Frank Wedekind (1864-1918)- Liebesgedichte

Frank Wedekind



Frank Wedekind
(1864-1918)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 



 



DIE VIER JAHRESZEITEN

Die Jahreszeiten

Genieße, was die Jahreszeit mit sich bringt;
Radieschen, Erdbeeren, grüne Erbsen und Pflaumen!
Was der Verändrung in Sonne und Luft entspringt,
Ist stets das beste für deinen gebildeten Gaumen.

Radieschen knackt man, wenn man noch jung und keusch
Und sich noch die ersten Zähne nicht ausgebissen;
Die prallen Bäckchen zerbersten mit lautem Gekreisch,
Die Zunge schwelgt in unsäglichen Bitternissen.

Erdbeeren aus Wald und Garten, wie duften sie fein,
Die großen voll Saft, die kleinen sind mir noch lieber.
Ich mache sie trunken zuvor mit gezückertem Wein,
Pechvögel nur erkranken am Nesselfieber.

Die grünen Erbsen brauch ich schon gar gekocht.
Die tolle Jugend allein frißt sie aus den Schoten.
Ich habe sie stets nur gepfeffert zu kosten vermocht,
Und neuerdings auch hat sie der Arzt mir verboten.

Die üppigen Pflaumen des Herbstes genieß ich fast nur
Als Mittel zum Zweck bei unbehaglicher Stauung
Im Unterleib statt Karlsbader Brunnenkur.
Es gröhlen die Därme im Chor den Gesang der Verdauung. -

Noch manches wäre notwendig hier beigedruckt,
Wie Mammut-Trüffeln, die aus Thessalien stammen;
Doch hab ich den ganzen Hymnus schon vollgespuckt,
So läuft mir dabei das Wasser im Munde zusammen.
(S. 6-7)
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FRÜHLING

FELIX UND GALATHEA

Fragment

Den Sommer 1881 verbrachte ich infolge einer Rippenfellentzündung nicht auf dem Gymnasium, sondern in meinem Elternhaus. Ich fürchtete sehr, mich zu langweilen, und beschloß daher, ein Schäferleben zu führen. Ein Milchmädchen war vorhanden. Unsre drei Eselinnen, auf denen wir in früheren Jahren geritten hatten, mußten als Schafe herhalten. Ich besang meine Umgebung mit dem einzigen Zweck, meine siebzehnjährigen Kameraden, sobald ich wieder unter ihnen sein würde, an unsern ziemlich häufigen Kneipabenden mit meinen Versen zu unterhalten. Das Heft, in dem das ganze Schäfergedicht enthalten war, hat in späteren Zeiten einmal ein Freund in Verwahrung genommen und verloren. Vor mir liegen einige Fragmente, die mir trotz ihrer äußersten Anspruchslosigkeit lieb geblieben sind.

Präludium
oder wie ein schönes Lied in einer schönen Situation entstanden ist

Es graut der Morgen und die Sterne sinken,
Bis alle in der kalten Flut ertrinken.
Die große Sonne majestätisch brennt
Schon feuerrot am fernen Firmament.
Kalliope, die schönste der neun Musen,
Erhebt sich in der goldnen Strahlen Schein
Von ihrem Lager, und ihr stolzer Busen
Saugt lechzend frische Morgendüfte ein.
Noch ganz entkleidet, ohne mit den Reizen
Der hohen göttlichen Gestalt zu geizen,
Tritt sie hinaus ins Freie der Natur.
Aus ihren großen, dunkelblauen Augen sprühen
Schon wieder neue, wunderbare Phantasien,
Und ihr Gedanke folgt der irren Spur
Der teuren Helden, die sie zu besingen
Die straffgespannten Saiten läßt erklingen.
Des Waldes dunkle Kühle nimmt sie auf,
Und folgend eines Baches klarem Lauf
Gelangt sie rasch mit zielbewußtem Schritte
In ihres Reiches unwegsame Mitte.
Hier läßt sie sich auf einen Baumstumpf nieder.
Im weiten Umkreis herrscht das tiefste Schweigen
Bis auf ein Wispern in den höchsten Zweigen,
Bis auf das Felsenecho ihrer Lieder.
Die Strahlen schießen senkrecht nun herunter,
Die ganze Schöpfung, eben noch so munter,
Erschlafft im Zittern ausgegossner Gluten.
Kalliope tritt an des Baches Rand,
Sie legt die goldne Laute aus der Hand,
Sie steigt hinab in die kristallnen Fluten.
Die Wasser kommen zögernd angezogen,
Sie läßt von ihnen sich das Haar zerwühlen,
Die volle Brust, den weißen Leib bespülen,
Glückatmend treibt sie auf den kalten Wogen.
Sie dichtet summend eine Melodie,
Gedanken haben Fleisch und Blut erhalten,
Als Menschenkinder wandeln die Gestalten
Vorbei an ihrer klaren Phantasie.
Im schönen Land Italien weilt ihr Sinn,
Ihr Herz verschwendet seine reichsten Gaben.
Sie singt von Felix, einem Hirtenknaben,
Von Galathea, einer Schäferin.

Chor der Alten
Majestätisch und mit Schweigen
Treten leise wir hervor,
Rufend, aufgestellt im Reigen:
Galathea, sieh dich vor!
Hör uns alte Greise an,
Die wir in der Zukunft lesen,
Was schon öfter dagewesen
Und auch dir passieren kann.
Siehst du jenen bleichen Knaben
Hinter seinen Schafen traben?
Galathea, siehst du nicht,
Daß er mit sich selber spricht?
Mit der Zunge, wie vor Hitze,
Leckt er sich die Nasenspitze.
Felix nennt der Knabe sich;
Galathea, hüte dich!
Sieh, er schmiedet seine Pläne,
Kommt dann in dem Kleid des Schafes,
Stört die Ruhe deines Schlafes,
Plötzlich weist er dir die Zähne,
Und bevor du ihm entflohn,
Beißt er dir die Kehle schon.
Drauf packt er dich bei den Händen,
Um sein Mordwerk zu vollenden;
Deine Glieder strampeln noch,
Aber er bekommt dich doch.
Plötzlich fühlst du aus den Knien
Alle Kraft von hinnen ziehen,
Deine Muskeln werden schwach,
Du beschränkst dich auf ein Ach.
Er indes wird immer toller,
Seine Miene sorgenvoller;
Dabei brüllt er wie ein Leu,
Weil ihm das Gefühl noch neu.
Dich jedoch packt erst ein Schlucken,
Dann ein Zittern, dann ein Zucken,
Und dann wird dir so gewaltig,
Wie du's nie an dir erprobt.
Und du küßt ihn mannigfaltig,
Daß er's nur nicht lassen wolle,
Bis sich der erwartungsvolle
Jubel in dir ausgetobt. -
Das ist so in großen Zügen
Das gefährliche Vergnügen,
Dran der bleiche Knabe denkt,
Wenn er seine Schafe tränkt.
Du kannst freilich nicht begreifen,
Welche Pläne in ihm reifen,
Denn noch bist du nicht gerissen
Aus dem Traume deiner Kindheit,
Aus der Ruhe deiner Blindheit
Durch ein unheilvolles Wissen.
Doch er wird die Heißbegehrte
Lehren, was das Schätzenswerte
Hier auf Erden und wozu
Er nicht auch so dumm wie du.

Zwiegespräch
zwischen Felix, dem Schäfer, und Galathea, der Schäferin

FELIX
Galathea, wie lange schon
Hab ich dich nun gebeten!
Galathea, nur kalter Hohn
War die Antwort auf all mein Flöten,
Auf mein Trompeten, auf mein Schalmein,
Auf meine entzückenden Weisen!
O, Mädchen, du hast ein Herz von Stein
Und eine Tugend von Eisen!

GALATHEA
Mein lieber Felix, was bist du nur
So traurig im schönsten Lenze?
Komm mit mir hinaus auf die Blumenflur,
Da schwellen die üppigsten Kränze.
Sieh, wie die Vögel so zärtlich tun,
Wie die Hunde so selig schlafen.
Sieh, wie so friedlich im Grase ruhn
Die Böcke bei unsern Schafen.

FELIX
O, Galathea, die Böcke sind satt,
Die Schafe in Rührung zerflossen.
Von meinen Empfindungen aber hat
Sich keine den deinen erschlossen.
Es brodelt in mir wie in einem Vulkan,
Ich muß mich beständig kratzen;
Und wird mir nicht bald genüge getan,
Dann werde ich nächstens zerplatzen.

GALATHEA
Ach, Felix, wir leben im Monat August,
Da schwitzt man begreiflicherweise;
Und wenn du dich überdies kratzen mußt,
Dann hast du wahrscheinlich Läuse.
Sieh nur, welch reizenden Kranz ich hier
Aus Himmelsschlüsseln gewunden!
Kränz ich damit deine Locken dir,
Dann ist alles jucken verschwunden.

FELIX
Es handelt sich nicht um das jucken der Haut;
Das würd ich wohl schwerlich noch spüren! -
O, Galathea, sei meine Braut;
Du hast keine Zeit zu verlieren.
An deinem letzten harmlosen Schrei
Möcht ich so gerne mich freuen.
Du findest ja auch deine Rechnung dabei,
Du wirst es gewiß nicht bereuen.

GALATHEA
O, Felix, ich habe, solang ich weiß,
Noch nie eine Rechnung gefunden;
Doch wird auch mir jetzt auf einmal so heiß,
Und meine Ruh ist verschwunden.
Auch spür ich ein Jucken, so sonderbar,
Wo, läßt sich genau nicht entscheiden.
Ich glaube, daß welche aus deinem Haar
In meinen Locken schon weiden.

