Josef Weinheber (1892-1945) - Liebesgedichte



Josef Weinheber
(1892-1945)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 
 
 


Garten der Seele

Ich will dich führen - gib mir deine Hand -
In einsamstilles, erdenfernes Land.
Ein Garten liegt darin,
Ist voll von wilden Rosen
Und leuchtendem Jasmin.
Auf weichen Sammetmoosen
Schreitet dein Fuß dahin;
Und süße Stimmen raunen
Versonnene Melodien.
Dein Auge sieht voll Staunen,
Verlockend Wunder blüh'n
Und wilder Seligkeiten
Goldgold'ne Lichter sprühn . . .
Traumdunkle Einsamkeiten
Verwirren dir den Sinn;
Und alle Blüten werben
In zitterndem Bemüh'n,
An deiner Brust zu sterben,
In Schönheit zu verglühn - - -
Komm, geh' mit mir, laß mich nicht traurig warten.
Ich führe dich in meiner Seele Garten.
(S. 7)
(April 1913)
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Sehnsucht

Merkst du es nicht, wie tief mein Sehnen ist,
weil ich des Lachens heitre Maske trage
und wie ein Narr in helle Saiten schlage,
während der Gram mir wild am Herzen frißt?

Mir hat das Leid schon früh die Stirn geküßt . . .
da drang dein Licht in's Dunkel meiner Tage.
Nun weiß mein Mund nur mehr die eine Frage:
Merkst du denn nicht, wie heiß mein Sehnen ist?

Gleichwie's den Falter zu der Flamme zieht,
ob er den Tod darin sich auch erwähle,
so zieht auch dir entgegen meine Seele.
Und wird der Sehnsucht nach dem Licht nicht müd.
(S. 7-8)
(1913-1916)

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Oh bist du mein, - wohl nicht in dieser Weise,
Wie man ein Pferd etwa sein eigen nennt.
Auch so nicht, wie's vielleicht ein Kind bekennt
In stiller Stunde ihrem Liebsten leise.

Denn meine Seele zieht gar seltne Kreise
Um dich; so seltsam, daß sie der nicht kennt,
Der mit der großen dumpfen Herde rennt
Die ewig-alten, ausgetretnen Gleise.

So bist du mein! Als Bild erträumter Schöne,
Als Rhythmus, der in deinen Schritten wiegt,
Als goldner Glanz, der dir das Haar umschmiegt.

Wohl auch als Trost für manche stille Träne,
Die ich geweint . . . und als ein ferner Schein
Für meiner Seele dunkles Einsamsein.
(S. 8-9)
(1913-1916)

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Was geht zutiefst in deiner Seele vor?
Manchmal, wenn ich in deine Augen sehe,
Ist's drinnen wie von tiefverborgnem Wehe -
Als brächen Tränen jäh daraus hervor.

Dann frag ich mich: Ob sie ihr Glück verlor?
Und sucht es zweifelnd nun in meiner Nähe,
Der ich es auch seit langem suchen gehe -
Was geht zutiefst in deiner Seele vor?

Vielleicht bist du mir näher als ich meine,
Nun sagt's mir nicht dein scheuer, stiller Blick
Und ich such' auf verirrtem Weg das Glück.

Und während wachend ich die Nacht durchweine
Und mich vergeblich quäle, wo es sei,
Rauschts nah, vielleicht, ganz nah an mir vorbei.
(S. 9)
(1913-1916)

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O bleib bei mir!

O bleib bei mir, was bin ich ohne dich!
Ein Abgrund, über den kein Steg vorhanden,
Ein Fels im Meer, um den die Wasser branden,
Ein Erntefeld, von dem der Segen wich.

Mein Lied wird leer und welk und äußerlich;
Wird wie ein feiles Weib in Prunkgewanden . . .
Wie müde Vögel, die ihr Ziel nicht fanden,
Verflattern meine Wünsche ohne dich.

"Sieh! Wenn du gehst und läßt mich leer zurück,
Um wen soll sich mein wundes Sehnen ranken?!
Wer hört dann meine Not? wer tröstet mich?

O nimm mir nicht den Glauben an das Glück:
Zu schwer würd ich an dieser Wunde kranken!
Geh nicht! Ich müßt' ja sterben ohne dich! . . ."
Und in den Stunden, ganz mit mir allein,
Wird meine Sehnsucht deinen Namen schrein.

Doch niemand hört dann, niemand spricht zu mir:
Sei ruhig, du, ich bin ja doch bei dir!

"Mein wehes Einsamstehn zermartert mich -"
Horch wie der Wind jetzt bang ums Fenster strich.
Geh nicht, ich müßte sterben ohne dich! . . .
(S. 11)
(1913-1916)

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Mein Glück, das müßte groß und leuchtend sein
Und herb und wild wie gärend junger Wein.

Und rasend müßt es sein wie Herbstnachtwind,
der durch die sommermüden Wälder rinnt.

"Und seidigschmiegsam gleich dem weißen Leib
von einem leidenschaftsdurchglühten Weib."

Und müßt doch wieder leis sein wie ein Sang,
der irgendwo im Abendwind verklang.

Und zart und ängstlich wie der bleiche Schnee
der Blütenblätter einer Lilie.

Es müßte Aufruhr sein und leise Ruh!
Mein Glück, das müßte sein wie du, wie du!
(S. 12)
(1913-1916)

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Die Bitte

Der Tag ist dunkel,
Ich sehe die Sonne nicht!
Meine Hände sind leer und tasten nach Licht.
All der Enttäuschten fiebrige Gier
Zittert in mir!
Der Suchenden blinde, wegirre Not,
Der Hungrigen heißer Schrei nach Brot.

Doch meine Hände bleiben leer
Und meine Seele zerbricht.
Die Welt ist dunkel . . .

Und deine Augen hätten so viel' Licht,
Oh du!
(S. 14)
(1913-1916)

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Ich bin so jung! Ich will noch nicht verdämmern
wie eine Flamme, die nur zuckt und schwelt
und schließlich stirbt, weil ihr die Nahrung fehlt.

Sei endlich mein! Sieh meine Schläfen hämmern.
Was Sünde! Sünde ist, was uns noch trennt.
Sei mein, o du! Mein Herz es brennt, es brennt!
(S. 14)
(1913-1916)

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Dein Zimmer am Abend

Wie raunen die Gardinen wunderlich,
Als wär dein Zimmer voll von Heimlichkeiten -
Im Dämmer blinken der Gitarre Saiten
Und seltsam lacht der alte Kupfterstich.

Und winkt mit seines Rahmens blassem Schein,
Als wär er kundig, vieles zu erzählen;
Der Tisch, der Schrank, die Stühle haben Seelen
Und laden zu vertrauter Zwiesprach ein.

Das Bett nur schweigt.
Denn seiner Kissen Flaum,
Darin sich nächtens deine Glieder dehnen,
Birgt deines Körpers Duft, kennt deinen Traum

Und deiner Seele tiefgeheimstes Sehnen
Und will nicht, daß wer andrer darum weiß.
Damit es deines Wesens lichte Süße
Und deines Haares Glanz und deine Küsse,

Die du in manchen Nächten wirr und heiß
In seine Kühle senkst, allein genieße . . .
(S. 14-15)
(1913-1916)

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Du bist der Born . . .

Du bist der Born, der in der Wüste quillt!
Ich trinke dich in langen, wilden Zügen.
So durstig ist mein Herz, so ungestillt
und so bedürftig noch, sich anzuschmiegen.

Oh, trinken will ich dich mit jäher Glut. -
Ein Suchender, der endlich Labsal findet
In zwölfter Stunde. Der sich an der Flut
berauscht, verjüngt, zum Leben neu entzündet

Und darüber alle alte Qual vergißt
und nichts mehr weiß, als selig, selig trinken,
bis er gestillt und stark und freudig ist
den Sternen zuzuwandern, die ihm winken.
(S. 16)
(1913-1916)

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Und Stunden werden kommen - - -

Oh, bald wird Frühling sein - da werden wir,
Zwei selige Kinder durch das Blühen schreiten,
Tiefhingegeben unsern Zärtlichkeiten,
Die goldne Fäden ziehn von mir zu dir.

Und Stunden werden kommen voller Glut
Durchsonnten Glücks und wild genoßner Küsse
Voll deines jungen Körpers heiliger Süße.
Oh, Stunden rauschend, heiß wie unser Blut . . .

Doch einmal werden wir durchsättigt sein -
Wie Früchte, die im Herbst zur Ernte winken,
Durchsättigt sind vom langen Sonnenschein

und werden wie gezwungen von dem Wein
den unsre Liebe reifgeglüht hat, trinken -
Und eines Tags einander Fremde sein . . .
(S. 16-17)
(Ende Februar 1914)

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Bei dir!

Wenn ich bei dir bin ist mir so
Als wär ich nicht mehr Gebild aus Erde
Und hätt' alle Not und dumpfe Beschwerde
Im Dunkeln gelassen irgendwo.

Mir ist, als ob mich die Hand des Herrn
Ganz hoch und in seine Sterne hübe.
Ja so, als wäre ich selber ein Stern
Der trunken durch jauchzende Himmel triebe.
(S. 18)
(10. 02. 1914)

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Alles ist nun mein: In deine Haare
Darf ich meine nackte Armut hüllen;
In das Blühen deines dunklen Schoßes
meines Glücks verhaltnes Schluchzen wühlen.
Kraft und Sehnsucht deines jungen Leibes
deiner Brüste duftigwarm Geschwele
deines Mundes Hauch und Glanz und Lächeln,
Alles dies ist mein - Doch deine Seele?
(S. 26)
(Einige Tage vor dem 19.-23. Mai 1914)

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Wie ein Kindersang,
wie ein Maitag licht,
wie Glückstränen
auf einem Menschengesicht:
so süß ist die Liebe.

Wie das Schicksal blind,
wie das Leben schwer
und tief und grausam
und stumm wie das Meer,
wenn es einen verschlungen hat:
So hart ist die Liebe.
(S. 26)
(1913-1916)

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Erinnerung an Aggsbach

So hab ich dich noch nie geküßt
als wie in jener lichten Nacht -
So nie gewußt, wie süß du bist,
als damals, da der Wind so sacht
und frühlingswarm ums Fenster strich -
Und drunten ging der Strom vorbei
und schlang sein Lied in unsern Kuß,
ein Lied vom Glück, ein Lied vom Mai
von Leben, Blühn und Überfluß -
Bis übern Berg der Mond verblich
und grau und kühl der Morgen kam.
Und ich noch einmal wild und jäh
Dein Haupt in beide Hände nahm
und küßte wie in dumpfem Weh -

und wie ein Bettler von dir schlich . . .
(S. 29-30)
(15. 04. 1914)

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Mai

Welch leises Glücklichsein mein Innres wiegt! -
Ich lieg im jungen Maigras tief im Wald,
in Halm und Blüten selig eingeschmiegt.

Kaum, daß ein Laut durchs tiefe Schweigen schallt. -
Die Seele träumt und sehnt sich wunderlich
den Wolken nach, die fern ins Blau geballt

und wünscht zu ihrem Glück nichts andres sich
als so ein Fleckchen Blau im stillen Wald,
und träumt den Wolken nach und denkt an dich.
(S. 30)
(April 1914)

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Verirrt

Wie weh mir Weglosen dein Fernsein tut!
Mir ist so hilflos, so verzagt zu mut
wie einem Blinden.

Durch Dunkel taste und durch Ängste irr
bedrückt ich und wie Weinen ists in mir
als könnt ich niemals mehr zurück mich finden,
zu dir!
(S. 35)
(1913-1916)

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Heimfahrt
(Lied)

Blauer Frieden allerwegen.
Letztes Boot mit leisen Schlägen
treibt dem Ufer zu.

Sehnsucht singt in Schilf und Fluten
leis, o leis aus goldnen Fluten
dämmert Trost und Ruh:

Eh' die Uferweiden düstern
wird mein Mund an deinem flüstern:
Süßes, Liebstes du . . .
(S. 37)
(Sommer 1914)

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Das macht mich ja so krank

Das macht mich ja so krank und wirr:
Zu wissen, daß du jede Nacht
dich blind und rasend sehnst nach mir.
Und daß ich selber Nacht für Nacht
allein sein muß mit meiner Glut,
mit meinem Blut, das traurig macht;
und daß, wenn oft wie Zufall nur
ich leise deine Hand berührt,
aus ihr kaum merkbar, süße Spur
wie Glück in mich hinüberführt: -
und daß wir dennoch immer nur
nah aneinand vorbeigeirrt . . .
(S. 42)
(1913-1916)

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Dein Kuss

Du wühlst mein Innres auf mit deinem Kuß,
daß sich mein Herz in zuckend-wilden Schlägen
hochbäumt und krümmt gleich einem Wurm im Regen
der wund getreten ward von hartem Fuß.

