 26)
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Herrlich erblüht der fraulichen Brust eine Knospe
Herrisch erstrotzt Dein Lächeln zagenden Mund
Mein Mund ist ein Krater
Glüht die Knospe verborgen
Lächeln leuchtet über meinen Kopf hinweg
Nacht meines Traumes
Ein Tropfen Tau Deiner Knospe gleitet in meinen Mundgrund
Traum meiner Nacht
Blutglut (S. 27)
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Meine Hand greift sanft
Sand weicht meinen Füßen
Sand mein Gebäude
Sand meine Sonne
Sand meine Erde
Zitternd zagt mein letztes Blut in die Welt
Mein Atem gerinnt
Sand wird mauern
Atem erstickt
Alles blüht
Mein Haar ist bleich
O Du mein liebes Leben
Morgensüße meine Augen
Steine versanden
Sand versteint
Abendsüße meiner Nacht
Blutlos liegt ein Mensch im Sande
Meine Nacht ist mir genommen
Nie ein Morgen mir gegeben
Nie ein Tag hat mir gehalten
Zwischen Tag und Nacht ein schwaches Leuchten
Sand erhebt sich heulend von der Erde
Hände Arme Füße Beine Mund und Augen greifen
Blutlos liegt ein Mensch nun auf der Erde
Meine Liebe ist ein harter Felsen
Wandert der Felsen
Zermalmt
Poltert über mich fort alles zerrinnt
Hält kein Mensch ihn auf
Oben spielt ein Kind
(S. 28)
_____
Verschüttete Augen
Verschüchterter Mund
Verzittertes Herz
Bluthund kauert zwischen Brüsten
Spreizt die Augen
Blühen Vögel heller im Dunkel
Lechzen Zungen süßer am Stein
Duckt sich bäumt sich jagt Nacken herab der Bluthund
Singt ein Kind zwischen Kraut und Unkraut
Zwei blanke Scheidemünzen
Zwei blanke Scheideherzen
Er herzt meine Münze
Kraut zwischen Unkraut münz ich mein Herz
Armer Hund du wirst geschlagen
Reicher Hund du wirst geküßt
Kraut zwischen Unkraut klettert herzdurch
Die Jungfrau blüht
(S. 29)
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Hinten auf der Mondstraße schreiten zwei Füße
an schimmernden Knöcheln
Lärm schwärmt auf
Du Talsanftmut meiner steigenden Berghärte
Rollt Stein auf Stein unter weichen Füßen
Grollt Lärm auf Lärm über heißen Wolken
Staubt Kern auf Kern an schimmernde Knöchel
Ein Ton tropft auf die Mondstraße
Er klingt von Welt zu Welt
Ein Korn zertreten rollt er unter weichen Füßen
Rollt hinab
zerspellt
zerklingt
Eine harte stumme Wand steilt die Mondstraße
Bergt auf sich zum Himmel
Birgt in sich den Himmel
Nun schweigt der Ton von Welt zu Welt
Zwei kleine Füße tanzen an schimmernden Knöcheln
auf der Mondstraße
Schweigen tönt
Klingt
rauscht
schreit
heult
schreit
rauscht
klingt
tönt
hallt
verhallt
Morgen ist es auf der Erde
(S. 30)
_____
Weinen streichelt weite Weiden
Frucht sprudelt auf aus der Wuchtwurzel
Bebende Beeren senken sich sehnend
Sinken schillern im Singen entnieder
Dämmernde Tränen drängen ins Zwielicht
Läuten Freude in schäumendes Heulen
Dumpf vermummt lullt Luft
Erde bebt schwer unterm Kelch der Glocke
Gib mir die Hand eh mich Weinen verweht
Ton poltert drohend
Meine schwärmende Härte härmt sich
höre
hör auf
hör auf mich
eine Welle weht verwelkt in die Welt
(S. 31)
_____
Nun falt ich meine Hände Deinem Schoße
Milliarden Augen glänzen auf der Erde
Milliarden Münder blicken halb geöffnet
Milliarden Leiber tasten ineinander
Die Sucht des Sehnens sucht mundab mundauf
Ich falt die Hände Deinem Schoße
Verstoßen vom Leib der Erde
Verfangen im Weltgeheul
Befangen im Sternenschweifen
Traum bin ich meines Traums
Und falt ich meine Hände Deinem Schoße
Alle Menschen ballen sich zusammen
Alle Menschen sinken zu einander
Ineinander
Dein Schoß ist die sehnende Erde
Ich aber kniee
Bete im Erdgeheul (S.