FELIX
Bleib endlich mit deinen Läusen fort!
Du willst mich gar nicht verstehen!
Dich freut es, mir jedes gefühlvolle Wort
Im Munde herum zu drehen.
Dir fehlen, scheint mir, am Schädel herum
Die allernötigsten Schrauben.
O, Mädchen, bist du denn wirklich so dumm,
Wie deinem Gesicht nach zu glauben?

GALATHEA
Ich bin nicht dümmer, als Gott mich schuf.
Ich danke dem Himmel deswegen.
Es ist nicht so einfach, mit dem Vesuv
Eine Unterhaltung zu pflegen.
Du sprichst so verworren, so unbestimmt;
Ich bin nicht klug draus geworden.
Man fürchtet, wenn man es wörtlich nimmt,
Du wolltest einen ermorden.

FELIX
O, Galathea, spotte nicht mein,
Und sei mir nicht böse, du Süße,
Denn meine Gefühle sind ebenso rein
Wie deine zwei lieblichen Füße.
Ich suche mein Himmelreich und mein Glück,
Den Wahnfried all meiner Sorgen.
Nur fehlt mir dazu das nöt'ge Geschick;
Ich find es vielleicht erst morgen.

GALATHEA
O, Felix, wüßt ich, wohin nur gleich
Sich deine Blicke verkriechen!
Auch wirst du auf einmal so kreidebleich
Und fängst so stark an zu riechen.
Das ist doch ein seltsam entsetzlicher Brauch,
Dein Bild ist gänzlich verschwommen.
Hei-hei-hei-hei-heiratest du mich denn auch,
Wenn ich in die Wochen gekommen?

FELIX
Galathea, jetzt wird mir die Welt zu eng.
Ich hab die Besinnung verloren.
Mir donnert dein Schneng-tege-tege-teng-teng-teng
Wie höllischer Spott in den Ohren.
Du selber trägst die Verantwortlichkeit
Für die Wirkungen deiner Partien.
Der Übelstand, welcher nach Abhilfe schreit,
Ist längst aufs höchste gediehen.

GALATHEA
O, Fe-, o, Felix, o, Felix, o, Fe-,
O, Felix, ist dir auch behaglich?
Wenn ich deine zornigen Blicke seh,
Scheint mir dein Vergnügen sehr fraglich.
Nicht herrlicher denk ich es mir, wenn ich
Das ewige Leben erwerbe;
Doch deine Grimassen sind fürchterlich,
Du machst mich tot, ich sterbe.


Chor der Nymphen
Seit Jahrtausenden
Weilen wir hier
An diesem Teiche.
Immer das gleiche
Schauen wir.
Verlockende Worte
Von Lust und Freuden
Führten die Menschen
Zu allen Zeiten
Zu diesem Orte.
Die römischen Frauen
Wo sind sie geblieben?
Wir sehn sie nicht mehr.
Hier kamen sie her,
Um in den lauen
Fluten zu lieben.
Auch unsre Genossen,
Dem Himmel entsprossen,
Die Oreaden
In Busch und Bäumen,
Sie pflegten zu baden
Hier und zu träumen.
Die zottigen Faune,
Mit denen wir liebten,
Im Jagen uns übten
In wilder Laune.
Sie alle schwebten,
Die einst hier lebten,
Zum Himmel wieder,
Aus diesen Triften
Empor zu den Lüften,
Zu ihrem Gebieter.


Chor der Nixen
Ihr glücklichen Kinder,
Schlürft das Vergnügen;
Bald wird es versiegen;
Ein langer Winter
Rafft es dahin.
Euer Sinn
Schaut nicht vorwärts,
Schaut nicht zurück.
Vergängliches küßt ihr,
Sorglos genießt ihr
Den Augenblick.
Wir können nicht lieben;
Von Wind und Wellen
Umher getrieben,
Bis wir zerschellen,
Ward uns als Leben
Nicht mehr gegeben
Als euch im Traum.
Wunschlos entstehen wir,
Wunschlos vergehen wir
Wieder zu Schaum.


Zwiegesang
zwischen Felix, dem Schäfer, und Galathea, der Schäferin

FELIX
In dem wundervollen Morgensonnenschein,
Galathea, ach wie bist du hold!
Deine Schwanenbrust erstrahlt wie Elfenbein,
Deine Locken schimmern wie das Gold!
Freudig darf ich deinen Leib umschlungen halten,
Auf den Knien einen strammen Jungen halten!
Und in deinen Marmorarmen selig sein,
Ohne daß uns drob der Himmel grollt!

GALATHEA
In der wundervollen frischen Morgenluft
Hab ich meinen Felix innig lieb.
Aus den Wiesen strömt ein holder Blumenduft,
Und bisweilen macht ein Vogel 'piep'.
Wolln wir uns nicht unter eine Hecke strecken
Und zur Unterhaltung eine Schnecke necken?
Bis zu neuen Taten uns der Kuckuck ruft,
Wenn zu tun uns noch was übrig blieb.

FELIX
Und der wundervolle Morgensonnenglanz,
Galathea, macht dich doppelt süß.
Dir zu Häupten fliegt ein bunter Schwalbenschwanz,
Und ein Brummer fliegt dir um die Füß.
Und ich darf dir deine goldnen Locken küssen,
Ohne daß wir in der Stube hocken müssen.
Deine Gegenwart genieß ich voll und ganz,
Die Vergangenheit erscheint mir mies.

GALATHEA
In dem wundervollen frischen Morgenhauch
Kommst du, Felix, wie ein junger Gott.
Deine Lippen atmen keinen Tabaksrauch,
Deine Beine hebst du flink und flott.
Willst du nicht noch mal nach deiner Flöte greifen
Und ein hübsches Liebeslied von Goethe pfeifen?
Das bleibt doch in Ewigkeit der schönste Brauch,
Leugnen kann es nur ein Hottentott.

FELIX UND GALATHEA
Und so sagen wir denn bis zum nächsten Jahr
Euch, ihr lieben Freunde, gute Nacht,
Hoffend, daß es kein zu großer Blödsinn war;
Uns auf jeden Fall hat's Spaß gemacht.
Deshalb wolln wir auch nur recht viel Leute haben,
Die an Kunstgenüssen sich wie heute laben.
Dann gedeihen alle Künste wunderbar,
Bis der Weltenbau zusammenkracht.

FINALE
Es streicht durch die Wälder ein kalter Wind,
Die Blätter fallen herab.
Und Galathea, das süße Kind,
Ich legte sie eben ins Grab.

Still deckt ich sie zu und weinte nicht;
Sie war noch immer so schön.
Ich küßte ihr holdes Angesicht
Auf baldiges Wiedersehn.
(S. 9-19)
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An Madame de Warens

Nimm dieses Bild, mit ihm die alte Treue,
Das reine Herz, das einst sich dir geweiht.
Vertrauensvoll erfleht es sich aufs neue
Nur einen Funken deiner Göttlichkeit.
Noch ist der zarte Flor ja nicht zerrissen,
Mit dem du mich in schöner Zeit umwobst,
Darin du mich empor aus Finsternissen
Zum blauen Äther deiner Liebe hobst.
Nun möcht an deiner Brust es wiedrum rasten
Und lauschen deiner Stimme weichem Klang.
Die Melodien, die es dort erfaßten,
Sie hallen fort noch manchen Sommer lang.

Die Welt ist überreich an Glück und Freuden,
Doch reicher, hohe Königin, bist du.
Du wagst, die Schätze sorglos zu vergeuden,
Die andre hüten in besorgter Ruh.
Und stets von neuem hast du reich zu geben
Des Golds, das deiner Seele Tiefen füllt.
Wie manchen Schmerz in deiner Nächsten Leben
Hast du mit mildem Himmelstrost gestillt.
Der Mensch verzweifelt unter schweren Qualen,
Siecht hin und altert in Entmutigung,
Da leuchten deines Auges warme Strahlen
Und der gebeugte Geist ist wieder jung.

Verlaß mich nicht; ich habe dir zu danken,
Was Schönes jetzt in meinem Herzen ruht.
Der Flammenbecher, den vereint wir tranken,
Goß lautres Feuer in mein junges Blut.
Verlaß mich nicht; mir lacht aus deinen Zügen
Mein Himmel, wenn du mir zur Seite stehst;
Verlaß mich nicht, du würdest mich betrügen
Um meinen Himmel, wenn du von mir gehst.
Ich weiß nicht, was mir noch auf Erden bliebe;
Mein Leben strömt aus deinem Augenlicht.
Ich müßte sterben ohne deine Liebe,
Du Himmelskönigin, verlaß mich nicht!
(S. 19-20)
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Galathea

O, wie brenn ich vor Verlangen,
Galathea, schönes Kind,
Dir zu küssen deine Wangen,
Weil sie so verlockend sind.

Daß ich auch die Gnade fände,
Galathea, schönes Kind,
Dir zu küssen deine Hände,
Weil sie so verlockend sind.

Und was tät ich nicht, du süße
Galathea, schönes Kind,
Dir zu küssen deine Füße,
Weil sie so verlockend sind.

Und mich treibt der Pulse Stocken,
Galathea, schönes Kind,
Dir zu küssen deine Locken,
Weil sie so verlockend sind.

Aber deinen Mund enthülle,
Mädchen, meinen Küssen nie,
Denn in seiner Reize Fülle
Küßt ihn nur die Phantasie.
(S. 20-21)
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Debutant

Kennst du die hohe, dunkle Gartenpforte,
Die ernst verschwiegen an der Straße steht?
Wohl niemand ahnte, welche süßen Worte
In ihrem Schutz der Abendwind verweht.