Und dennoch - wenn ich einsam gehen muß,
wie brennt mein Mund da deinem Mund entgegen!
So blindlings bin ich deinem Bann erlegen,
daß ich ganz Trübsal bin und Überdruß,

wenn nur ein Tag vergeht, an dem ich nicht
von diesem Dornenkuß gefoltert werde,
der mir das Herz zerfleischt und blutig sticht.

Denn ich
will wund sein wie die Frühlingserde,
durch die der Pflug in tiefen Furchen kriecht,
daß für mein Lied mir daraus Ernte werde!
(S. 43)
(1914)

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Dein Lächeln

Dies Lächeln, das dein Antlitz immer fand . . .
Ob ich gestillt an deiner Seite ging,
ob meine Seele voll von Zweifeln hing,
ob ich in Qualen wild mich vor dir wand.

Oh, hinter diesem Lächeln schmiegsam stand
die Lüge, Leid in Glück und Sünde ging
darin gekleidet. Alles ward gering
in dieses Lächelns flatterndem Gewand.

Wenn heut dir einer sagte, ich sei tot,
weil dies dein Lächeln mich so stark verwirrte,
daß ich nicht Ausweg fand aus all der Not.

Ich weiß - so sehr das schmerzt - dein Antlitz würde
nur eben lächeln. Heiß und schwül und rot
so wie das Leben, das ich mit dir führte.
(S. 44)
(1913-1916)

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O wie ich dich hasse!

Wie ich dich blind und gierig hasse!
Und manchmal, wenn ich deine schmale,
feingliedrige Hand umfasse,
oder mein Blick in heimlichem Grolle
deinen ruhigen träumenden Augen begegnet,
ist mir, als ob mein Hassen mich höhnen wolle.
Da möcht ich dann plötzlich vor dich hinknien
und deine, heimlicher Züchtigungen volle,
und so blaßkühle Muttergotteshand küssen,
und vor dir weinen und vor dir hilflos sein
und dir beschämt und ganz leise bekennen müssen:
Ich - bin - Dein!
(S. 45-46)
(1913-1916)

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Mann und Weib

Mein Lieb, nicht weinen. Wenn uns auch die Not
nicht ruhen läßt und wir vor Frohn und Werken
die Sonne kaum und nicht den Frühling merken
und jede Stunde uns mit Mühsal droht.
Nicht weinen, daß von so viel langen Stunden
kaum eine ist, die unser Eigentum.
Sei stark, mein Lieb! Es tagt auch unsern Wunden
noch eine Zeit. Sieh nicht so blaß und stumm
mir in mein Aug.
Wir sind: Der erste Mann, das erste Weib! -
Der Menschheit Zukunft blüht aus unsern Schmerzen.
Der Menschheit Atem glüht aus unsern Herzen.

Doch wie er ihren Blick noch scheuer sieht,
da reckt er hoch sich auf, o hoch und glüht
und tiefes Zittern ist in seinen Worten:
Ich - bin - Dein!
(S. 46)
(1913-1916)

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Nach der Trennung

"So soll nie kommen mehr was uns entschwand
und soll dies alles nun vorüber sein?
Wenn eins dem andern stumm sein Leid gestand."

So soll nie mehr ein Weg vereint uns sehn?
Noch faß ichs nicht, so ohne dich zu sein.
O lieber Traum! Wie kannst du durch Gebärden
und Worte über Nacht zum Fluche werden
und plötzlich bersten und in Trümmern stehn,
so daß wir plötzlich unsre Nacktheit sehn?

Und sind wir denn getrennt von uns befreit
und tragen wir nicht nach wie vor voll Pein
an dieser Lust, zusammen uns zu quälen?
Die wir einmal geglaubt, daß unsre Seelen
einander vorbestimmt vor Ewigkeit.
(S. 47-48)
(1913-1916)

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Es ist kein Licht sonst in der Welt

Es ist kein Licht sonst in der Welt,
als das aus deinem Herzen
in meines fällt.

Es ist kein Laut sonst in der Welt
als mein berauschter Pulsschlag,
der deinem sich gesellt.

Es ist kein Glück sonst in der Welt
als dies: Daß meine Seele
dich ganz umschlossen hält.
(S. 52)
(1913-1916)

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Urbanikeller

Auf ein neues Jahr, so licht wie keines
noch vor diesem war, so licht wie keines
je mehr kommen kann, des dunklen Weines
brennende Glut!

Immer süßer, immer aufgeblühter
deine Lippen: immer tiefre Lieder
braust mein Blut.
Und auf einmal: Die wir kaum die Namen

von einander wußten, plötzlich kamen
unsre Seelen hell einander nah;
rauschten plötzlich aller Liebe Flammen
groß und jubelnd über uns zusammen

fühlte jedes nur: Du - Du bist da
Oh, beklommen und beglücktes Wissen,
oh des übermäßig einen, süße
überwältigenden -: Ich und du.
Und nun nur mehr Lauschen, Glück und Stille,
Mann und Weib: Ein Sein, ein Licht, ein Wille -,
Über allen Lebens dunkle Gründe,
über Angst und Tod und Not und Sünde

seufzen sich zwei Seelen "ave!" zu . . .
Eine Seligkeit und eine Ruh.
Stark und hell und in trotzigem Leben
aufgereift und mit kühnem Gesicht!

wenn es einst sein muß, der Nacht sich gegeben,
vollendet, klar und die Stirnen voll Licht:
zwei Menschen!
(S. 52-53)
(1913-1916)

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Erinnerung an Aggsbach

- - Und wir gingen beide durch Nacht und Ruh
und die Sterne zitterten bang.
Und der Wald und der Strom und mein Herze sang:
Ich will dir gut sein, du!

Und dann standen wir beide am Uferrand
und horchten in uns hinein
und hörten die Herzen vor Sehnsucht schrein
und nahmen uns stumm bei der Hand.

Und ich spürte dein Haar ganz weich und nah
an meinem zitternden Mund.
Und es schwiegen die Wasser im gurgelnden Grund
und lauschten dem Glück, das geschah.

Und es war doch ein flüchtiger Augenblick nur,
wie ein Lichtlein aufblitzt im Tal. -
Da küßt ich dich leis und zum erstenmal
und es war wie ein ewiger Schwur -

Das kommt jetzt oft in der Nacht über mich:
Ich hör ein dunkles Weinen -
Der andern, die ich verließ um dich,
der wird die Seele versteinen.

Die wird vielleicht noch aus Scham und Schmerz
darüber als Dirne enden,
und wird ihr armes, mißbrauchtes Herz
erdrücken mit flackernden Händen.

Warum ich nur immer auf Suche geh,
ruhlos und um zu zertreten - - ?
Käm doch der Herbst, oh und käm doch der Schnee,
daß ich still sein könnte und beten.

Doch ich muß wohl noch lange wandern und ziehn
und betteln mit durstendem Mund
und vor vielen Madonnen am Wege knien,
nur um aufzustehn müde und wund.

Bis nicht die strahlende Stunde tagt,
wo der Gnadentraum Fleisch wird und spricht:
Ich bin die Königin, Mutter und Magd,
nach der deine Seele siecht

Oder bis nicht eine Stunde tagt -
Hilf mir dann, Herre Gott -
Da sie mich finden am Wegrand nackt,
verirrt und verkommen und tot.
(S. 66-67)
(Ende August 1915)

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Don Juan

Hab ich nicht stets eure Seele gesucht,
die ihr mich gierig und grausam wähntet:
Hab ich euch nicht, so tief ihr mir flucht,
nur das gegeben, was
ihr ersehntet?

Euch aber ward es so wenig bewußt,
daß mich durch Rausch und durch jagende Lust
immer nur Sehnsucht trieb nach der Einen,
die mich hätte zu segnen gewußt.

So bin ich mit vielen zu kurzem Verbleib
auf der Brücke des Bluts zusammengekommen:
Habe gegeben und habe genommen,
war berauscht und betört und beklommen
im Taumel mit Weibern, in Dunst nach dem Weib.

Aber die Eine, die Reine, die Tiefe
war nur in einsamsten Nächten mein,
wenn angstvoll ich horchte, ob alles schon schliefe,
daß man nicht höre, wie heilig es riefe.
(S. 67-68)
(Zwischen Ende August und Ende September 1915)

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Erinnerung

Und manchmal in der Dämmerung
da weine ich nach Dir
und seh Dich gut und licht und jung
wie einst vor mir

und weiß dann erst daß nichts Dir glich
und weiß, auch Du - Du weinst.
O ich und Du, O Du und ich -
O Liebe von einst! -
(S. 73)
(Dezember 1915)

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Der Mond stand draußen

Der Mond stand draußen über Dach und Baum.
Wir zwei allein. Uralte Melodien
sang unser Blut. Es war so schwül im Raum
so still, daß wir die Zeit vertropfen hörten.
In meiner Seele wuchs ein junger Traum:
Zu deinen schmalen süßen Kinderknien
in wild begehrten und verschämt verehrten
mit aller meiner Inbrunst hinzuknieen,
und meiner Mannheit Not und herbe Härten
in deines Schoßes dunklen Märchengärten
gleich einem Baum im Frühling aufzublühn.

Der Mond stand draußen über Tor und Dach.
In dunklem Zimmer bebend du und ich,
in meinem Herzen ward ein Weinen wach,
das wuchs und stieg und überstürzte sich
bis aller Widerstand in dir zerbrach
und nur noch Liebe war

und nichts als Liebe war -
Da gabst du dich.
(S. 78)
(1913-1916)

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Siehst du, das war der E-dur-Akkord,
Hörst du, das ist Cis-moll.
Spürst du den Übergang, in Septim!

E, Gis! - He! Mein Lieb auf ein Wort!
Dis, A, Fis, Gis! Wie süß wars gestern, wie süß:
Horch mit! - Das war der E-dur-Akkord,
der deine Lippen pries.

Oh komm zum Fenster! Sei wieder mir gut! -
Übergang nun in Septim -
So hell der Mond und so dunkel das Blut -
war ich dir gestern zu schlimm?

Mein Finger wird müd, das Lied ist vertan.
Was ich nur denken soll? -
Und liebst du mich nicht mehr, so sterbe ich dran.
Hörst du? - Das war jetzt Cis-moll . . .
(S. 78-79)
(1913-1916)

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Ich und Du
Ein Büchlein Liebe (10.01.1916)

Das Leitwort

Laß mich, Du, aus meiner Einsamkeit,
nun ich Dich nur mehr als Lied empfinde,
sagen, was geeint uns und entzweit,
was wir Glück genannt, was Rausch und Sünde -
Was wir hoffen, was wir still und bang
in des Lebens hartem Trott begraben.
Unsrer jungen Jahre Überschwang
und das Weh, das wir durchlitten haben.
Nun ich Dich nur mehr als Lied empfinde,
laß mich stammeln durch die Einsamkeit,
daß ich wieder, Vers an Vers gereiht,
alle Deine lieben Namen finde.
(S. 131)
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Oh Du!
Alle Brunnen der Liebe fluten in mir! -
Aller Menschen Sehnsüchte zittern in mir,
zittern nach Dir, oh Du!

Aller Wartenden schweigende Nöte,
aller Suchenden wunder Schrei
quillt durch mich!
zermartert mich!

So hilf mir, eh mir die Seele bricht!
Von Deinen Augen kommt so viel Licht,
und Deine Nähe ist lind
wie Abendwehn,
wie warmer, duftender Frühlingswind.
Gib!

Gib mir ein wenig Sonne und Licht!
Segne mein Einsamstehn!
Sei mir gut! Hab mich lieb!
Hab mich lieb, oh Du!
(S. 131-132)
(1914)

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Denn sieh, ich bin so einsam, so allein
und frierend wie ein Baum in rauhen Höhn -
eh Du genaht in blassem Glorienschein,
hat meine Seele niemals Licht gesehn.

Und meine Nächte haben nie geglaubt,
daß ihrer hohen Sehnsucht stolze Glut
ein Sinnbild fände - Da hobst Du dein Haupt -
Nun weiß ich erst, daß Gott noch Wunder tut.
(S. 132)
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Du bist, wie meine Sehnsucht dich gedacht.
Bist die, nach der mir Blut und Seele bebte,
die tief in meinen tiefsten Träumen lebte,
um die ich weinte manche wirre Nacht.

Du bist der Preis, für den ich einsam litt,
für den ich irrte auf verlaßnen Wegen.
Nun geht dir meine Seele froh entgegen
und Gottes Engel gehen singend mit.