32)
_____
Im Lächeln Deines Auges spielt ein Blutstropfen
Dein Mund irrt zitternd auf allen Lippen
Wenn sich Dein Mund schließt will ich ihn mir aufküssen
Blind verblendet
Viele Lippen spiegeln sich im Lächeln Deines Auges
(S. 33)
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Ein Lächeln schaut mir in die Augen
Weite gleitet
Kind Du meiner Nähe
Himmel weinen
In der Erde blühen Wurzeln
Lächeln wurzelt
Deine Augen gleiten in die Weite
Ein Lächeln wurzelt
Nähe meiner Weite (S.
34)
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Deine Knie ruhn in meinen Händen
Sind meine Hände zwei Dolden die sich müde schließen
Nun glänzen Deine Knie sanfter in ihrem Abend
Zitternd hauchen ihre Kehlen den Traum meiner Nacht
Meine müden Hände
Breiten sich meine Hände unter dem Knien Deines Betens
Beugen sie sanfter dem Hauch Deiner Weichmut die Spitzen
Ruhen Deine Knie im Geklang ihrer Adern
Nun ruht Deine Ehrfurcht in schimmernden Dolden
Bebt
bebt ab und auf
Blüht
blüht auf
glüht
glutet
Geliebte
Um Deinen Glauben ist meine Liebe
verschlossen gebreitet
(S. 35)
_____
Willst Du mich verlassen
Lassen
Laß mich
Nimm mich
Nimm meine Hand auf Deinen Schoß
Irr ich sinnlos sinnvoll zwischen Sinnen
Mein Herz ist ein frierendes Kind in der Dämmerung
Fällt es im Hunger über Wurzeln
Greift es verblindet in das Dunkel
Sucht es verblendet den Schoß der es aufnimmt
Nimm meine Hand des frierenden Herzknaben
Entwurzelt lieg ich neben der Erdmulde
Der Ruf versiegt
Mein Ruf versagt
Laß meine schweigende Hand auf Deinem schwingenden Schoß
Dämmerung ist es
Nun schwindest auch Du mir ins Dunkel
Nun willst auch Du mich gelassen verlassen
Lassen
Nun schwebt meine Hand blind hart über Erde
Die Erde wacht
Die Hand verweht
Der Ruf verhallt
Geliebte (S. 36)
_____
Und im Schreien meines Blutes
Und im Schreiten meines Blutes
Und im Bluten meines Schreiens
Und im Bluten meines Schreitens
Wandelt still ein Klingen nahen Morgens
Schlicht bricht Licht aus Qualgedunkel
Berge atmen Steingesprenkel
Ist der Tod nun meine Liebe
Hin zum Tod sprengt auf die Hoffnung
Hin zum Tod springt her die Liebe
Steine atmen Berggedunkel
Steine atmen
Schlicht bricht Licht
Steine atmen
Licht zerbricht
Und ein Funke streift die blinden Augen
Blindgeblendet
Blindverblendet
streift der Funken Funke streift
Steine atmen nahen Morgens
Gib den Funken mir der Blendung
Gib das Licht mir der Verblendung
Ich bin der Berg seine Steine atmen
Gib mir den Funken hin zum Tode
Zum Tode hin am nahen Morgen
Aus dem Schreien meines Blutes springt der Funke
Aus dem Schreiten meines Blutes funkt die Flamme
Steine atmen
Schlicht bricht Licht
Gib mir den klingenden Funken im Bergabgedunkel
(S. 37)
_____
Oeffne den Kelch meinem schwebenden Blute
Nacht scheint
Nacht hellt auf das Tagesgedunkel
Kniest du mit verschüchtertem Auge
Zittern schwingt im engenden Raume
Zittern klingt im drängenden Raume
Zittern schwirrt im raunenden Raume
Nacht scheint hell
Oeffne die Knie meinem schwebenden Blute
Raum bricht auf
Streift meine Hand dein verschüchtertes Auge
Pressen die Arme den Raum in die Zeit
Dunkel funkelt
Blut verzittert
Nacht verwittert
Tag stiert in verschüchterte Augen
Die Erde rollt (S.