Dort trat ich ein; von freudigem Erwarten
Schwoll mir das Herz wie dem beschenkten Kind;
Ein leises Flüstern wehte durch den Garten
Von guten Geistern, die dort heimisch sind.

Auf schatt'ger Bank ließ ich mich zaudernd nieder
Und trank der Rose wollustschweren Duft;
Ob meinem Haupte knistert es im Flieder;
Zwei Vöglein zwitschern durch die Abendluft.

Wie aber ward mir, als du vor mich tratst,
Ein Götterbild aus fernen Griechenzeiten,
Als du bedeutungsvoll und lächelnd batst,
Dich tiefer in den Garten zu begleiten.

Dort wurde mir aus Abend und aus Morgen
Der erste Lebenstag, den ich gelebt -
O, daß so lange mir das Glück verborgen,
Nach dem das Herz dem Knaben schon gebebt!

O, Ella, Ella, tausend Seligkeiten
In einen einz'gen Atemzug gedrängt;
Die Triebe aus der Menschheit frühsten Zeiten,
Von wonnekund'ger Götterhand gelenkt;

Der Kindheit ahnungsvolle, lose Spiele
Verwandelt in unendlichen Genuß;
O, Ella, alle himmlischen Gefühle
In einem einz'gen Liebeskuß -

Welch hohes Wort, das Menschengeist ersann,
Welch reicher Dank mag diese Stunde lohnen!
Laß ewig mich in deinem Garten wohnen,
Ist alles, was die Lippe stammeln kann.

In seiner Büsche stillem Heiligtum
Nahm ich, als Balsam jeder Erdenqual,
Von deinem Mund das heilige Abendmahl
Zum großen Liebesevangelium.
(S. 21-22)
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Madame de Warens

Ich soll ihn lassen
Und kann's nicht fassen;
Und du, mein Herz,
Du darfst es wagen,
Noch fort zu schlagen
Bei solchem Schmerz?
(S. 22)
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Das Wüstenschiff

Bist schön wie eine Lilie;
Ich lieb dich, ich lieb dich.
Du bist aus guter Familie;
Ich liebe dich, ach so heiß!
Reich mir dein schlankes Händchen,
Und von dem schmalen Gelenk
Lös ich das schneeweiße Bändchen
Mir ewig zum Gedenk.
Wie Sammet so weich,
Wie die Sonne so warm,
Wie der Mondenschein bleich
Ist dein zierlicher Arm.
Das Mieder züchtig verschlossen...
Nein, werd mir nicht bang,
Der Gefühle gewaltiger Drang
Hat sich schon stürmisch ergossen.
Nun nur noch einen zärtlichen Blick,
Dann kehr ich zurück
In mein reinliches Kämmerlein,
Schließe mich ein
Und denke dein
Am Fenster im Mondenschein. - Sela.
(S. 22-23)
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Pennal

Länger kann mein Herz ich nicht bezähmen -
Ach du lieber Gott, ich tat es nie!
Doch Sie dürfen es nicht übelnehmen,
Aber ich gesteh's, ich liebe Sie.
Und wenn ich Sie auf der Straße sehe,
Dann ergreift es mich, ich weiß nicht wie;
Dann wird es mir klar und ich gestehe
Ihnen noch einmal: Ich liebe Sie.

Ob ich gehe, stehe, liege, sitze,
Ob ich meinen Aufsatz schreiben soll,
Ob ich über der Grammatik schwitze,
Stets erscheint Ihr Bild verheißungsvoll.
Und wenn Sie mir nicht zu schreiben denken,
Dann soll ein verheißungsvoller Blick,
Den Sie im Vorübergehn mir schenken,
Bote sein von meinem größten Glück.

Aber wenn mein Herz zu kühn gewesen,
Wenn sich Ihre Blicke wenden ab,
Werden Sie vielleicht im Tagblatt lesen,
Wo ein Lebensmüder fand sein Grab.
So, Sie kennen nun mein Liebesfeuer;
Winkt mir heitres, winkt mir düstres Los?
Meine Freude wäre ungeheuer;
Meine Schmerzen wären riesengroß.
(S. 24)
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In usum Delphini

Nicht mit kalten Theorien
Stille das bewegte Blut!
Die besonnten Jahre fliehen,
Und gebrochen liegt dein Mut.

Reiß dich stracks zur Tiefe nieder!
Doppelt schön ist dein Geschick,
Steigst du neubegeistert wieder
Auf zum lichten Sonnenblick.

Öde schwindet dem das Leben,
Der in langem Kuß verweilt,
Bis dem zögernden Bestreben
Stürmisch die Natur enteilt.
(S. 25)
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Liebesantrag

Laß uns mit dem Feuer spielen,
Mit dem tollen Liebesfeuer;
Laß uns in den Tiefen wühlen,
Drin die grausen Ungeheuer.

Menschenherzens wilde Bestien,
Schlangen, Schakal und Hyänen,
Die den Leichnam noch beläst'gen
Mit den gier'gen Schneidezähnen.

Laß uns das Getier versammeln,
Laß es stacheln uns und hetzen,
Und die Tore fest verrammeln
Und uns königlich ergötzen.
(S. 25)
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Ilse

Ich war ein Kind von fünfzehn Jahren,
Ein reines unschuldsvolles Kind,
Als ich zum erstenmal erfahren,
Wie süß der Liebe Freuden sind.

Er nahm mich um den Leib und lachte
Und flüsterte: O welch ein Glück!
Und dabei bog er sachte, sachte
Den Kopf mir auf das Pfühl zurück.

Seit jenem Tag lieb ich sie alle,
Des Lebens schönster Lenz ist mein;
Und wenn ich keinem mehr gefalle,
Dann will ich gern begraben sein.
(S. 26)
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Wendla

Sieh die taufrische Maid,
Erst eben erblüht;
Durch ihr knappkurzes Kleid
Der Morgenwind zieht.

Wie schreitet sie rüstig,
Jubiliert und frohlockt,
Und ahnt nicht, wer listig
Unterm Taxusbusch hockt.

Der allerfrechste Weidmann
Im ganzen Revier,
Er tut ihr ein Leid an
In frevler Jagdbegier.

In einem langen Kleide
Geht sie nun bald einher,
Sinnt vergangener Zeiten
Und jubelt nicht mehr.
(S. 27)
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Francisca

Francisca, mein reizender Falter,
Hätt'st du nicht zu eng für dein Alter
Den keimenden Busen geschnürt,
Dann klafften wohl nicht die Gewänder,
Sobald ich nur eben die Bänder
Mit harmlosem Finger berührt.

Nun wehr auch nicht meinem Entzücken,
Als Erster die Küsse zu pflücken
Der zarten, jungfräulichen Haut.
Mich blendet die schneeige Weiße,
Solang ich das Fleisch nicht, das heiße,
Mit bebenden Lippen betaut.

Denn gleich wie die Knospe der Blume
Nichts ahnt von der Pracht und dem Ruhme
Der Rose am üppigen Strauch,
So seh ich bescheiden erst schwellen
Die keuschen, die kindlichen Wellen,
Umweht von berauschendem Hauch.

O! glaub mir, die Monde entfliehen,
Die Rosen verwelken, verblühen
Und fallen dem Winter zum Raub.
Es kommen und gehen die Jahre,
Man legt deinen Leib auf die Bahre
Und alles wird Moder und Staub.
(S. 27-28)
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Frühling

Willkommen, schöne Schäferin
In deinem leichten Kleide,
Mit deinem leichten frohen Sinn,
Willkommen auf der Weide.

Sieh, wie so klar mein Bächlein fließt,
Zu tränken deine Herde!
Komm setz dich, wenn du müde bist,
Zu mir auf die grüne Erde.

Und trübt sich der Sonne goldiger Schein,
Und fällt ein kühlender Regen,
Dann ist mein Mantel nicht zu klein,
Wollen beide darunter uns legen.
(S. 28)
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An einen Jüngling

Jüngling, laß dich nicht gelüsten
Nach des Paradieses Äpfeln;
Von den straffsten Mädchenbrüsten
Wird dir nichts als Kummer tröpfeln.

Wagst du dich heran und findst du
Lust an diesen weißen Teufeln,
Armer Freund, wie bald beginnst du
Selbst von Traurigkeit zu träufeln.

Just die Kühnsten, Elegantsten
Werden früh zu müden Krüppeln,
Und die einst am flottsten tanzten,
Müssen lahm zur Grube trippeln.
(S. 28-29)
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Idyll

Zum Kellner sprach die Kellnerin:
Mir wird so sonderbar zu Sinn,
Ich finde mich ganz verändert.
Wie bin ich Ärmste doch bisher
Empfindungsbar, gedankenleer
Durchs Gastlokal geschlendert!

Nun möcht ich jauchzen und möchte schrein,
Möcht leise wimmern und selig sein
Und sehne mich fort ins Weite;
Ich sehne mich tief in die Einsamkeit,
Und trotzdem wird mir so weich, so weit,
So wohlig an deiner Seite.

O Kellnerknabe, sag an, sag an,
Was hast du Böser mir angetan;
Mein Friede liegt in Scherben.
Mir ahnt ein Glück, ich ermeß es nicht,
Ich fluche sein, ich vergeß es nicht,
Ich möchte am liebsten sterben.
(S. 29)
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Weltweisheit

Wir waren Philister und merkten es, wie
Die Kräfte des Geistes erschlafften;
Da warfen wir uns auf die Philosophie,
Die tiefste der Wissenschaften.