Nimm Du von mir mein Irren und mein Leid
und tu die Schwere ab von meinen Füßen.
Ich hab so lang, so qualvoll suchen müssen.

und bin nicht stark genug zur Einsamkeit.
(Sie macht nur müde ohne Trost zu geben)
Ich aber will doch Schönheit, Licht und Leben!
(S. 132)
(1931)
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Oh komm und klammere dich fest an mich,
daß ich dein hämmerndes Leben fühle.
Gott hat die Stirn mir gesalbt für
dich
und dir mein Herz bereitet zum Pfühle.

In mir zu ruhen, fürchte dich nicht!
Will dich mit Wachen und Beten betreuen.
Und will nur lauschen, wie in uns zweien
flutet das ewige Licht.

Mich nur, o mich nur sollst du noch wissen,
der ich dein Jünger
und Meister bin,
Alles, was sonst deine Sinne umschließen,
ist nur Symbol, aber ich bin der Sinn.

Erde und Himmel ist nicht mehr vorhanden,
nur noch wir beide in trunkener Fahrt,
selig der Seligkeit aufgespart,
fernwo im Glück zu landen . . .
(S. 133)
(Zwischen Ende August und Ende September 1915)

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Und wir gingen mitsammen durch Nacht und Ruh
und die Sterne zitterten bang.
Und der Wald und der Strom und mein Herze sang:
Ich will Dir gut sein, Du!

Und dann standen wir beide am Uferrand
und horchten in uns hinein;
und hörten die Herzen vor Sehnsucht schrein
und nahmen uns stumm bei der Hand.

Und ich spürte dein Haar ganz weich und nah
an meinem zitternden Mund;
Und es schwiegen die Wasser im gurgelnden Grund
und lauschten dem Glück, das geschah.

Und es war doch ein flüchtiger Augenblick nur:
wie ein Lichtlein aufblitzt im Tal -
Da küßt' ich Dich leis und zum erstenmal -:
und es war wie ein ewiger Schwur . . .
(S. 134)
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Horch, meine Seele singt -

O Geheimnis des Blutes, das zueinander uns drängt!
Bebende Brust du an bebenden Brüsten,
Herz, das sich heiß überquellend dem andern schenkt -

Leib du an Leib, Freude sich atmen zu wissen,
mächtiger Schöpferdrang,
rauschenden Bluts in die Ewigkeit sich zu ergießen -

Seele in Seele, stammelnd von Überfluß,
Blick des Erkennens der vom Uranfang Bestimmten -
Heilig du: ewiger, süßer, unauslöschlicher Kuß.
(S. 134)
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Noch weiß ich nicht, ob du "die Eine" bist,
die ich vor dir in vielen andern suchte:
Wir haben erst den ersten Kuß geküßt

und weiß noch nicht, ob du die Hände hast,
die segnen können, trösten und verzeihn:
Ich ging zu lang allein mit meiner Last.

Ja, weiß ich doch nicht einmal, wie es klingt,
wenn deine Lippen leise "Liebster" sagen.
Und doch: oh horch, wie meine Seele singt.

"Meine Seele singt ein Lied von dir!
Ein junges, jauchzendes Lied.
Und will nichts anders, als daß sie blüht
und daß sie ruht in dir.

Das kam über sie wie Sturm in der Nacht.
Nun weiß sie nicht aus und ein.
Und will nur dir immer nahe sein
und betet und weint und lacht.

Das kam über sie wie ein Sturm in der Nacht
und kam wie zärtlicher Wind.
O du, du heimliches Königskind,
was hast du aus mir gemacht!"
(S. 134-135)
(August 1915)

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Nun ist kein Licht mehr in der Welt,
als das aus deinem Herzen
in meines fällt;

Und ist kein Laut mehr in der Welt,
als mein berauschter Pulsschlag,
der deinem sich gesellt;

Nun ist kein Glück mehr in der Welt
als dies: Daß meine Seele
dich ganz umschlossen hält.
(S. 135)
_____



Und nun wandern wir täglich fast aus der Stadt,
die für Liebe zu steinern und blind
und schwärmen draußen durch Wiesen und Wald
und lauschen auf Wachstum und Wind.

Oh jeden Tag mehr des Blühens um uns
und des Blühens in uns fast zu viel!
Noch ist alles Leben ein lächelndes Fest,
noch weiß sich der Frühling kein Ziel.

Kein Wort noch als "ich und du" zwischen uns,
kein Laut, der sich zärtlicher spricht.
Und jede Stunde noch süß wie ein Lied
und jeder Tag ein Gedicht . . .
(S. 135-136)
_____


Nur manchmal, wenn ich tief im Taumel bin,
erstarrt mein Glück in einer jähen Frage:
Du legst dein Leben blind vor meines hin -
werd ich so stark sein, daß ich beide trage?
Und werd ich, wenn die Stimme einstens spricht -
"Ich hab Dir eine Seele anvertraut!" -
hintreten können, ohne daß mir graut:
Herr, nimm die Seele Dein! ich hab sie nicht
mißbraucht. Sie dir frei und licht,
nur um ein Glück und um ein tiefes Leben
reicher, in deinen Schoß zurückgegeben -

Werd ich dies können, wenn die Stimme spricht?
(S. 136)
_____



Laß mich dein Säemann und dein Gärtner sein!
Und deiner Seele, die wie gute Erde
voll Drang ist, daß sie Frucht und Ernte werde
grab ich mich selbst als Saatenhoffnung ein.

Und daß kein Fremdes mir die Saat gefährde,
will ich den lieben Menschengarten mein
hegen wie einen goldgefaßten Stein
und in ihm sein mit sorgsamer Gebärde.

Freilich, wer weiß, ob nicht schon über Nacht
ein Frost, den alle Sorgfalt nicht bedacht,
ein jäher Brand, der aus den Wolken bricht,

des Gärtners Müh und Schweiß zunichte macht?
Dann sucht er eines Morgens jäh erwacht
den Garten auf - und staunt - und kennt ihn nicht . . .
(S. 136-137)
_____



Oft wühl ich mich nachts in die Kissen ein
und frage mein Herz in zweifelnder Pein:
Wie lange?
Wie lange wirst du so selig sein?

Und erst wenn ich leis deinen Namen genannt,
und lausche, bis ihn die finstere Wand
verschlungen -
Dann schweigen die Ängste, die mich gebannt.

Und Dunkel und Stille kommen dann: Du,
laß doch dein törichtes Herz in Ruh
und schlafe -
Und sie decken den Zögernden leise zu . . .
(S. 137)
_____



Bisweilen sind die Tage schon so schwül,
als ob wir tief im tiefsten Sommer wären.
Da ist es oft, daß meine Hand mit schweren
Gebärden deine sucht, die blaß und kühl . . .

Und sehe ich dich an, ists nicht mehr still
und selig, sondern flackernd vor Begehren.
Tust du dann auch, als ob wir Kinder wären,
so ahnst du doch, was solches Anschaun will.

Denn oft jetzt, wenn mich deine Blicke küssen,
ists wie ein Flehn in ihnen: nicht - noch nicht -
wir werden beide viel drum leiden müssen -

Doch ich, der sonst nichts kannte als Verzicht,
will nun nichts andres mehr vom Leben wissen,
als jenen Tag, der dein Erwehren bricht . . .
(S. 137-138)
_____



Ich träume einen verworrenen Traum . . .
Ich hänge einsam im weiten Raum,
wie Christus einst hing am Kreuzesbaum.

Um mich ist Nacht. In zuckender Qual
brennt meiner Kreuzwunden fünffaches Mal -
Mein Herz ist ein einziges Leidensfanal.

Wo sind, die gläubig ich um mich sah?
Selbst sie, die mich liebte, Magdala,
verbirgt sich vor meinem Golgatha . . .

- Doch nun -: Oh sterb ich? Woher dieses Licht?
Ist das des Ewigen Angesicht,
das tröstend in meine Finsternis bricht?

Und nun -: Eine Wiese, mohnflammenrot,
als sei es mein Blut, das mich wogend umloht -
Am Rande des Himmels wartet der Tod . . .

So lieg ich, mitten in meinem Blut
- oder mitten im Mohn - und über mir tut
der Himmel sich auf in blendender Glut.

Nein, nicht der Himmel! Ein Mädchengesicht
ist sanft über mir - noch erkenn ich es nicht -
Und leis und süß eine Stimme spricht . . .

Und die Stimme spricht, oh und singt immerzu
wiegt mich in Trost, bringt mich zur Ruh
und nun -: Oh nun weiß ichs:
Oh Du, Oh Du! -
Nun bin ich erlöst . . .
(S. 138-139)
(16. 07. 1916)

_____



Gewitter drohte, doch wir merktens nicht.
Die Bäume rauschten dumpf: Gefahr - Gefahr -
Wir aber küßten heiß und wild und dicht
(wie
vor dem Sündenfall das erste Paar)
einander Hände, Haar und Angesicht
und küßten alles Dunkle in uns licht
und alles Trübe klar . . .

Und da in uns nun seliges Warten war,
bat ich dich wortlos um das letzte Glück.
- Zwei Seelen maßen sich mit langem Blick -
und wortlos kam dein schlichtes "Ja" zurück.

Die Bäume rauschten dumpf: Gefahr - Gefahr . . .
(S. 139)
_____



Wir haben uns oft und oft geküßt
seit jenem erstenmal.
Doch all dies war nur wie Rausch, der zerfließt,
und gegen das Heute schal.

Denn heute - das war nicht mehr zärtlicher Tand,
nicht Kampf mehr noch suchende Gier;
heut hat
Dein Blut in dem meinen gebrannt
und
meines brannte in Dir.

Heut hat sich Körper an Körper erkannt,
fand Seele zu Seele sich stumm.
Wenn ich beim Heimgehn dich Schwester genannt -
nun weißt du, warum.
(S. 139-140)
_____



Und es taucht ein flirrender Mannesblick
in die dämmrige Stille.
(Noch zögert im Sinken die letzte Hülle)
Und es geht
wie ein Schluchzen hin durch den kleinen Raum,
eine Mädchenstimme klingt auf und verweht
wie im Traum -
und leis kommt wieder das Schluchzen zurück . . .

Und nun
einer Mannesstimme zerbrochener Klang,
tiefernst und bang:
Ich kann dir keine Qual antun -
Verzeih - ich will gehn - -

Von zwei bebenden Mädchenlippen wehn
die stillen Worte: Dank, Liebster - Dank . . .
(S. 140)
_____



Wir wollen uns nicht quälen,
wir müssen noch warten, Kind,
bis unsre Körper und Seelen
ganz eins in dem andern sind.
Noch trennt uns ein zaghaftes Schämen;
erst bis auch dies überwunden und tot,
erst bis wir ganz frei von Trübe und Not,
will ich dich so wie der Priester das Brot,
wie das heilige Brot dich nehmen.
(S. 140-141)
_____



Wie eine Knospe dämmerte dein Mund
durchs hohe Gras. Oh weißt du noch - Wir lagen
in einem jungen Holz von zitternd zagen
hellgrünen Birken, die uns stumm umgaben,
als wüßten sie, daß sie zu wachen haben.
Wie eine Knospe dämmerte dein Mund.

Wir waren so allein im tiefen Wald.
Es war, als ob das Glück sich auftun müsste -
Da gabst du deine letzte, reichste Süße.
Wir waren so allein im tiefen Wald . . .

Wie eine rote Frucht träumte dein Mund
im hohen Gras. Wir gingen durch das Schweigen
nachtschwarzer Birken, die mit kühlen Zweigen
ein Weib - und eine tote Kindheit grüßten.
Wir gingen stumm, als ob wir beten müßten -

Im Dunkel leuchtete dein süßer Mund . . .
(S. 141)
(1914)

_____



Du, gegen die ich mich wehrte,
nun überwältigst Du mich.
Wie die Madonna verehrte
Mutter, Unversehrte -
Du! - Nun erst liebe ich Dich.

Aus dem Schatten der Dinge
stiegst Du zu mir empor.
Lausche dem Lied, das ich singe!
Aus dem Schatten der Dinge
auftönt mein ewiger Chor:

Ich und Du sind das Leben,
Hinter uns flüchtet der Tod.
Du hast mir Sehnsucht gegeben,
Kraft, ins Licht mich zu heben,
liebend mit Dir zu entschweben,
auf ins Morgenrot Gott!
(S. 141-142)
(24. 07. 1916)

_____



Schöpfungsstunde

Du bist mein süßer, hoffnungsreicher Leib,
Ich bin dein Geist und bin dein starker Wille.
Wir sind: Der erste Mann, das erste Weib.

Du horchst hinab in deine Herzensstille,
dort ringt sich dunkel eine Sehnsucht los.
Die gilt nicht mir: Die sieht ein Kind beim Spiele!