38)
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Erde meiner Sehnsucht
Viellose Träume umleben Dich
Aber mein Herz stockt im Wachtod
(S. 39)
_____
Schweigen horcht auf
Augen senken sich in Schweigen
Augen schlagen auf im Hören
Augen brennen in das Schweigen
Augen brennen auf das Schweigen
Augen hören
Augen tönen
Schweigen zittert
Kommst Du weit her
Kommt Du aus dem Espenwald
Der Himmel schmiegt sich dichter hinieder
Augen atmen
Augen brennen unter dem Abhang
Schweigen horcht auf
Abend
Schweigen küßt unter dem Abhang
(S. 40)
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Arme liegen sanft auf Schultern
Dunkel
Augen schauern
Brüste küssen
Zucken zücken
Atem weht
Süß glüht blühend die Blüte
(S. 41)
_____
Fern blühen Deine Augen
Fern
Weit hinter den Nächten
Blühen still Leben zwischen Sterben
Blühen stiller Sterben zwischen Leben
Blühen Sterne in die Nächte
Augensterne
Nacht schmiegt sich an Nacht und Nächte
Atmen tief und an und auf
Atmen hoch und fern und nah
Augen sternen tagversonnen
Leben verschmiegt sich nachtversehnt
O Deine Augen
Zwei ruhende Sterne über kreisender Erde
Fern (S. 42)
_____
Dieser Erde falt ich meine Hände
Deine Augen glänzen in die Weite
Strahlen spielen um gebundne Faust
Meine Knie furchen tief den Boden
Senken sinken
Aehren küssen meine Haare
Meine Sehnsucht springt aus schweigender Nähe
Die Luft verbrennt unter tonlosen Flügeln
O Du mein Abendvogel im Mittag
Erdversunken falt ich Dir meine Hände
(S. 43)
_____
Komm meine Amsel aus dem Getrabe der staubigen Landstraße
Schwer bläht der Stern sich den vielen Füßen entgegen
Schlappend umschlottert ihn erdmüde Wanderer
Nimm mich ins Gekling deines zagenden Schwebens
Sterne verwolken
Wolken senken
Senken
Sinken
Singt das Herz über die Landstraße
Senkrecht Tropfen auf Tropfen
Tropfen gesunken auf Tropfen
Deine Flügel zwitschern auf zum Abglanz des toten Sternes
O meine Amsel über zerweinten Wolken
Steinumgangen
Weiter und weiter weitet sich weit der Weg
(S. 44)
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Jubelnd neigen meine Arme sich zu heben
Dich zu tragen
Meine Arme sind bittende Kinder
Meine Arme tragen die Erde daß sie sich hebt
Meine Arme heben die Erde aus ihrem Kreisen
Meine Arme sehen das Schweigen
Spielende Kinder sind meine Arme
Spielen ein Lächeln auf den Saum deines Mundes
Säumt dein Mund im Lächeln des Spieles
Versäumt dein Mund das Spiel meines Lächelns
Nun sind meine Arme traurige Kinder
Meine Arme sinken im Säumen deines Mundes
(S. 45)
_____
Der Abend atmet schwer in die Nacht
Vögel schwärmen
Heimlich senkt sich der Himmel
Lüfte raunen
Blüten schließen die Kelche
Oeffne dich
Immer kreise ich um den Erdrand
Jage den Tag über Stunden zum Abend
Jage die Nacht über Stunden zum Morgen
Kreise die Erde die mich kreist
Ueber mir Himmel und unter mir Himmel
Träume ich den Tag zur Nacht weckt mich die Nacht zum Tag
Heimlich senkt sich der Himmel tiefer
Wölbt sich tiefer
Unheimlich kreise ich um die Wölbung
Tagentschlossen
Nachtverschlossen
Oeffne die Hand daß sie mich halte
Stoß mich hinab daß ich falle im Kreisen
Gib mir die Hand daß ich liege und ruhe
Gib mir die Erde
Ich schenk dir die Welt mit allen Gestirnen
(S. 46)
_____
Herzen zittern im Geschweig deiner Augen
Eine Lerche hebt die beiden Flügel weit zum Himmel
Alle Bäume neigen die Köpfe zusammen
Grünrieselnde Luft
Moos glüht