Da haben wir gründlich uns eingeprägt
Die Sprüche der großen Gelehrten;
Und was man im Fleisch und im Blute trägt,
Das weiß man dann auch zu verwerten.

Erschöpfe die Stunden, genieße die Zeit,
Laß Katzen und Hunde verzagen.
Die Reue, den Fluch und die Niedrigkeit,
Wir lernten es stoisch ertragen.

Als Stoiker lebten wir über Tag,
Kein Staubgeborner stand höher;
Doch wenn die Nacht auf den Bergen lag,
Dann wurden wir Epikurärer.

So flossen die Jahre der Jugend dahin,
Die Schöpfung ein blühender Garten,
Mit duftigen Blumen und Mädchen darin
Von allen exotischen Arten.

Und wenn uns dann schließlich die Kraft gebricht,
Zu frönen unsern Gelüsten,
Dann beugen das Haupt wir noch lange nicht,
Dann werden wir Pessimisten.

Dann spotten wir über die eitle Welt,
Und der Menschheit kleinliches Trachten,
Dann lernen wir, was uns zu sauer fällt,
Aus tiefster Seele verachten.

Dann hebe die Schwingen, Phantasie,
Zu jenen himmlischen Höhen,
Zu jenen Gegenden, die noch nie
Ein sterbliches Auge gesehen.

Dort, wo ein rosiges Morgenrot
Den fernen Äther entzündet,
Hat sich Frau Eva nach ihrem Tod
Ein neues Eden gegründet.

Es scharrte mein Musengaul vor der Tür,
Da bin ich aufgestiegen,
Da flog ich, Liebchen, zu dir, zu dir,
In deinen Armen zu liegen.

Und als ich mich sonnte in deinem Blick,
War Angst und Not verschwunden.
Da hab ich das irdische Liebesglück
Weit süßer als je gefunden.

Das Eis zerschmolz, das Herz ward weit
Und jubelte Frühlingslieder.
Und mit der jungen Begehrlichkeit
Kam die junge Gesundheit wieder.

Laut jauchzt ich auf aus voller Brust:
O laß mich bei dir bleiben,
In deiner unvergänglichen Lust
Auf ewig mich zu betäuben!

Da kracht der Himmel, die Erde bebt,
Es donnert die Atmosphäre,
Und meine sündige Seele verschwebt
In duftige, luftige Leere.
(S. 30-31)
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Stallknecht und Viehmagd
Carmen bucolicon

Die Bärin wohnt im tiefen Walde,
Im tiefen Wald wohnt auch der Bär,
Und an demselben Aufenthalte,
Da wohnen Bären bald noch mehr.

Und im Olymp, da wohnen Götter,
Darunter Venus und Apoll;
Dort hat man ewig schönes Wetter
Und jeder Gott ist liebevoll.

Auf ödem Felde schafft die Viehmagd,
Tut ob der Arbeit manchen Schrei,
Jedoch Cupido, der sich nie plagt,
Wälzt sich im Grase nebenbei.

Nun kommt der Stallknecht mit den Kühen;
Auch Ochsen ziehen an dem Pflug,
Doch muß er selbst das meiste ziehen,
Dann geht es eben flott genug.

Cupido duckt sich listig nieder,
Er legt den Bogen an mit Lust
Und schießt die Viehmagd durch das Mieder
In ihre ahnungslose Brust.

Der Stallknecht kommt herbeigesprungen,
Auf daß er rasch ihr Hilfe bringt;
Cupido trifft den guten Jungen,
Daß er mit ihr zu Boden sinkt.

Da liegen Stallknecht nun und Viehmagd
Und schauen sich verwundert an,
Und nachher tun sie, was man nie sagt
Doch was man leicht erraten kann.
(S. 32-33)
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Frühlingslied
Aus dem Französischen

Hörtest du die Sonne frohlocken,
Als du aus dem Fenster geschaut:
Wald und Feld und Wiesen sind trocken,
Warten auf Bräutigam und Braut.
Zieh dein weißes Hemd an, mein Schätzchen,
Das du keusch im Kasten verwahrt,
Komm hinaus zum lauschigen Plätzchen,
Wo sich die Vöglein längst gepaart!
Ja, das ist ja der holde Mai!
Laß uns wandeln zu zwei und zwei
Durch den Hochwald auf blumigen Pfaden!
Wo das Auge des Himmels lacht,
Küssen wir, daß es man so kracht
Vom Genick hinab in die Waden!

Horch, wie ohne Geld in den Zweigen
Sieben Treppen hoch unterm Dach
All die Künstler zwitschern und geigen!
Keiner zählt seine Barschaft nach.
Und die Blümelein auf den Auen,
Dran dein Aug sich innig erquickt,
Brauchen sie auf den Pfennig zu schauen,
Wo sie umsonst ihr Schneider schmückt!
Ja, das ist ja.. . usw.

Ach wie billig ist doch das Leben,
Wenn man keine Ausgaben hat.
Höchste Wonne liegt gleich daneben,
Bringst du sie mir doch mit aus der Stadt.
Sicherlich läßt du mich nicht darben,
Wenn auf meine Kosten du fährst.
Trägt der Wald doch der Hoffnung Farben,
Hoff ich, daß du mir drin gehörst.
Ja, das ist ja... usw.

Alsdann wolln zu Mittag wir speisen,
Wo des Rasens Tischtuch uns winkt.
Unsere Mahlzeit soll euch beweisen,
Wie man als Künstler ißt und trinkt.
Deine Locken sind das Gemüse,
Deine Lippen spenden das Bier.
Von den Schultern bis auf die Füße,
Alles ist Gänsebraten mir.
Ja, das ist ja ... usw.

Gibst du mir den Laufpaß, o Schrecken,
Kalt und ohne Herz wie Granit,
Deine Finger sollst du dir lecken,
Ich singe einfach nicht mehr mit.
Wie ein Mühlstein werd ich verenden,
Den man um den Hals dir gehängt,
Denn das heißt sein Leben verschwenden,
Wenn sich der Mensch allein ertränkt.
Ja, das ist ja ... usw.
(S. 34-35)
_____



Das Lied vom gehorsamen Mägdlein

Die Mutter sprach in ernstem Ton:
Du zählst nun sechzehn Jahre schon;
Drum, Herzblatt, nimm dich stets in acht,
Besonders bei der Nacht.
Verlier dich von dem Lebenspfad
Nie seitwärts ins Geheg.
Geh immer artig kerzengrad
Den goldenen Mittelweg.

Da kommt nun in der Dämmerstund
Des Pulvermüllers Heinrich und
Küßt mich - mir ward gleich angst und bang -
Wohl auf die rechte Wang:
O Heinrich, das verbitt ich mir;
Siehts Mutter, setzt es Schläg.
Am allerbesten wählen wir
Den goldenen Mittelweg.

Und plötzlich schreit er glutentflammt:
Ich führe dich zum Standesamt! -
Schweig, sag ich, unverschämter Wicht;
Dahin bringst du mich nicht! -
Da flüstert er und freut sich schier,
Weil ichs mir überleg:
Nun gut, mein Schatz, dann wählen wir
Den goldenen Mittelweg.

Und wenn ich nun zur Ruh mich leg,
Mir träumt vom goldenen Mittelweg;
Mein Spielzeug macht mir kein Pläsier,
Ich gäb es gern dafür,
Gäb meine Schuh, mein Röcklein fein,
Weiß Gott, ich gäb noch mehr;
Hätt nie geglaubt, daß ich solch ein
Gehorsam Mägdlein wär.
(S. 36)
_____



Konfession

Freudig schwör ich es mit jedem Schwure
Vor der Allmacht, die mich züchtigen kann:
Wie viel lieber wär ich eine Hure
Als an Ruhm und Glück der reichste Mann!

Welt, in mir ging dir ein Weib verloren,
Abgeklärt und jeder Hemmung bar.
Wer war für den Liebesmarkt geboren
So wie ich dafür geboren war?

Lebt ich nicht der Liebe treu ergeben
Wie es andre ihrem Handwerk sind?
Liebt ich nur ein einzig Mal im Leben
Irgendein bestimmtes Menschenkind?

Lieben? - Nein, das bringt kein Glück auf Erden.
Lieben bringt Entwürdigung und Neid.
Heiß und oft und stark geliebt zu werden,
Das heißt Leben, das ist Seligkeit!

Oder sollte Schamgefühl mich hindern,
Wenn sich erste Jugendkraft verliert,
Jeden noch so seltnen Schmerz zu lindern,
Den verwegne Phantasie gebiert?

Schamgefühl? - Ich hab es oft empfunden;
Schamgefühl nach mancher edlen Tat;
Schamgefühl vor Klagen und vor Wunden;
Scham, wenn endlich sich Belohnung naht.

Aber Schamgefühl des Körpers wegen,
Der mit Wonnen überreich begabt?
Solch ein Undank hat mir fern gelegen,
Seit mich einst der erste Kuß gelabt!

Und ein Leib, vom Scheitel bis zur Sohle
Allerwärts als Hochgenuß begehrt ...
Welchem reinern, köstlichern Idole
Nachzustreben, ist dies Dasein wert?

Wenn der Knie leiseste Bewegung
Krafterzeugend wirkt wie Feuersglut,
Und die Kraft, aus wonniger Erregung
Sich zu überbieten, nicht mehr ruht;

Immer unverwüstlicher und süßer,
Immer klarer im Genuß geschaut,
Daß es statt vor Ohnmacht dem Genießer
Nur vor seiner Riesenstärke graut ...