Oh Brust an Brust, mein Weib! Bald stehn wir groß
und leuchtend da als Urbeginn für viele:
Du trägst der Menschheit ewiges Sein im Schoß.
(S. 142)
(1914)

_____



Und wir gingen nachts im Sternenlicht.
Und zu Häupten sang der Weiden Chor.
Da erhobst Du groß Dein Angesicht
in den weiten Glanz empor.

Und von Deinen Lippen stammelnd floß
Deiner ganzen Inbrunst Jubellied -
Seliges Herz, das sich ins All ergoß,
pochst Du oben in den Sternen mit?

Menschensehnsucht, ewiger Überschwang,
gehst Du, nur ein blasses Teil in mir -,
all die Himmel über uns entlang?
Jubelt in uns Blume, Stein und Tier?

Jubelt in den Welten, fern und groß
unsrer Inbrunst seliges Zuzweit? -
Wunschlos sinkt mein Haupt in Deinen Schoß.
Nacht und Sterne - Liebe - Ewigkeit . . .
(S. 142-143)
(9. 08. 1916)

_____



Ave Maria

Du bist der Sommer. Schwellende Wiesen
sind deine Lenden, sind deine Knie.
In deinen ruhig schreitenden Füßen
wiegt sich der Rhythmus nach einer süßen
summenden Erntemelodie -
Du bist das Wachstum, das reifende Sprießen:
Gegrüßet seist du, Marie!

Du bist die Erde. Ewige Kräfte
bergen sich schlummernd in deinem Schoß.
Dein Blut quillt auf wie die steigenden Säfte
in Baum und Wurzel, in Blume und Moos;
dein Blut ist Sehnsucht nach stetem Gebären,
ist Blühen, Gären und strotzende Saat;
es rauscht und raunt wie die Sommerähren,
die fruchtbarer Wind umschmeichelt hat -
Du, ganz mit ahnender Reife beladen:
Du bist voll der Gnaden. -

Quellen des Lebens sind deine Brüste,
Hügel in sommerlich zitternder Glut -
Weingärten trägst du, honigversüßte,
Trauben wandeln in Milch dein Blut -
um deine Haut träumen heimliche Nächte,
müd, schwül und voll schläfriger Gier
und deines Haares schweres Geflechte
es ist ein Wald im Sonnengeflirr,
märchenhaft, seltsam und göttlicher Prächte,
darin man gern begraben sein möchte:
Der Herr ist mit dir!

Du bist eine Landschaft mit Teichen und Auen,
der strahlende Himmel darüber hin,
du benedeite unter den Frauen
ist deiner Augen lächelnder Sinn.
Du bist der Sommer: Reife und Süße,
Bienengesumm und flüsternder Wind,
fernblauer Berg und blumige Wiese,
Abend, der über den Feldern sinnt -
Du bist ein Madonnenbild mitten in Ähren,
und Schnitter beugen vor dir das Knie:
Du Immer-Begehrtsein und Immer-Gewähren:
Gegrüßet seist du, Marie . . .
(S. 143-144)
(Aggsbach Dorf, August 1916)

_____



So sternenklar die Nächte - und so lind
wie Frauenlächeln, welches Gunst bedeutet,
Und doch ist drüberhin ein Glühn gebreitet,
das wirr macht und durch Herz und Sinne rinnt.

Ein Lied verschwiegner Sehnsucht singt der Wind -
Und unten, wo sich still der Garten weitet,
da leuchten Rosen auf - Jasminduft gleitet
durch meine Fenster, die weit offen sind.

Und ist viel heißes Locken in dem süßen,
verwirrend schweren Duft der hellen Nacht.
Als ob von roten, wonnebangen Küssen

die Blumen träumten auf den reifen Wiesen.
So hab ich manche Nacht jetzt zugebracht -
- Und dann - in solcher Zeit - allein sein müssen . . .
(S. 144-145)
_____



Die Nacht war so heiß, so verwirrend und schwer
und mir war so bang ohne dich.
Doch die fremden Lippen brannten so sehr
und die fremden Augen schrien von Begehr
und umlohten mich wild wie ein sturmtolles Meer -
- Und dein Bild, dein fernes, verblich.

Und die Nacht war so heiß - Und flammend und irr
stieg mein langverhaltnes Gelüst . . .
Da hab ich in Rausch und in wütender Gier,
ganz blind vor stammelnder Sehnsucht nach dir -
die Andere geküßt . . .
(S. 145)
_____



Oh du. Ich hab so tief gefehlt an dir. -
Mein Blut, dies wilde Blut, das dich entsetzt,
wenn es je aufrauscht wie in einem Tier,
mein sündig Blut, das alle Sinne hetzt,
ist rasend worden und ging durch mit mir
und hat das Band: "Nur ich und du" zerfetzt.

Nun lieg ich hier vor dir im regenkühlen
Waldlaub - vor dir! - und will nur Eins noch fühlen:
Daß nicht in dir mein Irren geht zur Ruh.
Es soll nicht heut sein, darf nicht heut sein, du
laß mich nur tief in meine Schmach mich wühlen
und deck mich hart mit deinem Schweigen zu!

Dies wird mir gut sein. Denn ich schäm mich so
vor dir in deiner großen, stummen Reinheit,
(ich ganz in Gier und Schande und Gemeinheit
hineingeratener) - Und kann nun nimmermehr
vor Scham ins Aug dir schaun und lieb dich doch so sehr
wie nichts sonst auf der Welt. Mein Augenlicht,
ja meiner Mutter sterbend Angesicht
lieb ich nicht so wie dich, so bang und schwer.
Du aber weißt es doch -! So gib, o gib
nur einen Blick in meinen Kümmernissen!
Denn nun ist Schuld mein Weg, ein Kreuz' mein Lieb -
Willst du nicht deiner Hände süßen Segen
noch einmal auf den Schächerscheitel legen?

Dann will ich gehn und büßen . . .
(S. 145-146)
(1914)

_____



Das kommt jetzt oft in der Nacht über mich:
Ich höre ein dunkles Weinen -
der andern, die ich ließ um dich,
der wird die Seele versteinen

die wird vielleicht aus Scham und Schmerz
darüber als Dirne enden;
und wird ihr armes, mißbrauchtes Herz
erdrücken mit flackernden Händen.

Warum ich nur immer auf Suche geh,
ruhlos und um zu zertreten -
Käm doch der Herbst, oh und käm doch der Schnee,
daß ich still sein könnte und beten.
(S. 146)
_____



Doch ich muß wohl noch lange wandern und ziehn
und betteln mit dürstendem Mund.
Und vor vielen Madonnen am Wege knien,
nur um aufzustehn müde und wund.

Bis einst die strahlende Stunde tagt,
wo der Gnadentraum Fleisch wird und spricht:
Ich bin die Königin, Mutter und Magd,
nach der deine Seele siecht.
(S. 147)
_____



Nun hab ich nichts mehr. Weil ich dich verloren.
Von all den andern, flüchtig hergeweht,
ging ich, wie man aus lauten Nächten geht,
Mit starren Blicken und mit tauben Ohren.

Um dich ward ich ein Bettler vor den Toren.
Nur meine Seele, drin dein Name steht
wie frohe Botschaft und wie ein Gebet:
Sonst hab ich nichts mehr, seit ich dich verloren.

Nur noch vielleicht in schweren Grüblerstunden
ein jähes Jauchzen mitten in mein Leid,
daß ich erst jetzt dein Tiefstes ganz gefunden.

Nun deine Nähe nicht mehr um mich schreit
schwebt still und rein ob allen meinen Wunden
die Glorie geistgewordner Einsamkeit.
(S. 147)
_____



Ja Du, fast glaubt ich, ich sei befreit
von dem qualvollen, inneren Widerstreit:
hie Geist, hie Tier.
Oh Wahn: In frösterlnder Einsamkeit
zerquält sich mein Hirn - Doch das Blut überschreit
alle Sternensehnsucht in mir.

Das Blut will Liebe! - Oh könnten wir rein
und nackt wie die Tiere des Waldes sein!
(Denn wir gehn wie beschmutzt im Geist.)
Geblendet von unsrer Gottsucherpein
stürzen wir uns in das Nichts hinein -
Und die Seele verwaist.

Denn das ist unser Fluch: Wir sind schon zu sehr
Götter! Drum finden wir auch nicht mehr
zur Unschuld der Wälder zurück.
Ja, Götter! - Aber die Himmel stehn leer
und der Weg zu den Sternen ist dunkel und schwer.
Und
hinter uns wartet das Glück.

Sieh den Wind in den Höhn und die Blumen am Rain,
die Bäume im Wald und die Tiere zu zwein,
wie ruhig die in sich sind.
Nur wir gehn immer gequält und allein -
Oh könnten wir doch wie die Tiere sein,
wie die Blumen oder der Wind . . .
(S. 147-148)
(20. 07. 1916)

_____



Ewiger Zwiespalt zwischen Hirn und Lenden,
dunkler Wahn,
wirst du niemals enden?
Laß mich jubeln, leben, lachen, weinen,
nur dem goldnen Heute aufgetan,
blinden Blutes eins sein mit der Einen,
nur mehr Körper, nur mehr Weib und Mann,
selig so, wie es die Tiere meinen:
Schoß in Schoß . . .
Oder laß mich, einsam, hart und groß,
ganz im Geist versteinen.
(S. 148-149)
(23. 07. 1916)

_____



Soll denn die Qual noch höher steigen?
Ist dir des Büßens noch nicht genug?
Fühlst du denn nicht - (Oh die Wälder schweigen -)
Daß ich mein Herz fast zu Grabe trug? -
Wenn ich mich einsam und groß gebärde,
ahn' ihn doch endlich, den armen Betrug!
Selig, ich weiß es, macht nur die Erde.
Keiner, der nicht die Stirn sich zerschlug,
die nur erglühte der weglosen Ferne -
So komm, du, daß ich es wieder lerne,
wie schön die Welt und wie wahr ihr Trug.
Sieh, unerreichbar stehen die Sterne.
Oh komm du! des Büßens ist übergenug!
Denn das ist unser Fluch: Wir sind schon zu sehr
Götter. Drum finden wir auch nicht mehr
zur Unschuld der Wälder zurück.
Ja, Götter! - Aber die Himmel sind leer
und der Weg zu den Sternen ist dunkel und schwer -
Hinter uns verhüllt sich das Glück . . .

Sieh, der Wind in dem Höhn und die Blumen am Rain,
die Bäume im Wald und die Tiere zu zwein,
wie ruhig die in sich sind.
Nur wir gehn immer gequält und allein.
Oh könnten wir doch wie die Tiere sein,
wie die Blumen oder der Wind! - -
(S. 149)
_____



Nun liegt mein Haupt wie einstens
in deinem Schoß.
Und über zwei Versöhnten blaut
der Himmel fleckenlos,

und in zwei wunde Herzen
quillt neues Glück.
Das alte ging in Schuld und Leid:
Ich sehn' es nimmer zurück.

Hätt' sonst ja nie erfahren,
wie süß das ist,
wenn einer wieder Heimat hat,
der so wie ich gebüßt.

Du kehrst in lauter Güte
die Schmach, den Schmerz.
Wie dank ich dir, wie dank ich dir,
du liebes gutes Herz!

Nun liegt mein Haupt wie einstens
in deinem Schoß.
Und über zwei Versöhnten blaut
der Himmel - grenzenlos.
(S. 149-150)
_____



Du nahmst mich auf, so oft ich Heimweh spürte
und wegverwirrt an deiner Schwelle stand
die Augen heiß, die Seele leergebrannt
von fremder Glut, durch die mein Suchen führte,

und hast noch stets verziehn, so schwer ich irrte.
Und hast mir Staub des Wegs und Wüstensand
von Schuh'n und Herz gestreift mit leiser Hand,
bis deine Güte mich zu Tränen rührte.

Und doch - sobald mir irgend Kunde kam
von goldnen Fernen, die kein Wandrer kannte
von Weiten, die kein Menschenmaß noch spannte:

Da wars, daß mich die Sehnsucht mit sich nahm;
die Sehnsucht nach dem fremden Wundergarten
Und meine Seele ging und ließ dich weinen, warten.
(S. 150-151)
(1914)

_____



Herbst

. . . Und ein Abend, schwermutvoll und eigen,
wie die Blicke stiller Frauen sind.
Seltsam liegt der Park. In uns ist Schweigen.
Durch das Dunkel klagt ein leiser Wind.
Meine Augen suchen scheu die deinen,
die gehn über mich hinweg und scheinen
weit in fremdes Land zu schaun. Und sind
groß und träumend . . . Plötzlich muß ich weinen.
Schwer durchs Dunkel klagt der leise Wind . . .
(S. 151)
_____



O du, ich ahn es, was dein Sehnen sucht. -
Das Jahr wird müd, der Schnitter Sänge starben
und über unsern Wäldern düsterfarben
wölbt sich der Himmel schwer und wie verflucht.
O du, ich ahn es, was dein Sehnen sucht:
Verwehte Tage und verblühte Rosen,
das reine Licht, das dieser Sommer barg.
Doch auf den Wiesen stehn die Herbstzeitlosen -
Sei stark!
(S. 151)
_____



. . . Und wir gehn wie einstens die alten Wege
Wie einst meine Hand ich in deine lege.