Herzen springen zu Stein von Stein
Herzen fallen ins Moosglühen
Aber mein Herz zaudert im Geschweig deiner Augen
Aber mein Herz glüht die neigenden Bäume auf
Aber mein Herz breitet die Flügel auf zum Himmel
Sucht mein Herz den Ton deines Schweigens
Sage
Mein Herz zwitschert im Vormorgen
Mein Herz saugt den Schrei alles Hallenden
Alles Verhallenen
Alles Verhaltenen
Mein Herz hält den Schrei daß er tonhell zwitschert
Mein Herz schwingt Verhalten
Blut rauscht auf daß der Himmel glüht
Mein Herz ist eine Träne im Geschweig deiner Augen
Fällt sie zu Boden tief ins Moosglühen
Nun ist sie ein Stein im Spiel der Herzen
Zu Stein von Stein
Verloren
Sucht nun dein Auge im Geschweig meines Herzens
Alle Himmel glühen
Deine Augen leuchten durch alles Glühen
Suchst Du mein Herz im Glühen des Schweigens
Alle Herzen zittern
Aber mein Herz ruht tief im Geschweig deiner Augen
(S. 47)
_____
Deine weiße Haut schimmert im Sterben meiner Augen
Morgenglanz meiner Abendsehnsucht
Ich aber springe über das Gewölk meiner Tage
Ich aber taumle im Geheul meiner Sinne
Deine weiße Haut leuchtet in meine Wirrnis
Wölben deine Schenkel sich in nehmender Abwehr
Blickt dein verschlossenes Auge in meine geöffneten Glieder
Dein Leib blüht im Sterben meiner Augen
Dein Leib atmet dem Stürmen meines Blutes
Gib mir den Kelch im Sterben meiner Augen
Blind laß mich in deinem Schoße weilen
Aus Nacht verstoßen in dir geborgen
(S. 48)
_____
Schwebend schließen sich deine Lippen
Mein Auge senkt sich auf dein Knie
Das Weinen wimmert weh im Raum
Herzen stocken
Mein Auge sinkt in dein Knie
Versunken schweben deine Lippen
Verschwebend sinken deine Lippen
Mein Auge schwebt auf deinem Knie
Und deine Lippen zittern schwebend
Mein Auge ruht auf deinem Knie
Und deine Lippen schweben offen
Mein Auge zittert auf deinem Knie
Und deine Lippen öffnen zag sich
Mein Auge weint auf deinem Knie
Und deine Lippen öffnen jäh sich
Mein Auge bricht auf deinem Knie
Und deine Lippen küssen spät mich
Mein Auge schweigt
Tränen schweben im Raum
(S. 49)
_____
Wenn mein Schrei aufjagt zu den flüchtenden Sternen
Höre du
Höre nicht
Mein Herz blickt klingend am Hang deiner Brüste
O ein Jubel bricht meinem Schrei entgegen
Bricht meinen Schrei, daß er tönt
Sterne zittern vor dem Hügel deines Leibes
Jagen in den geöffneten Abgrund
Bergen sich geborgen im Pochen deines Herzens
Nur meine Augen jagen noch über die blühenden
Hügel deiner Schenkel hin über die Ebene
deines Nackens hin über die Dolde deines
Halses über die Blüte deines Mundes hin
zu deinen Augen
O deine Augen sind zwei Sonnen versonnen
unter dem Gelock deines Strahlhaars
Zwei Kinder spielen am Waldrand
Vier Augen scheinen auf die Welt
Vieler Augen scheinen
Alle Augen scheinen nun dein Herz mir scheint über die Welt
(S. 50)
_____
Morgen tragen die Tannen glitzernde Dolden
Vielviele Tonscharen tanzen zu ihren Häupten
Um ihre Stämme schmeichelt sich Flieder
Viele Sonnen breiten sich ihnen zu Füßen
Sterne lächeln
Dein Mund blickt in die Weite
Vielleicht vielschwer
Träumt dein Mund Erde
(S. 51)
_____
Weiche ich meiner Weichheit
Dumpf schrumpft Kraft verballt
Sehnen zieht über die Länder die Wasser
Hände gleiten haltlos ins Gedorn
Füße schleppen Felsgestein am Hacken
Weit hinter Gelände und Gewässer blicken deine Brüste
Meine Augen hören deine Münder
Nur mein Herz springt über Gründe und Abgründe
Nur mein Herz schwingt jubelnd über Berge