Welt, wenn ich von solchem Zauber träume,
Dann zerstiebt zu nichts, was ich getan;
Dann preis ich das Dasein und ich bäume
Zu den Sternen mich vor Größenwahn! - - -

Unrecht wär's, wollt ich der Welt verhehlen,
Was mein Innerstes so wild entflammt,
Denn vom Beifall vieler braver Seelen
Frag ich mich umsonst, woraus er stammt.
(S. 40-41)
_____



Der Anarchist

Reicht mir in der Todesstunde
Nicht in Gnaden den Pokal!
Von des Weibes heißem Munde
Laßt mich trinken noch einmal!

Mögt ihr sinnlos euch berauschen,
Wenn mein Blut zerrinnt im Sand.
Meinen Kuß mag sie nicht tauschen,
Nicht für Brot aus Henkershand.

Einen Sohn wird sie gebären,
Dem mein Kreuz im Herzen steht,
Der für seiner Mutter Zähren
Eurer Kinder Häupter mäht.
(S. 43)
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Zur Verlobung

Das Herz so voll, der Kopf so leer,
Ich finde nichts als Worte;
Sie tanzen auf, sie taumeln her,
Und stets am falschen Orte.

Das find't sich nicht, das reimt sich nicht;
Nur wirre Klagetöne.
Das gibt mir ewig kein Gedicht
An dich, du schlanke Schöne.

Du siehst, ich red auch nur von mir,
Statt deiner zu gedenken,
Wünsch weder Glück noch Segen dir,
Ich wollte dich beinah kränken.

Ich wollt... o Gott, nun geht's nicht mehr,
Mein Aug quillt mächtig über:
Ich wollt, daß ich ein andrer wär
Und dir ein wenig lieber.
(S.43-44)
_____



Mein Lieschen

Mein Lieschen trägt keine Hosen
Schon seit dem ersten April,
Weil sie von der grenzenlosen
Hitze nicht leiden will.

Das gibt mir manches zu denken.
So dacht ich auch schon daran,
Ihr ein Paar Hosen zu schenken
Aus duftigstem Tarlatan.

Wie leicht kann sie sich beim Hupfen
Erkälten, eh sie's gedacht;
Und bleibt ihr auch nichts als ein Schnupfen,
Man nimmt sich doch lieber in acht.
(S. 44)
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Mein Käthchen

Mein Käthchen fordert zum Lohne
Von mir ein Liebesgedicht.
Ich sage: Mein Käthchen verschone
Mich damit, ich kann das nicht.

Ob überhaupt ich dich liebe,
Das weiß ich nicht so genau.
Zwar sagst du ganz richtig, das bliebe
Gleichgültig; doch, Käthchen, schau:

Wenn ich die Liebe bedichte,
Bedicht ich sie immer vorher,
Denn wenn vorbei die Geschichte,
Wird mir das Dichten zu schwer.
(S. 45)
_____



Morgenstimmung

Leise schleich ich wie auf Eiern
Mich aus Liebchens Paradies,
Wo ich hinter dichten Schleiern
Meine besten Kräfte ließ.

Traurig spiegelt sich der bleiche
Mond in meinem alten Frack;
Ach die Wirkung bleibt die gleiche,
Wie das Kind auch heißen mag.

Wilhelmine, Karoline,
's ist gesprungen wie gehupft,
Nur daß hier die Unschuldsmiene,
Dort dich die Routine rupft.
(S. 45)
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Der Prügelheini

Der Prügelheini, der ist mein Mann,
Der ist eine Menschenplage;
Der prügelt, was er mich prügeln kann,
Die Nächte sowie die Tage.

Heut mittag stürzt er noch auf mich los:
»Du bist mir untreu gewesen!
Das steht in Buchstaben riesengroß
Auf deiner Stirne zu lesen!«

»Bei Gott, mein Heini, dir blieb ich treu!
Sonst steht mir nichts auf der Stirne.« -
Da schwang er seinen Prügel aufs neu:
»Dich schlag ich nieder, du Dirne!«

Und als ich ihm zitternd zu Füßen sank,
Ich ärmste von allen Frauen,
Da warf er mich hin auf die Gartenbank
Und hat mich zusammengehauen.
(S. 46)
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Die Symbolistin

Dein Auge brennt, dein Atem fliegt,
Blaß bist du wie der Tod;
Und frag ich dich, woran das liegt,
Du wirst wie Blut so rot.

Dein Auge senkt sich grambesiegt,
Die Wimper glitzert naß;
Und frag ich dich, woran das liegt,
Du wirst wie Marmor blaß.
(S. 46)
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Neue Liebe

Du Mädchen in des Lebens vollster Pracht
Hast mich zu lichtem Flammenmeer entfacht;
Das züngelt blutig bis ans Sternenzelt,
Von keinem Blick behütet und bewacht.

Und faßt die Flamme nicht die ganze Welt,
Wie dich und den, der dich umfangen hält?
Ein einz'ger Zwieklang durch den weiten Raum,
Der Jubel der vereinten Schöpfung gellt.

Vergangenheit wird uns ein düstrer Traum,
Am Horizont ein schwarzer Wolkensaum.
Doch auch das Glück, daraus mein Lied erschallt,
In seiner Göttlichkeit noch faß ich's kaum.

Bis daß mich deine irdische Gestalt,
Bis daß mich deiner Sinne Glutgewalt
Von jedem dumpfen Traumgewirr befreit
Durch nie geträumter Freuden Wirklichkeit.
(S. 47)
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An Elka

Elka, länger kann ich mich nicht halten,
Meine Sinne toben allzu wild;
Und in allen weiblichen Gestalten
Seh ich schon dein Götterbild!

Auch im Traum bist du mir schon erschienen,
Dich entkleidend; o, wie ward mir da!
Schwindlig ward mir hinter den Gardinen,
Als ich deinen Busen sah.

Meine beiden Knie wurden brüchig,
Von der Stirne triefte mir das Fett.
Als das Hemd du abgetan, da schlich ich
Wonneschaudernd an dein Bett.

Mach, daß dieser Traum sich bald erfülle;
Mach, erhabne Königin,
Daß bei dir ich vor Behagen brülle,
Nicht vor Wut, weil ich dir ferne bin.
(S. 48)
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Einkehr

Du stille Friedhofmauer,
Scheu tret ich bei dir ein.
Willst du nicht meiner Trauer
Schirmende Heimat sein?

In deinem tiefen Frieden,
In deinem kühlen Schoß
Wird allen Ruh beschieden,
Die krank und ruhelos.

Wo dunkle Stämme ragen
Um dichtumkränzten Stein,
Fernen vergangnen Tagen
Geb ich ein Stelldichein.

Süßselige heilige Schauer
Lösen mir Aug und Sinn -
Du stille Friedhofmauer,
Du meine Beschützerin,

Entflohn dem Weltgetriebe
Tret gern ich bei dir ein;
Willst du begrabener Liebe
Schirmende Heimat sein?
(S. 49)
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Meiner entzückenden Kollegin Mary J.

Von vorn besehn bist du die schönste Maid,
Die je mein Herz aus Liebesnot befreit;
Doch wenn du halb nur dich zur Seite kehrst,
Dann dünkt mich schon, daß du ein Knabe wärst.
Drum bleib ich wie dem Glücksrad stets dir nah,
Du - Venus Duplex Amathusia!
(S. 54)
_____



Marys Kochschule

Daß in deinem Engelsköpfchen
So viel Teufelei rumort,
Hätt ich nimmer ahnen können;
Aber deine Küsse brennen,
Wie kein Höllenfeuer schmort.

Deiner Seele heiße Sauce
Gießt sich prasselnd auf mich aus;
Mit den neusten Apparaten
Werd ich Ärmster ausgebraten,
Ein bejammernswerter Schmaus.

Schließlich öffnest du die Brust mir
Und transchierst mein dampfend Herz,
Weidest dich an seinem Pochen,
Wie's zerrissen und zerstochen
Und in Stücke sprang vor Schmerz.
(S. 54)
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Eroberung

Ach, sie strampelt mit den Füßen,
Ach, sie läßt es nicht geschehn,
Ach, noch kann ich ihren süßen
Körper nur zur Hälfte sehn;
Um die Hüfte weht der Schleier,
Um den Schleier irrt mein Blick,
Immer wilder loht mein Feuer,
Ach, sie drängt mich scheu zurück!

Mädchen, ich will nichts erzwingen;
Mädchen, gib mir einen Kuß;
Sieh, dich tragen eigne Schwingen
Durch Begierde zum Genuß.
Ach, da schmiegt sie sich und lächelt:
Deine Küsse sind ein Graus;
Und mit beiden Händen fächelt
Sie der Kerze Schimmer aus.
(S. 55)
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An eine grausame Geliebte

Hetz deine Meute weit über die Berge hin,
Sie kehrt wieder von Schweiß und von Staub bedeckt.
Gib ihr die Peitsche, gewaltige Jägerin,
Sieh, wie sie dir winselnd die Füße leckt!

Eh der Bann zerreißt, eh die Koppel in Stücke springt,
Eh die Brut dir entgegensteht, wenn dein Hifthorn klingt,
Eh dein Ohr ihn vernimmt, aus der Seele den dumpfen Schrei,
Eh reißen Sehnen und Adern und Herz entzwei.

Schwing deine Peitsche! Dein gellendes Halali
Tönt wie des Todes wilder Triumphgesang.
Das Auge, blutunterlaufen, sterbensbang,
Späht nach dem Wild deiner Lust und erblickt es nie ...
(S. 55)
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Schweig und sei lieb

Als du, mein Held, zum ersten Male mir
Im lichterfüllten Saal entgegentratest
Und lächelnd, fast mit kindlichem Gezier,
Um einen Walzer mich verlegen batest,
Weißt du, was in des Morgens Dämmerstunden
Eh dich mein Traum von neuem mir verbunden
Ich in mein Tagebuch errötend schrieb? -
Schweig und sei lieb!