Jedes Wort wie eh, jeder Kuß so süß
wie der, der uns einst zueinander wies . . .

Und doch - oh doch - eine tiefe Not
macht unsre Seelen stumm und tot.

"Eine tiefe Not, eine heimliche Klage
stimmt unsere Herzen traurig und zage."

Eine Brücke ging golden von mir zu dir,
die ist wohl geborsten in Fehle und Gier.

Nun irrts wie ein Schluchzen verwirrt und bang
und suchend die Ufer der Seelen entlang,

und findet nicht heim. Und die Liebe verwaist.
Über uns rauscht der Strom hin, der "Leben" heißt.
(S. 151-152)
_____



Wird einst ein Ende sein? Wenn Blatt für Blatt
verkrampft und müd ins kalte Schweigen zittert?
Wenn jeder Baum, von Leid und Tod umwittert,
Verzichtsgebärden wie ein Bettler hat -?

O laß dein Fragen, Herz! Mein Herz, sei still!
Noch ist ja Sommer und die Rosen blühen . . .
Magst du in Glück vergehn, in Leid verglühen:
Einst
wird ein Ende sein - Mein Herz sei still. (S. 152)
_____



Das Wasser liegt, so glanzüberhellt
im goldnen Abendscheiden,
als wär sonst nichts als Licht in der Welt,
Licht, das Gott selber in Händen hält;
als wär sonst nichts als Gesang in der Welt,
so süß singt der Wind in den Weiden.
Nur daß mitunter verkrümmt und entstellt
ein Blatt ins schweigende Wasser fällt.
Herbst . . .
Was ist uns so bang, uns beiden - ? -
(S. 152-153)
_____



Wenn die Stunde schlägt - und sie schlägt einmal allen -
Wenn die Wehen des Abschieds ums Herz sich uns krallen,
wenn uns der Einsamkeit Schatten befallen,
tröste uns eins:
Wir gingen selig - verschlungener Hände
durch Frühling - und sommererblü'ndes Gelände -
Ist nun auch Herbst: Sieh, ohne Ende
glücklich ist keins.
Aber über den jungen und alten
Leiden leuchtet in tausend Gestalten
das Leben und lockt mit stets neuen Gewalten
dein Herz und meines . . .
(S. 153)
_____



Wenn ich mitunter jetzt deine schlanken
feingliederigen Hände umfasse -
oder den Blick in jähem Umranken
um Hals und Schultern dir gleiten lasse -:
fühlst du's dann plötzlich, wie ich dich hasse -?

Und doch möcht' ich manchmal vor dich hinknien
und deine, heimlicher Züchtigung volle,
blaßkühle Muttergotteshand küssen
und vor dir weinen und vor dir hilflos sein
und dir beschämt und leise und stammelnder Pein
all meine arme,
zerbrochene Liebe bekennen müssen . . .
(S. 153)
_____



Wozu sich müde quälen
mit Zärtlichkeiten wie mit einer Pflicht?
Laß unsre wunden Seelen
doch eine Weile warten in Verzicht,
daß dieser Liebe Schwelen
nicht ganz im kalten Tag zusammenbricht.

Was ist uns denn geblieben
von all der süßen Sommerseligkeit?
Ein Stück armselig Lieben,
daraus die Lüge und der Alltag schreit -
Was ist uns denn geblieben,
als schlecht verhehlter Armut graues Leid?

Wir, die so viel gegeben,
o viel zu viel einander, viel zu sehr,
nun mangelt unserm Leben
die Kraft zur steten Ein- und Wiederkehr,
kein Traum mehr macht uns schweben,
kein Sehnen ist und auch kein Sonntag mehr.

Wozu sich müde quälen
mit Zärtlichkeiten wie mit einer Pflicht?
Laß unsre wunden Seelen
noch eine Weile warten in Verzicht,
vielleicht, daß aus dem Schwelen
doch sieghaft noch die alte Liebe spricht . . .
(S. 154)
_____



Du aber sprichst:

O laß uns gehn! Es wird ja doch nie mehr
wie in den ersten überseligen Tagen.
Ich kenne diese Blicke voll Entsagen.
Sei ehrlich - laß die müde Gegenwehr.

Du tust, als ob ich nur ein Bettler wär,
den Not und Zwang an deine Tür verschlagen:
Man hört kaum hin, was seine Lippen sagen,
und gibt ihm wie aus Pflicht. Sein Teil - nicht mehr.

Ich will ja keinen Dank - Ich hab dich viel
zu viel geliebt, um feig nach Trost zu rufen.
Laß sein! Ich war dir wie ein Saitenspiel,

ein Rhythmus für dein Lied, das blühen will,
und bin nur eine von den vielen Stufen,
zu deinem harten, fernen, goldnen Ziel . . .
(S. 154-155)
_____



So soll niemehr ein Weg vereint uns sehn? -
Noch faß ichs nicht, so ohne dich zu sein . . .
Du lieber Traum, wie kannst du durch Gebärden
und Worte über Nacht zum Fluche werden,
sodaß wir plötzlich unsre Nacktheit sehn?

Und sind wir denn getrennt von uns befreit
und tragen wir nicht nach wie vor voll Pein
an dieser Lust, einander uns zu
quälen? -
Die wir doch einst geglaubt, daß unsre Seelen
einander vorbestimmt von Ewigkeit . . .
(S. 155)
_____



. . . Und wir gehen noch einmal durch herbsttiefen Wald.

"Wir" - Ich und "Du" - Ja, das Wort ist alt
und gilbt wie das Laub an den Bäumen.
Vor uns droht schweigend die Einsamkeit,
hinter uns geht der Weg in Vergessenheit,
uns bleibt kein Bereun und kein Träumen.

Wohl rauscht noch manchmal in uns das Blut,
wie das Laub um unsre Füße es tut,
Doch der Sommer ist lang zu Ende.
Jedes Blatt ist tot, jeder Trieb verblüht,
jeder Halm so müd, o so sterbensmüd
wie unsre leeren Hände.

Was jetzt noch kommt, ist bitter und schal,
ist Winter und Nacht und erinnernde Qual
an einstiger Lichttage Schimmer.
Was jetzt noch kommt, ist ein letzter Kuß,
ein letztes Kämpfen: Es muß sein, es muß -
Und ein stilles "Leb wohl, Du" für immer.
(S. 155-156)
(1914)

_____



Die Weiden ragen stumm ins Land,
am Himmel stirbt das letzte Licht.
"Du blasse Eine, wein mir nicht!
Auch mich hat nie das Glück gekannt."
Am hartgefrornen Uferrand
hocken zwei Unglücksraben.
"Auch ich werd nirgend Heimstätt haben."
Ein Stern fällt - "Wir sind beide nicht
dran schuld, wenn uns die Seele bricht.
Das Glück, es
wollt' uns nicht.
Leb wohl -!"
Am Himmel stirbt das letzte Licht . . .
(S. 156)
(7. 09.1916)

_____



An eine Unbekannte

Unbekannte, geh mit meinen Träumen!
Weißt Du, was ich für ein Träumer bin?
Sieh, mein Herz schlägt in Getier und Bäumen,
meine Stirne ruht an Wolkensäumen,
aber Du bist meiner
Seele Sinn.

Meine Seele ich für Dich bereitet
als für einen bruderlieben Gast.
Meine Hände, traumhaft ausgebreitet,
warten still, bis sich der Himmel weitet
und Du kommst und bei mir Einkehr hast.

Über meiner Träume goldne Schwellen
sollst Du nackt und blanker Brüste gehn.
Sollst aus meiner Sehnsucht blauer Quellen -
und aus meiner Liebe marmorhellen
Wänden Deine Schönheit spiegeln sehn.

Aber auch in meine dunklen Gründe
und in meine Schmerzen führ ich Dich.
Kampf mit mir und Einsamkeit und Sünde
und die Angst, daß ich Dich nirgend finde,
baun sich schweren Düsters über mich.

Doch Du sollst im Dome meiner Seele
ruhig gehn und blinder Zuversicht.
Breite Säulenkraft der Kapitäle
und der Kuppel hohes Traumgeschwele
hüten Deiner Ampel ewiges Licht.

Unbekannte, geh mit meinem Sehnen,
fühl doch meines Glaubens starken Blick.
Aufwärts steigt der Geist, sich Gott zu wähnen,
unten zuckt mein Herz in Kampf und Trauer.
Aber mittendurch kommst Du - das Glück!
(S. 178-179)
(21. 07. 1917)

_____



Vorfrühling

Ich könnte im Dunkel ein Wort Dir, ein ganz kleines Wörtchen sagen,
wie es die Liebe spricht;
ich könnte mein Suchen, mein Leid Dir und meine Einsamkeit klagen!
Verzicht;
ich könnte entkleidenden Blicks Deine tastenden Wünsche fragen
und - tu es nicht:
Ich will den leisen Duft dieser Stunden nicht blindlings zerschlagen,
wie ein Betrunkener, der ohne Sinne, ohne Glück, ohne Zagen
mit blödem Lächeln an Weg die erste Blume des Frühlings bricht.
(S. 184-185)
(5. 02. 1918)

______



Genie

Weil ich der Böseste bin, ist soviel Güte in mir:
Mein Wesen ist Schatten von Gottes Licht.
Der Himmel weint, wenn ich lächle und
wenn ich erlösend aufschluchze, bricht
irgendwo eine Hölle ein.
Unendliche Sehnsucht ist mein Weg
und Gott ist das Ziel.
Ein Weib aber, das die Liebe will,
muß meine Gnade, mein Heil, mein Sieg
über dem Abgrund der einsamen Erde sein.
(S. 185)
(7. 02. 1918)

_____



Legende aus dem Paradies

Als Gott die Schöpfung ansah, Baum und Hang,
das Meer, die Nacht, den Sonnenuntergang,
da war in allem Güte, Kraft und Sinn!
Und wo ein Samen war, war auch ein Schoß
und alles hatte sein gemeßnes Los
und liebte es und ward gesegnet drin.

Nur den er schuf nach seinem Ebenbild,
der Mensch war einsam - Und des Waldes Wild
mußte dem Wandelnden Gefährte sein.
Er wußte nichts vom Weib und nichts von Gier,
er sah in Unschuld das gesellte Tier
und sprach mit Wolken, Wind und Sonnenschein.

So sah ihn Gott. Da rührte es ihn sehr,
daß Adam so allein. Er legte schwer
auf seine Lider dunklen Schlafes Ruh;
nahm eine Rippe aus des Menschen Leib
und formte sie und schuf daraus - das Weib,
und schloß die Wunde sorgsam wieder zu.

Die Rippe aber, draus das Weib erstand,
war um des Mannes Herz wie eine Wand
gewesen, welche allem Unheil wehrt.
Nun, da er aufgewacht, das Wunder sah,
das Wunder Weib, - So süß, so neu, so nah! -
da ward sein Herz von all dem Glanz betört -

Und hatte keinen Schutz und riß ihn hin
und wie um Gnade zwangs zum Niederknien
in erster Liebe und in erster Not!
Sie aber deckte - wie den Baum die Blust -
sein unbeschütztes Herz mit ihrer Brust,
indes sie ihm den Mund zum Kusse bot . . .
(S. 185-186)
(9. 02. 1918)

_____



Du . . .

Ich möchte ein Lied wohl finden,
das wert meiner Liebe wär.
Ein Lied, wie von Blumengewinden
und Küssen schwer -

Ich kann die Form nicht fassen,
singt auch das Herz immerzu.
Hab nur ein Wort, ohnemaßen
innig und leuchtend -: Du . . .
(S. 187)
(7. 03. 1918)

_____



Liebeslied

Wenn nie mehr die Sonne wär und nie mehr Frühling
und nie, nie Mond mehr über bleichen Dächern,
wenn alle Farben tot und alles Helle:
Ich würde trauern, aber nicht verderben.

Wenn Gott, den ich so schmerzvoll-werbend suchte,
plötzlich gemordet wär in meinem Herzen
oder betrunken läg' vor meiner Schwelle -:
Ich würde weinen, aber weiterwerben.