Glüht mein Herz im Geäder deines Leibes
Aus meinen Händen wachsen spitz die Dornen
Bis an die Knie zerbluten meine Beine im Gestein
Heulend rollt meinem Atem dein Herz nach
Dunkel birgt die Wunden
Weich scheint dein Leib im Gebleich des Leids
(S. 52)
_____
Sink ich in die Schluchten deines Leibes
Mein Blut schluchzt über weiche Hügel
Mein Mund trinkt deinen Atem
Sanft hallt ein Laut
Nacht sonnt sich zitternd im Schillern deiner Glieder
(S. 53)
_____
Komm birg dich tiefer in meinem Schrei
Meine Lippen tanzen dir über Rücken und Hüfte
Meine Lippen sind jubelnde Vögel
Nun zagen sie über geschlossenen Augelidern
Nun flattern sie über geschlossene Schluchten
Nun schwingen sie in die Ferne
Nun schwingt ein Schrei in den Tag über Nacht
Schrei verzittert
Birg dich näher in meinem Schrei
(S. 54)
_____
Ein Tropfen zittert in den Urwald
Aus zagem Dämmerdunkel rauschen Windschwingen
Geliebte meiner süßfernen Nächte
Alle Zweige atmen trunken im Gedursten brennender Kühle
Birg mich im Schweigen deiner schimmernden Schenkel
Bergen sich Berge
Zittert talverborgen ein Tropfen
Schwingt im Gezweig das Zwitschern des Wildvogels
Deine Brüste aber fluten zurückhin
Dämmert der Tropfen erdgefangen
Erdbefangen
Schreit der Wildvogel still in den Urwald
Stillt der Wildwald aufgeschluchzt Tropfgeblühen
O du mein Stromtropfen
Bergverspalten talverborgen atme Dich ich
(S. 55)
_____
Arme sinken
Schrei heult auf
Finger klammern
Reißen Blut daß es fernhoch springt
Augen suchen
Arme schwanken
Augen tasten
Arme gleiten
Augen sinken
Arme runden schwellen kreisen
Augen zittern
Arme blicken
Augen weiten Lippen weiter
Lippen heben schweben gleiten
Lippen sinken
Blutversunken
Glieder schweifen
Glieder greifen
Augen schweigen
Herz verschlägt
Augverschlossen
Nun sieht Blut (S.
56)
_____
Blitze brechen aus dem Gewölk fahler Stunden
Erde wirft sich hinauf
Brüste klingen Glocken aus Tulpenblätter
Berge blühen
Bergen mich
Birg mich im Getön der Tulpenblätter
Blitze sinken in den Mund deines Leibes
Atmet die Luft schwingend Donnerwellen
Schwingen Lüfte donnernd Sonnenstrahlen
Netzen die Wasser glühende Erde
Nun schwärmt ein siebenfältig Leuchten vom Himmel
Düfte schwärmen
Sanft träumen Schleier über Augenlider
(S. 57)
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Und wenn die Erde weinend bebt
Ein Vogel flattert von Träne zu Träne
Hier steht ein Stein aus Tränen gerichtet
Zu Stein verdichtet
Hier ruhn die Träume im Flügelschlag
(S. 58)
_____
Mein Herz horcht auf
Zag
Zagend schließt mein Herzblick sich um deine Gelenke
Ergriffen schwanken deine Knöchel
Deine Brüste atmen weit befangen
Hände gleiten
Gleiten tasten
Tasten streifen streichen streicheln
Hände jammern klammern krampfen kreisen
Blicke jagen
Jagen Blicke blicken Hände
Hände blicken
Brüste brüsten sich entgegen
Verwegen
Wegen wiegen wogen wagen
Hände rasen Hände rasten
Schenkel schwingen schwellen schweifen
Schenkel schweigen
Zittert ein Tropfen im Kelch verborgen
Mein Herz blickt auf
Birgt sich ein Tropfen unter deinem Lid
Schimmert zur Träne geweitet auf deine Braue
Sinkt auf die Tulpe deiner Brust
Tiefer stürzt er in den Kelch deines Leibes
Beben schmiegen
Geliebte (S. 59)
_____
Aus: Im Geschweig der
Liebe. Gedichte
Herwarth Walden
Verlag Der Sturm Berlin W 9 / 1925
Biographie:
http://de.wikipedia.org/wiki/Herwarth_Walden
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