Und als du gestern mir mit raschen Schritten
Nachjagtest - zum Befehl ward mir dein Ruf;
Als Kind hätt ich ihn nie so streng gelitten,
Da stets nur Trotz er mir im Herzen schuf -
Ahnst du, weshalb in fieberheißem Beben,
Weshalb ich rettungslos dir preisgegeben,
Weshalb ich stracks wie angekettet blieb? -
Schweig und sei lieb!

Von Wahnsinnsstürmen ward mein Sinn umhallt,
Mein Stolz erstarb, der sonst so siegesfrohe ...
Begreifst du die dämonische Gewalt,
Mein Held? Begreifst du, welch empörte Lohe,
Daß sie nicht sengend Herz und Hirn verzehre,
Mich dir mein Glück, mein Leben, meine Ehre,
Mich dir mein Alles hinzugeben trieb? -
Schweig und sei lieb!
(S. 56)
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Unterm Apfelbaum

Lieschen kletterte flink hinauf
Bis in die höchsten Äste,
Fing in der Schürze die Äpfel auf
Ihrer Mutter zum Feste.

Ich lag unten, verliebt und faul,
Auf dem Rücken im Grase;
Mancher Apfel fiel mir ins Maul,
Mancher mir auf die Nase.

Jetzt stand Lieschen auf starkem Ast,
Schelmisch sah sie hernieder;
Ihres Leibes liebliche Last
Wiegte sich hin und wieder.

Innig umschlungen hielten sich
Splitternackt ihre Füße,
Taten sich auf und befühlten sich -
Winkten mir tausend Grüße.

Durch das Röckchen sandte der Tag
Seine goldenen Strahlen,
Was darunter geborgen lag,
Farbenprächtig zu malen.

Schimmernd rings um die weiße Haut
Wob sich die gedämpfte Helle;
Welcher Meister hat je gebaut
Prächtiger eine Kapelle.

Kindlich faltet ich da die Händ,
Forderte heiß und brünstig:
Was kein irdischer Name nennt,
Werde dem Sünder günstig.

Sieh, und am nämlichen Abend schon,
Tief in die Kissen gebettet,
Wurden der kindlichen Bitte zum Lohn
Leib und Seele gerettet.
(S. 57-58)
_____



Schicksal

Stürme durchtoben die bange Brust;
Stürmisches Leid und stürmische Lust
Sausen hindurch mit schaurigem Wehen,
Schleudern mich aus des Mißgeschicks Nacht
Auf zu des Glückes sonnigen Höhen.
Sprachlos begaff ich die strahlende Pracht,
Schau ich des Weibes hehre Gestalt,
Wie sie die Träume der Jugend verheißen,
Und es ergreift mich, mit blinder Gewalt
An die pochende Brust sie zu reißen.
Sie aber zieht mich auf schwellende Kissen,
Preßt mich an ihren üppigen Leib,
Und überwältigt von wilden Genüssen
Halt ich umklammert das schöne Weib.

Siehe da, gleich einem wogenden Meer
Wälzt sich gewaltig das Unglück her.
Jäh zerschmetternde Blitze flammen
Nieder aus düsterem Wolkenthron;
Über dem trunkenen Erdensohn
Schlagen die schäumenden Fluten zusammen. - -

Als die Sonne wiederum schien,
Gleitet ein Nachen darüber hin.
Schimmernd steigt aus der Wellen Gischt
Ein Regenbogen, der bald erlischt;
Von dem Verunglückten fand sich nischt.
(S. 58-59)
_____



Anwandlung

Wüßtest du, Mädchen, wie das tut,
Wenn dein Arm in dem seinen ruht,
Wenn du an seiner Seite hin
Wandelst in weltbeglückendem Sinn!
Wüßtest du, wie mich der Anblick foltert,
Wie mir der Wunsch in der Seele brennt:
Käm doch das himmlische Firmament
Über euch beide heruntergepoltert!

Wolken machen sich nichts daraus,
Wandern weiter und lachen mich aus,
Ob ich euch, ob ich ihnen fluche,
Ob ich mich selbst zu erdrosseln suche -
Schließlich nach langem qualvollen Bangen
Reichst du mir flüchtig die zuckende Hand,
Und das verwickelte Rosenband
Hält mich verdoppelt fester umfangen.

Kennst jene Hütte du tief im Wald,
Zweier Büßenden Aufenthalt?
Rings unter hohen rauschenden Bäumen
Wildes Kasteien und tiefes Träumen ...
Nun ich eben mein Bündel geschnürt,
Will mich dieser Gedanke nicht lassen;
Ach und mein Hirn mag es gar nicht fassen,
Daß mich mein Los schon von hinnen führt.
(S. 59)
_____



Albumblatt

Sei er noch so dick,
Einmal reißt der Strick.
Freilich soll das noch nicht heißen,
Daß gleich alle Stricke reißen.
Nein, im Gegenteil,
Mancher Strick bleibt heil.
(S. 60)
_____



Die Keuschheit

Schimmernd fülle sich der Teller,
Schimmernd bis zum Rand hinan;
Jeder spende seinen Heller
Gern dem alten Leiermann.
Manch ein Lied hab ich gesungen,
Das euch tief ins Herz gedrungen;
Doch ein Lied wie dieses hier
Hörtet ihr noch nicht von mir.

Eines Abends in der Messe
Lauscht' er hinter ihrem Pult,
Mit erzwungner Totenblässe
Bat er sie um ihre Huld.
Von Madrid bis Kopenhagen
Hat er sich herumgeschlagen,
Tausend Mädchen schon verführt,
Kujoniert und angeschmiert.

Und sie bat, daß Gott ihr helfe,
Doch sein Odem war so warm,
Und dieselbe Nacht um elfe
Lag sie schon in seinem Arm.
Weidlich hat er sie belogen,
Hat das Hemd ihr ausgezogen;
Sie ward rot für ihr Geschlecht,
Doch das war ihm grade recht.

Als sie nun die Schmach erlitten,
Ward dem Ungeheuer klar,
Daß sie engelrein von Sitten
Und ihm zu gefühlvoll war.
Freilich konnt es ihn beglücken,
Eine frische Blume pflücken;
Für sein weiteres Pläsier
Fehlte die Verderbnis ihr.

Und er war wie umgewandelt,
Als ihr nun die Liebe kam;
Hat sie so infam behandelt,
Daß sie schier verging vor Scham;
Stieß sie aus den warmen Kissen,
Hat sie nackt hinausgeschmissen,
Warf ihr ihre Kleider nach,
Schloß die Tür mit einem Krach.

Auf dem Vorplatz unter Tränen
Zog sie sich die Strümpfe an,
Fluchte ihres Herzens Sehnen
Und verzieh dem rohen Mann;
Drauf ging sie in ihre Kammer,
Dort sank sie aufs Bett vor Jammer,
Schlug mit beiden Fäusten sich
Wund und weinte bitterlich.

Ist's nicht wirklich ein Entsetzen,
Daß es solche Männer gibt,
Die sich nicht mal mehr ergötzen,
Wo ein andrer kindlich liebt.
Weil sie ihre Liebe suchten
Bei den H-, den verfluchten,
Ist der Seele Klang verdumpft,
Ihr Empfinden abgestumpft.

In dem nächtlich stillen Garten
Sitzt die keusche Maid voll Gram,
Liebelechzend zu erwarten
Den Geliebten, der nicht kam.
Ach, sie meint, er müsse kommen,
Doch die Sterne sind verglommen
Und der sanfte Mond verblich,
Ohne daß ihr Kummer wich.

Und nun ward ihr immer schlimmer,
Immer toller jeden Tag,
Und sie lief ihm auf das Zimmer,
Als er noch zu Bette lag;
Sagt ihm gleich, wozu sie käme,
Daß er sie zur Dienstmagd nehme,
Wenn sie seiner Lust zu schlecht,
Alles, alles sei ihr recht.

Aber dieser Fürchterliche
Hatte keinen Trost für sie
Als verdrehte Bibelsprüche
Voll gesalzner Ironie;
Sich an ihrer Scham zu weiden
Zwang er sie, ihn anzukleiden,
Macht sie dabei, ohne Not,
Immer wieder purpurrot.

Als den Schlips sie ihm gebunden,
Gab der Mensch ihr einen Tritt
Und ein Schimpfwort ihrer wunden
Seele auf den Heimweg mit.
Doch als sie den Hut genommen,
Spielt er plötzlich dann den Frommen,
Sah sie an und sagte: Du,
Heute abend Rendez-vous!

Und sie trat am selben Abend
Wieder in die Wohnung ein,
Einen Strauß am Busen habend,
Denn sie wollte lieblich sein.
Gleich riß er ihn ihr vom Kleide,
Überreicht' ihn voller Freude
Einer Dirne, rotgelockt,
Die geschminkt im Lehnstuhl hockt.

Drauf tät er sie zärtlich bitten,
Aufzulösen sich ihr Haar;
Jene hat's ihr abgeschnitten,
Daß sie wie ein Knabe war.
Dann mußt' sie das Kleid ablegen,
Ging einher, zum Herzbewegen:
Schuhe, Strümpfe, Höschen, Hemd,
Und der Scheitel links gekämmt.