Wenn nie mehr Deiner Augen süße Quelle
im Schatten meiner dunklen Küsse schliefe
und aufgewacht, nie wieder "trink mich!" riefe -:
ich würde schweigen. Doch ich würde sterben . . .
(S. 189)
(11. 03. 1918)

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Ich kann nicht mehr warten . . .

Ich kann nicht mehr warten.
Meine Liebe ist überreif und bereit.
Meine Sehnsucht ist ein verwüsteter Garten.
Ich kann nicht mehr warten.
Mir ist so traurig, so hoffnungslos schwer,
alles an mir ist Brunst, ist Leid, -
stärker brennen kann ich nicht mehr!
Aber es braucht jetzt kaum mehr ein Wort
und der liebende Brand in Herzen und Hirne
und der heilige Sehnsuchtsglanz meiner Stirne
und
alles verdorrt -
Irgendwo wartet mein Trost schon: Die Dirne.
(S. 189-190)
(17. 03. 1918)

_____



Der Page

Du darfst mich schlagen,
darfst selbst mein Beten
verhöhnen und mit Füßen treten.
Ich aber darf Deine Schleppe tragen,
darf Dich behüten mit Demutsinn
und keine Klage, keine Liebe wagen -
Denn Du bist Königin . . .
(S. 190)
(18. 03. 1918)

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Der letzte Kuss

Ging Deine ganze Seele nicht mit,
als ich nach letztem Kuß
taumelnd von dannen schritt?
Lebensgier, Lebensüberdruß,
Liebe und all meiner Armut Pein
biß ich in diesen wütenden,
einmalig - ewigen bitteren Kuß hinein -
Schmerzvolle Sehnsucht nach Haus
und des Zerrütteten
Angst vor der Zukunft sog ich daraus.
Fühltest Du auch wie ich,
das Unwiederbringliche,
in eins gedrängt Dringliche -
Liebste, sag, Liebste, ist
auch Dir so bang um Dich,
da uns die große Verzweiflung geküßt -?
(S. 190-191)
(19. 03. 1918)

_____



Der Liebsten an einem trüben Wandertag

Ich will Dir sagen, was Du mir bist:
Wenn der Regen fällt auf das Land
und weit geht und mühsam die Wanderschaft
und kein Weg ist lieb und bekannt -

Da gehst Du vor mir im dunklen Wald
wie ein Lied, wie ein Läuten her
und versprichst mir Frieden für Abend und Nacht
und ich fürchte mich nicht mehr.

Ich will Dir sagen, was Du mir bist:
Wenn ich die weite Brust
entgegendehne der ganzen Welt,
wie ein Berg meiner Kraft mir bewußt -

Da bist Du ein Vogel in meiner Hand,
Körperchen, ängstlicher Blick.
An meinen Fingern - sie sind ganz sanft -
hängt Dein Leben, Dein Glück.

Ich will Dir sagen, was Du mir bist:
Spiel in den Stunden der Kraft,
Trost und Ruhe und Hafen im Sturm
und in Stunden der Wanderschaft.

Im grauen Regen ein lauer Hauch,
der von Süden segnend und singend weht,
im Februar ein Blütenstrauch,
der leuchtend am Wegrand steht.

Dein blauer Mantel vor mir im Wind
deckt mir den trüben Himmel zu
und wo Du gehst, wirds licht in der Welt -
Liebste Du - - 
(S. 192-193)
(2. 04. 1918)

_____



Widmung an

Verzeih es mir! -
Immer wieder
rühren Dich meine törichten Lieder,
bettest Du des Frevelnden Haupt
an Deine Brust.
Ich bin mir meiner ganzen Schuld bewußt:
Ich habe Dir alles geraubt:
Ich liege wie ein Vampyr
über Deinem strahlenden Herzen
und trinke Deine Schmerzen
und trinke Dein Blut - -
Satt geworden, von Dir gewandt
gehe ich meiner Wege.
Du aber sorgst nur, daß Deine Hand
sich lind auf meinen Scheitel lege
und daß Dein Blick mir gutes tut,
wenn ich wiederkomme . . .
Was hilfts, Dir zu sagen, wie böse ich bin?
Ich höre Deine bebenden Lippen stammeln
leis - leis -; immer wieder: Ich - liebe - ihn - - 
(S. 193-194)
(20. 06. 1918)

_____



Der Verschmähte

Warum sehen mich deine Augen
so frostig an?
Ich wollte, meine Liebe
hätte dir weh getan.

Ich wollt, ich hätte mißhandelt,
die Sehnsucht in deinem Blut.
Ich wollte, ich wäre gegangen
und würde dir nimmer gut.

Aber ich kann nur weinen
und dir behutsam nahn.
Warum sehen mich deine Augen
wie einen Sträfling an?
(S. 195-196)
(31. 08. 1918)

_____



Liebe

Was daraus wird, wer weiß das wohl?
Vielleicht verläuft es sanft im Sand,
vielleicht zerreißt in wildem Schmerz das Band,
vielleicht macht es das Leben ganz und voll.
Für dieses heiße Heute weiß ich nur:
Ob du mich liebst, mich fliehst, mich nennst, mich träumst -
Ich steh berauscht im Glück der Kreatur
vor dir, die du mit leuchtendem Kontur
die Grenzen meines Lebens liebreich säumst.
(S. 201)
(9. 12. 1918)

_____



Weißt du . . .?

Weißt du, wie ich Dich sehe?
Wie der Mann der Werkstatt
im erwachten Frühling
Blütenbäume, Wiesen,
himmelhelle Wolken
und das weite Land.

Weißt du, wie ich dich höre?
Wie ein lang Gefangner
einen kleinen Vogel,
der im Gitterfenster
seiner armen Zelle
von der Freiheit singt.

Weißt du, wie ich dich fühle?
Wie der blinde Bettler
im Gedräng der Straßen
eines Kindes Hände
warm in seiner Hand.

Weißt du, wie ich dich träume?
Wie der müde Stromer
abends in der Fremde
vor dem Schlafengehen
Mutterns stilles Bild.

Weißt du, wie ich dich liebe?
Wie der todgeweihte,
schmale blasse Knabe
mit der heimlich - süßen,
großen Pagenliebe
dieses Leben liebt.
(S. 201-202)
(15. 12. 1918)

_____



Frage

Kommt es dir nicht wie das Spiel zweier Kinder vor?
Wie ein Märchenspiel,
wie ein Wandern ins Wunderbare?
Und am Ende des Weges steht Gott
in seinem weißen Großvaterhaare
gütig und schlicht
nimmt unsre Hände und führt uns empor
ins Licht -
Oder ist da
ein Dunkles, Tiefes, das dich erschreckt?
Ein Sturm, eine Nacht, ein gespenstiger Schrei,
der sich in unserem Blute versteckt?
Eine Drohung, immer nah:
Ihr büßt es mir, ihr seligen Zwei -?!
Ahnst du vielleicht schon das Golgatha
in deinem Kindergemüt?
Das die Toten aus ihren Gräbern erweckt,
das sich groß wie ein düsterer Rachegeist
(indes der Vorhang des Tempels zerreißt)
aufreckt über den Schädelberg,
über die ganze Welt
und der Liebe Erlösungswerk
schändet; zerschellt - - Ahnst du
die Sünde?
(S. 202-203)
(18. 12. 1918)

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Fluch

Das Herz ist wund, zermartert das Hirn,
ich fürchte die grauen Tage.
Dies letzte Glück, bald liegts zurück
wie eine schöne Sage -
Küß mir die Schwermut von der Stirn,
Geliebte -!

Ich habe zu tief ins Licht gesehn,
was bleibt mir noch zu erwarten?
Mir ist so weh, zum Sterben weh
ich hasse die Rosen im Garten -
Verlaß mich! - Ich kann nur im Dunkel stehn,
Geliebte -!
(S. 204)
(6. 02. 1919)

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Mir träumt manchmal, mein Werk
es wüchse groß und rein,
wohl über Turm und Berg
bis in den Himmel hinein.

Dann kommt von je ein Traum
ich hätte dich geküßt.
Wie da gleich aller Raum
und aller Überraum hinfällig ist.
(S. 209-210)
(12. 05. 1920)

_____



Requiem

Ich denk an Eine, die mich liebte . . .
Ich denke an ein Abendrot,
an einen Himmel, unter dem
Herbst die fallenden Blätter stiebte.

Da stand ich, wo der Kreuzweg geht,
die Dämmerung fiel, ein Stern sank hin.
Noch seh ichs, wie sie schluchzend steht
und ich voll Trauer bin.

Es war ein Abschied. Ihr weher Mund
zuckte, da wir uns weinend geküßt.
Es war dein Mund.

Es war dein Antlitz. Dein Weinen und
es war die ganze, bange Zeit,
die unsre Liebe ist.

Ich hab dich einmal schon gekannt.
Die Wehmut starb, dies Herz gab Ruh;
sie war wie du,
ich hab dich einmal schon gekannt.

Jetzt brennt die Liebe wieder auf,
sie brennt so traurig. So wühlend brennt
mein Herz!
Ich muß mich zwingen, daß nicht mein Schmerz
statt deines Namens ihren nennt.

Ich geh am Tage wie im Traum.
Es ist ein Herbst wie ehedem,
da suche ich nach ihr -
Im Abend bleicht der Himmelsraum,
ich such nach dir!

Diese Liebe ist ein Requiem.
Ein Frösteln weint im Cypressenhain.
Ich möchte sterben - so bang ist mir.
(S. 218-219)
(5. 10. 1920)

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Das dunkle Leben nimmt und wählt nicht viel.
Wie Sturm im Herbst der Blätter braune Flammen
zusammenrafft, so rafft es uns zusammen -
Und streut uns auf die Erde hin wie Samen
aus eines Sämanns Hand.

Jedoch das Ziel,
die Ernte bleibt uns allen unbekannt.
Wie eine Faust, die Gottes Fluch gesandt,
so nimmt das Leben immer neue Herzen
und wirft sie in den ungeheuren Brand
der Schmerzen.

Das hastet dann gehetzt durchs Dasein hin
verbißnen Jammers, tretend und getreten,
über - und durcheinander, ohne Sinn
und wie ein einziger Schrei aus vielen Nöten,
aus Wahn und Weinen, Flüchen und Gebeten
und ist am Ende arm wie am Beginn - -

Und einmal nur vielleicht in tausend Jahren
und abertausend Schicksalen einmal,
daß zwei - ein Mann - ein Weib - den Sinn erfahren.
Zwei, die im Anprall jäh mit wissensklaren
und tiefen Augen ihre letzte Qual
und letzte Lust durchschaun. In deren Küssen
das Gestern sich zum fernen Morgen neigt,
das Unsichtbare sichtbar niedersteigt
und Brücke wird in allen Finsternissen.

Ja, einmal nur vielleicht in tausend Jahren:
Zwei Lebende! Sonst alles nur Gedicht
und Traum und Stückwerk höchstens, das zerbricht -
Nur einmal, einmal nur in tausend Jahren!
Licht! -
(S. 234)
(9. 01. 1917)

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Amor romanticus
Ein Büchlein Sehnsucht
Der Unbekannten von der Wiener Sezession
April 1918

Leitwort

Die Liebe, die erfüllt ist Brust an Brust,
und sich begnügt mit ihrer Wirklichkeit,
die geht dahin und stirbt im Rausch der Lust.

Nur jene, die aus des Verzichtes Leid
aufblüht und sehnend wächst an ihrem Traum,
nur sie ist gnadenvoll und füllt den Raum

und hört nicht auf in alle Ewigkeit.
(S. 289)
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Amor romanticus

Was hast Du denn gesehn, mein Herz?
Licht, nichts als Licht.
Es stand vor mir in blauen Kleides Saum,
in einem wunderblauen Himmelskleid
und einem süßen, süßen Angesicht - -
Ich sah in meinen Lebenstraum:
südlichen Himmel, Palmen, blaublaues Meer,
Meer, tief und weit,
ewigen Stein, heiligen Baum,
von weißer Sonne trunken und schwer -
sah meine Sehnsucht vor mir gehn
von der Schwere der Erde unversehrt
und unversehrt vom langen Leid -
Seliges Herz!
Seliges Herz, was hast Du gehört?
Ich hörte Worte wie Rosen verwehn,
Rosen, Rosen deckten mich ganz -
Erlösungslied, Mondsang aus Himmelshöhn
und leis drin des lieben Engelein Tanz -
Schluchzen des Bluts, Kommen und Gehn:
Das war ihrer Worte tiefer Glanz -
Andächtig Herz!
Andächtig Herz, was hast Du gefühlt?
Lachen und Weinen, Leben und Überfluß,
Aufruhr, in Tränen gestillt,
Gottes besiegelnden, segnenden Bruderkuß,
Liebe für alle Welt, Liebe oh sternengroß
hab ich gefühlt,
"als Deine Hand die ihre zum ersten Male umschloß",
daß ich in Flammen aufjauchzend überfloß -
Brennendes Herz!
Brennendes Herz, und du bleibst stumm?
Stumm vor der Flut des Lichts,
stumm vor des Engels Wort,
stumm vor dem Heiligtum
oh ihres Angesichts - -

Glaubst Du, ich weiß es nicht - Oh Gott, ich weiß doch, warum:
armes geblendetes Herz . . .!
(S. 289-290)
(23. 04. 1918)

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Der Name

Ich weiß ja Deinen Namen nicht,
Doch meine Seele formt ein Wort,
behutsam leise, leis und schlicht,
aufdaß es mir nicht auf den Lippen bricht
und im Werden verdorrt.