Nun erhob sich die geschminkte,
Dekolletierte Schandperson,
Schlecht verbergend, daß sie hinkte,
Denn sie trieb es lange schon:
Komm, mein Page, und enthülle
Meiner Reize Zauberfülle
Diesem schönen jungen Herrn;
Ach, er hat mich gar zu gern!

Und sie tat es ohne Zucken,
Zog ihr selbst die Strümpfe ab,
Mußte all die Dünste schlucken,
Die das Scheusal von sich gab.
Mehrmals, bis das Werk vollendet,
Hat sie stumm den Kopf gewendet,
Hustete aus tiefster Brust,
Wurde beinah unbewußt.

Alsdann kam an ihn die Reihe,
Was ihr nicht so gräßlich war;
Leise wimmernd macht das treue
Kind ihn aller Kleidung bar;
Wollt' ihm noch die Füße küssen,
Doch er hat sich losgerissen.
Und nun gab der edle Wicht
Ihr in jede Hand ein Licht.

So mußt' sie sich aufrecht stellen,
Wo der Vorhang offen hing,
Um das Schauspiel zu erhellen,
Das vor ihr in Szene ging.
Durch die Bosheit angefeuert,
Hat er mehrmals es erneuert,
Immer tiefern Höllenschmerz
Bohrend in des Kindes Herz.

Treulich tät sich ihm vereinen
Das entmenschte Schauerweib,
Fand am Jammerblick der Kleinen
Teuflisch süßen Zeitvertreib,
Heuchelt, ihr ins Herz zu schneiden,
Außerordentliche Freuden,
Fraß mit Schluchzen und Geschrei
Einen Apfel auch dabei.

Als die Roheit sondergleichen
Keinen neuen Reiz mehr bot,
Ließ man sich die Kleider reichen,
Stellte sich dabei halb tot.
Nichts als Püffe, nichts als Tritte
Spürt das Kind bei jedem Schritte.
Drauf löscht er die Lichter aus,
Führt die Schandperson nach Haus.

Kommt zurück nach langer Pause,
Und das Mädchen ist noch da,
Denn sie wagt sich nicht nach Hause,
Weil sie so verändert sah;
Bat ihn, daß sie bleiben könnte,
Was er ihr denn auch vergönnte;
Ach, sie dachte nicht daran,
Was der Schreckensmensch ersann.

Nachdem er zu Bett gegangen,
Winkt er sie vom Diwan her,
Überreicht ihr einen langen
Scharfgeladenen Revolver.
Bittet kühl um den Gefallen,
Ihn sich vor den Kopf zu knallen,
Denn die Wirkung sei famos,
Und er sei sie endlich los.

Ohne etwas zu entgegnen,
Hob sie sich ihn an die Stirn,
Tät noch ihren Mörder segnen
Und durchschoß sich das Gehirn.
Lächelnd schmaucht er die Zigarre
Zum Entstehn der Totenstarre,
Geht dann, seiner Schandtat froh,
Nach dem Polizeibureau!

Und nun hat sie ausgelitten,
Diese Maid, die treu geliebt,
Dabei engelrein von Sitten,
Wie es keine zweite gibt.
Alle möge Gott verfluchen,
Wenn sie seine Gnade suchen,
Denn sie liebten nur das Fleisch;
Diese starb im Herzen keusch.
(S. 60-65)
_____



Das arme Mädchen

Böt mir einer, was er wollte,
Weil ich arm und elend bin,
Nie, und wenn ich sterben sollte,
Gäb ich meine Ehre hin!
Schaudernd eilt das Mädchen weiter,
Ohne Obdach, ohne Brot,
Das Entsetzen ihr Begleiter,
Ihre Zuversicht der Tod.

Es klappert in den Laternen
Des Winters eisig Wehn,
Am Himmel ist von den Sternen
Kein einziger zu sehn.

Wie sie nun noch eine Strecke
Weiter irrt, sieht sie von fern
An der nächsten Straßenecke
Einen ernsten, jungen Herrn.
Ihm zu Füßen auf die Steine
Bricht sie ohne einen Laut,
Hält umklammert seine Beine,
Und der Herr verwundert schaut:

Wenn dich die Menschen verlassen,
Komm auf mein Zimmer mit mir;
Jetzt tobt in allen Gassen
Nur wilde Begier.

Und sie folgte seinen Schritten,
Hielt sich schüchtern hinter ihm;
Jener hat es auch gelitten,
Wurde weiter nicht intim.
Angelangt auf seinem Zimmer
Zündet er die Lampe an,
Bei des Lichtes mildem Schimmer
Bald sich ein Gespräch entspann:

Es boten mir wohl Viele
Ein Obdach für die Nacht,
Doch hatten sie zum Ziele,
Was mich erschaudern macht.

Ferne sei mir das Verlangen,
Sprach der ernste, junge Mann,
Dir zu färben deine Wangen,
Wenn ich's nicht durch Güte kann.
Bat sie, länger nicht zu weinen,
Holte Wurst und kochte Tee,
Und am Morgen zog er einen
Taler aus dem Portemonnaie.

Sie hat ihn bescheiden genommen
Und fand, eh der Tag vorbei,
Als Plätterin Unterkommen
In einer Wäscherei.

Aber ach, die Tage gingen
Und die Nächte freudlos hin,
Bluteswallungen umfingen
Ihren frommen Kindersinn.
Immer mußt sie sein gedenken,
Der so freundlich zu ihr war,
Immer mußt den Kopf sie senken
In der muntern Mädchenschar.

Und eines Abends um neune
Hielt sie's nicht aus,
Lief ganz alleine
Nach seinem Haus.

Er war noch nicht heimgekommen,
Sie verkroch sich unters Bett,
Bis sie seinen Schritt vernommen,
Wo sie gern gejubelt hätt.
Doch sie hielt sich still da unten,
Bis er sich zu Bett gelegt
Und den süßen Schlaf gefunden,
Dann erst hat sie sich geregt.

Leise wie eine Elfe
Schlupft sie zu ihm hinein:
Daß Gott mir helfe -
Ich bin dein!

Doch da hat er sich erhoben,
Wußte erst nicht, was geschah,
Hat die Kissen vorgeschoben,
Als das Kind er nackend sah:
Nein, jetzt will ich dich nicht haben;
Wohl dir, daß du mir vertraut!
Aber spare deine Gaben,
Denn schon morgen bist du Braut!

Er führte binnen acht Tagen
Sie wirklich zum Altar.
Es läßt sich gar nicht sagen,
Wie glücklich sie war.
(S. 66-68)
_____



Coralie

I
Hüpfe nicht mit nacktem Fuße
In den tollen Gischt hinein;
Stürz dich in das Meer der Buße,
Wasch dir deine Seele rein.

Badst du doch an diesen Küsten
Deinen Busen marmorweiß,
Nur um dich damit zu brüsten
Abends im Bekanntenkreis.

II
Wie dort durch der Brandung Zischen
Sich erstreckt der Hafendamm,
So erstrecke ich mich zwischen
Dich und deinem Bräutigam.

Auf neutralem Boden schlummern
Ist mir ein besondrer Reiz,
Wie das Leben zwischen Pummern
Und Palermo in der Schweiz.

Eisig krappelt's übern Rücken,
Schloßenschauer fühl ich nah;
Hingestreckt vor meinen Blicken
Feurig glüht Italia.
(S. 68-69)
_____



Johannistrieb

Lodernd Feuer in den Blicken,
In der Haltung stolze Ruh;
Deines Hauptes leises Nicken
Winkt mir teure Gnade zu;
Ach, und deines Mundes Worte
Ziehn durch eine Siegespforte
Mir in Hirn und Busen ein
Laß mich ganz dein eigen sein!

Siegsgewiß ist deine Haltung
Von der Büste hoch und frisch
Bis zur himmlischen Gestaltung
Deines Füßchens unterm Tisch ...
Meine ganze Seele zittert
Wie der Tiger, welcher wittert
Fernher den an einem Pflock
Angebundnen Ziegenbock.
(S. 77)
_____



Stille Befürchtung

Seit ich dir mein ganzes Herz entladen,
Peinigt mich geheimnisvolles Weh:
Morgens drängt's mich seltsam, mich zu baden;
Abends treibt's mich mächtig ins Cafe;

Nachts umgaukeln mich verrückte Träume
Daß die Seele bang um Hilfe schreit;
Eng bedrücken mich des Himmels Räume,
Die Gewänder werden mir zu weit;

Vor den Augen schwirrt ein schwarzer Falter -
Sprich, o sprich, wie soll ich das verstehn!
's ist ein heimlich zartes Knospenalter;
Doch nicht Liebe scheint mir aufzugehn.
(S. 78)
_____



Sehnsucht

Und sei mir noch so traurig auch zu Sinn,
Ich will's nicht glauben, daß ich elend bin.
Der Fluch, das Leid, das mich zu Grund gerichtet,
Am Ende war ja alles nur erdichtet.

Die Phantasie treibt oft ihr Possenspiel.
Schon manchen hob sie, der zu Boden fiel,
Im Geist empor. Schon manchen aus den Höhen
Des Himmels ließ sie Schreck und Unheil sehen.

Laß ab von mir, du große Zauberin!
Erbarm dich mein, entschleire meinen Sinn!
Zerteil die Nacht, mit der du mich geschlagen -
O Sonnenglanz des Glücks, wann wirst du tagen!
(S. 78)
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Alte Liebe

Ich hab dich lieb, kannst du es denn ermessen,
Verstehn das Wort, so traut und süß?
Es schließet in sich eine Welt von Wonne,
Es birgt in sich ein ganzes Paradies.