Es ist ein Name, so sanft und still
wie Abendhauch über Birken hin,
wie Lächeln, das eben vergehen will,
wie eines Kindes Träumespiel,
drinnen die Sonne schien . . .

Es ist ein Wort, das noch niemand gesagt
und das doch jedem im Herzen gebrannt,
leuchtend erklungen, dunkel erklagt,
und zaghaft von Aug nur zu Auge gewagt;
wenn Sehnsucht ihr Liebstes fand.
(S. 290-291)
(23. 04. 1918)

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Impression

Warum hab ich Dir denn nicht Blumen gebracht?
Warum hab ich Dir denn nicht Verse geschenkt?
War doch mein Leben in Deines versenkt,
seit ich gedacht. - -
- - -
Nun sitzest Du beim Tee mir gegenüber.
Warum nur sprech ich nicht
und starre nach den Scheiben, dran ein trüber,
graugrauer Regen sich unhörbar bricht? - -
- - -
Nun die Stunde naht und Erlösung gewährt,
warum werfe ich mich nicht hin
und bettle, daß die Königin
mein Opfer erhört? - -
- - -
Dein Kleid ist wie ein blauer Märchentraum.
So hab ich immer mir den Tod geträumt:
So blau, so schön, so blütenrot gesäumt,
wie Frühlingsnächte unterm Pfirsichbaum. -
- - -
Dein Antlitz, Fremde, singt niemand ganz.
Die Worte sind zu arm und leer.
Zuviel Dein Antlitz: Sternenglanz,
Mondnacht, Himmel, Erde, Meer - -
- - -
Verse, Dir geschenkt, sind nichts.
Blumen, Dir gebracht, sind Hohn.
Man darf nur demüt'gen Angesichts
knien und beten in hohem Ton
vor dieser Macht des Lichts!
(S. 291-292)
(24. 04. 1918)

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Die Sonne ohne Dich hat keinen Sinn . . .

Du wirst Dich fragen, ob mein Überschwang
vor Dir nicht andrer Dinge Schönheit sang.

Ich aber weiß, daß ich von je her nur
in allem suchte
Deiner Schönheit Spur.

Denn alle Dinge, eh' ich Dich gekannt,
verklärten sich aus deiner Schöpferhand . . .

Wohl ist auch heut noch Frühling, Nacht und Meer,
doch Nacht bleibt schwarz und Frühling blüht nicht mehr.

Ein Wasser ist das Meer jetzt, groß und wüst -
weil du das tiefste Meer der Gnade bist.

Die Sonne ohne Dich hat keinen Sinn -:
Verzeih es mir, daß ich ein Dichter bin.
(S. 292)
(24. 04. 1918)

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Träumend , dein Page zu sein

Platz da! Ich habe mit euch nichts gemein.
Ich bin nicht betrunken von Worten und Wein -:
Ihr
Lächeln mach mich so trunken.
Ich bin von ihrer Schönheit so bleich,
ich bin von ihrer Gnade so reich,
die in mein Leben gesunken.

Ich bin kein Sklave mehr wie ihr.
Was gafft ihr? Kniet nieder und dienet ihr!
Sie ist eine Königin.
Ihre Schönheit ist aus göttlichem Blut,
seht nieder zu Boden! Sie ist zu gut
für euern stumpfen Sinn!

Daß ihr denselben Hauch atmen dürft,
den die blührote Lippe der Königin schlürft -
dankt Gott dafür aus der Ferne!
Ginge es aber - mein Wort! - nach mir,
ihr teiltet nicht lang mehr die Luft mit ihr -
Ich tötete euch gerne!
(S. 293)
_____



Der letzte Reim

Ich darf nicht grübeln, was mit mir wird,
wenn du befiehlst: Geh fort!
Da stirbt das Leben, der Frieden irrt
und alles Blühen verdorrt.

Ich möchte nicht, daß dann Frühling wär,
wo der Himmel so blau wie dein Kleid,
wo die Pfirsichblüten mich allzusehr
erinnerten an mein Leid -

Ich möchte nicht, daß dann Sommer wär . . .
Wie trüg ichs, einsam zu gehn
durch Sonne und Süße und Reife schwer,
da ich Dein Lächeln gesehn -

Und im Herbst? - Da müßt' es am schwersten sein . . .
Wenn rings aus den Nebeln der Tod
mich höhnte,
wozu meiner Sehnsucht Wein
geblüht, gegährt und geloht -

Den Winter erlebt ich wohl nimmermehr . . .
Da deckte kühler Schnee
mein traurig menschliches Ungefähr
und mein göttliches Weh . . .

Doch daß ich Frieden dann hätte? - Kaum . . .
Ich wäre ja nirgend
daheim.
Und müßte Dich suchen: Für meinen Traum
die Krone - den letzten Reim.
(S. 293-294)
(24. 04. 1918)

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Ich habe Lachen und Weinen gefühlt,
Leben und Sterbenshauch.
Ich habe eine
Mutter geliebt,
innig, wie andre auch -

Dich aber sah ich nur einmal
und seh Dich vielleicht nie mehr.
Doch daß ich Dich sah, macht mein Leben groß
und anders als bisher.

Macht, daß in Weisheit und ohne Trotz
mein Herz dem Gott sich gibt:
Da er mir
Dich in Gnaden gezeigt,
weiß ich, daß er mich liebt.
(S. 294)
(24. 04. 1918)

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Brief, der uneröffnet zurückkam

Wenn Du den schwärmenden Knaben
nimmermehr sehen magst:
Ich beuge mein Knie und gehe
mitten durch all mein Wehe;
ins Sterben, wenn Du es sagst.

Doch laß eine Hoffnung mich haben:
Streift Dich der Wunsch nur wie Hauch,
mein tiefstes Herz zu ergründen -
Du weißt dann, wo ich zu finden
und -: Dann rufst Du mich auch.
(S. 295)
(24. 04. 1918)

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Sturz ins Nichts

Mein Leben war in Deiner Hand.
Du hast es genommen
und in den Wind gestreut wie Sand.

Ich werde mein Lächeln nie wieder bekommen.
Ich spüre mit schmerzender Deutlichkeit
die Dinge: Mich selbst, den Raum und die Zeit,
als ob ich heute gestorben und anders wieder geboren wäre:
Die Sinne neu, doch die Seele versteint - - -

Ich habe wohl früher bisweilen geweint,
aber so: Bis ins innerste Leben
war es nie gemeint.
So nie,
so unerlöster, stürzender Schwere,
so abgründig, so verurteilt, wie
kein Weib - wie nur der beraubte Mann
in letzter Blöße weinen kann.
So -: So, wie Gott geweint haben muß,
als er den Fehler entdeckt, den kleinen
Fehler in seiner Schöpfung Guß.

So kann man nur einmal im Leben weinen.
Nachher atmet und lebt man noch,
schläft - wacht, geht - ruht, fällt nieder - kommt hoch
immer, wie es die Welle will . . .
All dies ohne Schmerz, ohne Glück, ohne Ziel -

Es ist das große Verneinen . . .
(S. 295-296)
(25. 04. 1918)

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Es war ein Herz . . .

Es war ein Herz in Schmerz entfacht,
das schrie und tobte durch die Nacht -:
Verlassenheit und Not!

Ich tröstete - : Auf Nacht kommt Licht,
auf Schmerz kommt Lust, auf Lust Verzicht
nach ewigem Gebot.

Da zuckt das Herz: Wie klug Du bist.
Trost ist der Satten billigster Mist -
Ich - wünsche - mir - den
Tod! (S. 296)
(25. 04. 1918)

_____



Flamme aus Schmerz

Ich habe diese Nacht mit mir gerungen
wie Christus - Und der Kelch ging nicht vorbei:
Mein Antlitz wurde steinern. Doch den Schrei
in tiefer Seele hab ich nicht bezwungen.

Kaum ist des Weinens Strom zu staun gelungen.
Ein Cello tönt durch graues Einerlei
und schluchzt, daß nur
der Schmerz das Ewige sei;
und Liebe nur Gefäß, dem Schmerz gedungen.

So will ich leidvoll denn nach innen brennen
und aus mir leuchten wie ein Seraphin,
der Flamme ward aus Gottes Sehnsuchtswehe.

Und wenn ich, allen fremd, einst vor Dir stehe,
wirst Du nicht fragen müssen, wer ich bin: -
An diesem Leuchten wirst Du mich erkennen.
(S. 296-297)
(26. 04. 1918)

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Vergessen im Wein

Sonst war der Wein doch immer gut,
wenn ich vergessen wollte,
wie weh das Leben tut.
Wenn der Sang aufsprang, wenn das Lachen erklang,
wenn das Blut in den Adern prall und drang
die Seele übertollte -
Warum nur geh ich nicht -?
Nur Dich vergesse ich nicht im Wein,
Dich nicht! - Den göttlichen Wiederschein,
vom Traum  nur erkannt und ermessen:
Ganz müßt ich von Gott verlassen sein -
dann könnte ich Dich vergessen.
(S. 297)
(26. 04. 1918)

_____



Verklärung

Ich mußte Dich lassen,
bevor ich Dich fand.
Dein Bild erblühte
vor meiner Schwelle -
und schwand.
Nun weint mein Herz.
Aber jenseits von unserm Begegnen,
in einem blauen Märchenland,
wird mein Schmerz
in leuchtenden Gedichten niederregnen
auf den Frühling
Deiner Seele . . .
(S. 297-298)
(26. 04. 1918)

_____



Die eine Stunde

Die eine Stunde, die mir Gott vergönnt
das Bild von Dir in Wirklichkeit zu schauen,
war allsosehr von starkem Glück verschönt,
daß ich, an solches Schauen nicht gewöhnt,
die Blicke niederschlug in leisem Grauen.

Nun Du gegangen und die Wehmut kam,
darin Du traumessicher weiterlebst,
darf ich Dich anschaun sonder Furcht und Scham,
wie Du auf lichten Füßen, wundersam
durch meinen Himmel schwebst . . .
(S. 298)
(27. 04. 1918)

_____



Das Wunder

Du Traumessüße, es muß nicht sein,
daß wir uns noch einmal begegnen.
Gott läßt, den er liebt, ein Leben "lang" allein,
gießt Galle in des Einsamen Wein,
da -: Plötzlich bricht seine Gnade herein
die verzweifelnde Seele zu segnen.
Die steht dann da wie im Himmelssaal
in ihrer Liebe Krone,
so ganz in Demut, so ohne
Erinnern an ihrer Schmerzen Mal -
Wohl will das Böse den Traum nicht wahr
und sendet Nacht und Fährden.
Die Seele aber, die Gottes klar
aus ihren Wunden ihr Wunder gebar,
die geht verzückt auf Erden,
da sie im Himmel war . . .
(S. 298-299)
(27. 04. 1918)

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Amor redivivus
An S. V.

Stanze

Ich kniee wieder hin vor Dir, dem
Weibe.
Mein Abgewendetsein war ein Verrat.
Verrat an meinem Geist, an Deinem Leibe,
an meines Werkes einsam weher Tat.
Nun will ich, was mein Herz auch Wildes treibe,
nichts sonst mehr sein als ewigem Schoß die Saat,
auf daß nicht unfruchtbar mein Leben bleibe -
Ich kniee wieder hin vor dir, dem Weibe!
(S. 300)
(4. 05. 1918)

_____



Brief an S. V.

Nein, Dir mag ich kein Liebeslied singen!
Nackt
will ich mit Dir in die rote Sünde springen.

Oh, wie es aufbricht, das starke Tier!
Im Spiele sonst verbuhlt und verzettelt,
aus Ketten nun aufgepeitscht steh ich vor Dir.

Wenn ich es niemals empfunden hätte,
was Leben ist:
Wie Schuppen nun fällts von den Augen: Ich staune und bete! -
Nein, Dir
kann ich kein niedliches Liebeslied singen!
Nackt
mußt Du mit mir in die rotrote Sünde springen!
(S. 300)
(25. 05. 1918)

_____



Wenn Du mich selber nicht willst,
nimm wenigstens mein Lied,
daß Du das Weinen fühlst,
das mich durchglüht.