Ich hab dich lieb, so tönt es mir entgegen,
Wenn morgens ich zu neuem Sein erwacht;
Und wenn am Abend tausend Sterne funkeln,
Ich hab dich lieb, so klingt die Nacht.

Du bist mir fern, ich will darob nicht klagen,
Dich hegen in des Herzens heil'gem Schrein.
Kling fort, mein Lied! Jauchz auf, beglückte Seele!
Ich hab dich lieb, und nie wird's anders sein.
(S. 85)
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Eifersucht

Und wieder seh ich neu entfacht
Die düstre Glut, die treu du hegst
Auf deinem Herd, zur Flammenpracht,
Dein Herz erleuchtend Nacht für Nacht,
Wenn du zur Ruh dich legst.

Kaum atme ich still, so kräuselt mild
Erwartung deiner Lippen Saum;
Dann fühl ich selbst, wie jenes Bild
Die lechzende Seele dir erfüllt
Mit grausigem Wundertraum.

Tief in die weichen Kissen schmiegt
Sich wollustbebend deine Gestalt.
In kurzem Ringen unterliegt
Dein Pflichtgefühl, und im Sturme siegt
Die grabentstiegene Gewalt.
(S. 86)
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Lulu

Ich liebe nicht den Hundetrab
Alltäglichen Verkehres;
Ich liebe das wogende Auf und Ab
Des tosenden Weltenmeeres.

Ich liebe die Liebe, die ernste Kunst,
Urewige Wissenschaft ist,
Die Liebe, die heilige Himmelsgunst,
Die irdische Riesenkraft ist.

Mein ganzes Innre erfülle der Mann
Mit Wucht und mit seelischer Größe.
Aufjauchzend vor Stolz enthüll ich ihm dann,
Aufjauchzend vor Glück meine Blöße.
(S. 86)
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Pirschgang

Laßt mich schnobern, laßt mich schnüffeln
Durch die Stille der Wälder fort.
Schon wittre ich das schwellende Fleisch der Trüffeln,
Der saftigen Brünetten von Perigord.

Hier ist der Ort. Ich wetze die Hauer,
Ich bohre den Rüssel wohl in den Grund -
Wie macht doch Arbeit das Leben sauer,
Die Seele krank und die Glieder wund!

Gierig verschling ich die prickelnden Früchte,
Bis mich der Satan im Rücken kneipt -
Es ist die alte Passionsgeschichte,
Daß unsere Freude sich selbst entleibt.

Sie läßt sich erjagen, sie läßt sich haschen,
Die Pulse fliegen, das Herz schlägt wild.
Und zieht man die Himmelstochter auf Flaschen,
Sie schwindet dahin wie ein Schattenbild.

Noch eine der haltbarsten Delikatessen
Ist frischer Lippen flammender Kuß,
Der Hunger steigert sich mit dem Essen.
Und im Genießen wächst der Genuß.
(S. 87)
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An einen Hypochonder

Du runzelst die Stirne,
Du wetterst und schreist,
Dieweil mit der Birne
Den Wurm du verspeist.

Was folgst du empfindlich
Der grausigen Spur?
Erfreu dich doch kindlich
Der reichen Natur.

Je herber dein Liebchen,
Um so süßer sein Kuß,
Und je kleiner sein Stübchen
Desto größer dein Genuß.
(S. 87-88)
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Auf dem Faulbett

Auf mein Faulbett hingestreckt
Überdenk ich so meine Tage,
Forschend, was wohl dahinter steckt,
Daß ich nur immer klage.

Ich habe zu essen, ich habe Tabak,
Ich lebe in jeder Sphäre,
Ich liebe je nach meinem Geschmack
Blaustrumpf oder Hetäre.

Die sexuelle Psychopathie,
Ich habe sie längst überwunden -
Und dennoch, ich vergeß es nie,
Es waren doch schöne Stunden.
(S. 95)
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Erholung

Sieh, wie die Erde wackelt,
Wie alles niederstürzt,
Die Sonne ängstlich fackelt
Und ihre Flammen kürzt,
Wenn ich dich halte Brust an Brust
Und du mit scharfen Zähnen
Verbissen dich in wilder Lust
In meine glühnden Venen.
Es wogt dein Leib, es dröhnt dein Herz,
Dein Odem züngelt höllenwärts,
Und aus der Tiefe steigen
Miasmen freud- und leidenschwer;
Dein Kichern tanzt darüber her
Den fahlen Elfenreigen.
Und zuckt die Flamme übers Haus,
Wie sinkt das All in Nacht und Graus;
Der Himmelslichter Glanz verblich,
Die Stürme heulen fürchterlich,
Es schmettern die Posaunen.
Die Jugend reißt die Ohren auf,
Das Alter hemmt den Tageslauf;
Sie schaudern und erstaunen.
Der Sieger nimmt ein Bad und blickt
Verächtlich nach dem Pfühle,
Die Seele frei, der Leib erquickt
Von frischer Morgenkühle.
Die ganze Welt ist Jubelsang,
Die Sonne lacht den Wald entlang;
Dann lacht auch der Verächter
Sein gellend Hohngelächter.
(S. 95-96)
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Wilhelmine

I
Warum drängst du dich in meine Träume?
Warum hemmst du meiner Schritte Lauf?
Warum füllst du alle Himmelsräume,
Blick ich nächtens zu den Sternen auf?

Stör ich deiner Seele heil'gen Frieden,
Warum machst du, Mädchen, dich so breit?
Und »Nicht doch!« entgegnest du entschieden
Wie der Genius der Enthaltsamkeit.

Ach, so kann es nicht mehr lange dauern;
Ach, es wälzt sich drohend Ach auf Ach;
Laß dir deine Zimmertür vermauern,
Oder fürchte den Zusammenkrach.

II
Und nun ist es doch gekommen,
Trotz des stolzen Sinns im Köpfchen;
Und wir haben von dem Töpfchen
Kühn den Deckel abgenommen.

Schwüler Paradieses-Brodem
Stieg mir schmeichelnd in die Nase,
Dennoch bangt ich wie ein Hase
Vor dem Pechgeruch von Sodom.

Zwei von heißer Glut erfüllte,
Mitternächtlich helle Sterne
Blinken träumend in die Ferne,
Die sich scheu in Nebel hüllte.
(S. 97-98)
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Die tiefe Richtung

Endlich ist der große Tag gekommen,
Schon ist das Vergangne schrecklich nah,
Doch die Zukunft ist bereits verschwommen;
Auch die Gegenwart ist nicht mehr da.

Gott und Mensch und Weltall sind verschwunden,
Was einst sein wird, glüht im Morgenrot;
Stille stehn die sonst so raschen Stunden,
Und gestorben ist nun auch der Tod.

Aus dem Nichts entwickelt sich ein Grausen,
Eine Donnerstimme ruft: "Ich bin!"
Plötzlich jagt es mit Gewittersausen
Durch den weiten öden Raum dahin.

Alles starrt beklommen rings im Kreise,
Niemand blickt dem andern ins Gesicht;
Aus den Tiefen stöhnet sterbend leise
Eine Geisterstimme: "Ich bin nicht!" ...

Einem Mädchen nur aus hohem Norden
Ist die Lösung wunderbar geglückt:
Der Poet war Philosoph geworden
Und der Philosoph verrückt.
(S. 99-100)
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Minona

Laß sie mich küssen, die knospende Blume, den Kelch
meiner Trunkenheit!
Wenn meiner Lippen fiebernde Glut dir die Glieder
durchzittert hat,
Dann erst wirst du mir Weib, und ein mächtig Erinnern
Schwellt meine Segel glückseligen Inseln entgegen.
(S. 108)
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Das tote Meer

Mein Herz ist leer wie eine taube Nuß,
Als Kobold spukt darin der Überdruß.
Wenn ich's bei Licht mir nah vors Auge halte,
Bleckt er mich hämisch an aus enger Spalte.

An hundert Weiber hatt ich wohl im Sold,
Mit denen ich mein Gut und Blut vertollt,
Die schönsten Nymphen im modernen Babel,
Und ich blieb leer, vom Scheitel bis zum Nabel.

Kein Funke mehr, kein Stern aus früherer Welt;
Kein Flämmchen, das den Busen sanft erhellt.
Nur Pharus ragt noch stets mit glühnden Kohlen
Hoch in die Nacht. Der Teufel soll ihn holen!
(S. 111)
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TÄNZE

Gruß

Ich weiß ein allerliebstes Kind,
Ein Kind, wie selten Kinder sind,
Mit schwarzem Auge, schwarzem Haar,
An Wuchs und Haltung wunderbar!
's ist nicht zu groß und nicht zu klein,
's ist nicht zu dick und nicht zu fein,
Es singt und springt und tanzt und lacht,
Hat manchen schon verrückt gemacht.
(S. 113)
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Junges Blut

Tanz, mein Liebchen, so wild du
Tanzen kannst, tanzen kannst!
Hurtig tummle dich wie kein
Satan tanzt, Satan tanzt!
Wirf dir übern Kopf die Schuh,
Wirf dein Röckchen auch dazu!
Schlenkre Fuß und
Waden ohne Ruh!
Bis es knackt, schwing exakt,
Auch im tollsten Takt
Hurtig wie vorher nie
Deine weißen Knie!
Lustbeflügelt derweil
Zuckt dein Hinterteil.
Frisch fang an, heißer dann,
Als dein erster Tanz begann!
(S. 113)
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Aus: Frank Wedekind Werke Band I
Mit einem Nachwort und Anmerkungen
herausgegeben von Erhard Weidl
DTV 1996
 


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Frank_Wedekind

 

 


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