Gib Deine Hand!
Ich weiß ja, es wird Dir schwer.
Ich war, eh Deinen Mund ich fand,
ein Abenteurer - Nicht mehr.

Mir hat das Leben so viel geraubt,
da nahm ich mit frevelndem Mut . . .
Leg Deine Hand auf mein Haupt,
und
mach mich gut! (S. 301)
(27. 03. 1918)

_____



Ich hab Dich lieb, ich hab Dich so lieb - -
Ich bettle um Deine Huld!
Doch eine Andre weint und mahnt:
Aber die Schuld!
Ich möchte stammeln: Gib - gib - gib! -
Da hebt sich stumm hinter mir eine Hand
und aus Tränen gespenstert ein Angesicht -
Ich hab Dich lieb - Ich - hab - Dich - so - lieb - -
Aber die Schuld!! -
(S. 301)
(29. 05. 1918)

_____



Laß mein Herz - Zum Fliehen ists zu spät -
Laß mein Herz in Schuld und dunkler Pein
beten, wachen, weinen, einsam sein!
Sieh, dies ist mein Leben: Wer verrät,
wird verraten. Tue nun mit mir,
was Dir Gott befahl - Er gibt mich Dir.

Über-gibt mich Dir, weil ich gebuhlt
mit der Liebe, die aus Reinheit kam.
Weil ich nahm: In Gierden nahm -
Nur nahm! -
Du sollst Werkzeug sein an meiner Schuld.
Du sollst höhnen, wo mein Herz geglaubt,
Du sollst rauben, wo sonst
ich geraubt . . .

Du sollst
schänden meinen tiefsten Traum,
Nacht gib, wo ich brünstig bat um Licht!
Tauch die Seele bitter in Verzicht,
bis ich haltlos hänge hoch im Raum
und zu Gott aufschreie, weh und schrill
und ihm schwöre, daß ich
rein sein will.

"Wenn mein Herz dann ganz in Deinem steht
dauert ihn vielleicht das viele Weh
und zwei Hände, heilig-kühl wie Schnee,
decken still mein unruhvoll Gebet.
Sei Du Unrast, Folter, Schmach und Pein -
Ich muß wachen, beten, einsam sein! - -"
(S. 301-302)
(29. 05. 1918)

_____



Noch liegt Dämmer

Noch liegt Dämmer über Deinem Geben.
Wie ein langes Schlafen war Dein Leben.
Zaghaft nur kannst Du den Blick erheben.

Fürchte nichts! Die Sonne ist im Steigen!
Sieh, die Gräser Dir zu Füßen neigen
sich vor Deiner Schritte stillem Reigen.

Fürchte nichts - Ich will Dich nicht berücken.
Heb die Blicke auf zu meinen Blicken:
Dein Vertrauen soll den Tag nur schmücken.

Deine Hände endlich in den meinen,
wirst Du nicht mehr grübeln, nicht mehr weinen.
Und im Mittag wirst Du
wie die heilige Himmelssonne scheinen.
(S. 302-303)
(31. 05. 1918)

_____



Wachen, warten - -

Weil ich durch vielen Schmutz ging, blieb mein Sehnen
nach Dir, der Reinen, Einen, immer wach.
Weil ich verkommen war in tiefster Schmach
fand ich beseligt Gott in meinen Tränen.

Weil ich in Sünde wollte Dich erkennen,
kams, daß dein Adel meine Gierde brach - -
Du brauchst die Tür zu Deinem Schlafgemach
- ich biete der Versuchung Trotz! - nur anzulehnen.

Ich werde davor wachen, bis Du nahst
und mich erschreckst in meinem tiefsten Sinnen
und zu mir sprichst: Steh auf und sei mein Gast!

Dann trete ich, in Liebe Dir zu dienen,
als reiner Mensch vor Deiner Schönheit Glast
und bete an -
So will ich Dich gewinnen.
(S. 303)
(31. 05. 1918)

_____



Das Lied, das ich Dir singe,
ist wie die tiefsten Dinge
einfach und anspruchslos.

Doch alles liegt darinnen,
mein Schauen und mein Sinnen,
mein Sehnen, süß und groß.

Ich sing es - Und ein Wehren,
ein Stürmen und Begehren
bricht in der Seele los - :

Liebe, liebste Szeren . . .
(S. 303-304)
(1. 06. 1918)

_____



Tu mit mir, was Du willst! Ich bin bereit,
mich selbst in dieser Liebe zu vernichten.
Ich hab gelernt, zu leiden, zu verzichten.
Und bin erst Ich in der Zerrissenheit.

Du liebst nicht
mich, ich weiß. Du liebst das Leid
in meiner Liebe schmerzlichen Gedichten.
Du hast den Hang zu dunklen Blutgerichten,
die wilde Zirkusgier der Römerzeit.

Nun denn: Ich will den Salto in die Gosse
so prächtig springen, als ich es vermag:
Sei mir im Tod gegrüßt, Du Einzig - Eine!

Verzeih mir nur, wenn ich zu eigner Posse
nicht lächelnd kann und an dem Sarkophag
meines verirrten Lebens heimlich weine . . .
(S. 304)
(3. 06. 1918)

_____



Die Wende

Ich habe mein gläubiges Herz den Frauen geschenkt:
Ich habe mein Leben
an eine schillernde Liebe gehängt - -
 
(3. 06 1918)


Die Lüge war schön . . . Doch nun bin ichs müd
und will einsam werden.
Ich habe geglaubt, in den Frauen sei Gott
und er wandle in ihren Schuhn
hier auf Erden.
Aber ich habe mich ja so oft
von Gott losgesagt,
wenn ich daran war, ihn zu ergründen,
und immer wieder hab ich gehofft,
ihn neu und größer zu finden.
Warum sollt ich es diesmal nicht wieder tun? - -

So sage ich mich los, zerreiße den Pakt
mit Dir, Du launischer, erdhafter Gott,
der hinter der Stirne der Frauen wohnt,
der dumpf im Schoße der Frauen thront -
sage mich los vom Pagentrott,
und will befreit! meine Nacht durchschreiten.

All meine Träume, die gleißenden, lichten, weiten,
reiß ich aus meinem Herzen wie giftige Blüten aus,
um meinem neuen Gotte ein Haus
und eine Stätte zu bereiten.

Schön war die Lüge . . . Der Traum ist aus.
Jenseits der Trümmer meiner Ziele
winkt neuer Wahrheiten blühender Blumenstrauß
und die gottvolle Bergwiesenstille
der Einsamkeit und des großes Verzichts . . .
(S. 304-305)
(5. 06. 1918)

_____



Der arme Reiche

"Du meinst, ich sei arm, weil ich nur
ein ganzes Kleid
habe wie Christus? Mögen sich die Söldner darein
teilen noch zu meinen Lebzeiten!"
Ich bin so reich, daß ich meine Schätze nie werde verlieren können.
Mein Reichtum bist Du und die Erinnerung an Dich.
Wenn mich die Hunde des Alltags und des
kleinen Lebens gejagt und mir alles entrissen
hätten, könnte ich noch in einem Winkel sitzen
und begeistert davon träumen, wieviel ich besaß.
Was ist Gold oder Land oder Ruhm gegen meinen Besitz?
Das Metall Deiner Stimme, dies Blinken und Sprühen und
Tönen ist mehr als alle Schönheit des Goldes;
der schneeige Hang deines Nackens, die süße ver-
schwiegene Bucht Deiner Brüste, der sanfte
Vorfrühling Deiner Hände ist mehr als alle
Seligkeit der Gärten und der Jahreszeiten.
Und wenn Du zu mir sagst: Du liebes, großes
Kind - So ist dies mehr des Ruhms, als ich vertragen kann.
Ich bin ganz stumm vor soviel Reichtum und
muß ihn doch in vielen Liedern verschwenden.
Wenn ich ein Geizhals wäre, möchte ich niemand auch
nur einen Blick auf meine Schätze gönnen. Aber ich gehe
ruhig fort und lasse, was ich habe, seine Zeit allein.
Wiedergekommen, um wie vieles bin ich reicher geworden!
Denke nicht, ich könnte eines Tages fortgehen, irgendwo
im Leben von vorne beginnen und nie wieder
einkehren in meine kostbare Welt!
Denn so reich ich bin, ich muß doch immer wieder zu
Dir kommen und vor Dir betteln in der Einfalt und Demut
meines Herzens.
(S. 305-306)
(12. 06. 1918)

_____



Ich habe gelitten viel an Dir,
gelitten unermessen.
Doch früge Gott mein wundes Herz:
Willst Du Dein Leid vergessen?
(Und wär' ich dann auch blind vor Schmerz)
ich könnt' nicht anders sprechen:
Herr, laß in Sehnsuchtsqual nach ihr
mein Herz noch einmal brechen.
(S. 307)
(10. 06. 1918)

_____



Weil ich Dich liebe, bin ich gern dein Kind.
Weil Du es willst, will ich mein Blut verneinen . . .
Erst wenn Dein Herz auf mein Herz sich besinnt,
will ich Dich,
Weib, mit Deinem Mann vereinen.

Von Deinem mütterlichen Gnadenthron
sollst Du in Demut zu mir niedersteigen
und sollst vor Ehrfurcht im verlornen Sohn
den Herrn erkennen und vor ihm Dich neigen.

Und wenn Du weinst und zitterst in der Schmach,
die meine Kraft an Deiner Sehnsucht übte,
dann will ich Dich
erhöhn, da ich Dich brach:
Ich geb Dir Deinen Thron zurück, Geliebte.
(S. 307)
(12. 06. 1918)

_____



Weil meine Tage ruhig sind und lind
und ich die Tage
zwinge, nicht zu wissen
wie süß die Wunder Deiner Nähe sind,
drum müssen bitter meine Nächte büßen.
Da bäumt das Blut sich auf in wildem Traum
und jede Fiber zuckt von wehen Küssen,
die meine Seele Deiner Seele gibt -
Du weißt, du ahnst es nicht. Am Himmelssaum
in Gottes Frieden schwebt Dein Schlummernachen,
indes ich kämpfe mit dem Höllendrachen
einsamer Unzucht, drin ich fast verbrenne,
und draus erwacht ich schreckensbleich erkenne,
wie wild Dich jeder meiner Sinne liebt.
(S. 307-308)
(13. 06. 1918)

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Die Gäste

Die Türe meines Herzens ist geöffnet und die Gemächer
meiner Seele sind festlich geschmückt.
Kommt, meine lieben Gäste!
Du, verstohlener Blick, der aus ihren Augen
sanft über meine Stirn hingleitet, komm!
Du, zaghaft inniger Händedruck, verhalten -
zärtliche Berührung ihrer Finger, Du Beben
feiner Kniee an meinen Knieen, komm!
Du Traum, der unsere Nächte süß macht und
beklommen, unruhig-süßer Traum,
o komm!
Und Du, mein Ehrengast, Du Honighauch, von ihren
Lippen auf meine Lippen getan, schüchterner
Kuß, komm auch und kehre ein! - -
Geliebte, Deine Zärtlichkeiten sind kühl und
scheu wie der Wind an einem jungen Frühlingsmorgen
Die Türe meines Herzens ist weit geöffnet und
die Gemächer meiner Seele sind festlich geschmückt.
Ich stehe an der Schwelle und blicke wartend hinaus
auf die sonnige Landschaft Deines Lebens . . .
(S. 308)
(2. 06. 1918)

_____



Kette der Sehnsucht

Ach, ich warte! Durch die tausend Jahre
warte ich in meiner Ahnen Kleid
immer, immer auf das Wunderbare,
das wie Mannaschnee vom Himmel schneit.

Ach, ich lebe nur, um mich zu sehnen!
Ach, ich fühle: Eh' des Wunders Rot
strahlend aufersteht aus meinen Tränen,
kommt und nimmt mich mit der stille Tod.

Aber daß dann nicht in trägem Bette
meiner Träume Strom mit mir verrinnt:
Komm, Geliebte! Knüpfe fort die Kette
meiner Sehnsucht: Schenke mir ein Kind!
(S. 309)
(18. 06. 1918)

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Abschied

"Laß mich, eh Du gehst, auf Deinen Mund
einen letzten Kuß der Sehnsucht hauchen.
Niemals war mir noch so weh und wund."

Aus der Tiefe alter Tage tauchen
die Gestalten auf, um die ich litt.
Kann man denn sein Herz so oft mißbrauchen?

Immer ging ein Stück des Lebens mit
und nach jeder Liebe ward ich leerer.
Nun die Sehnsucht
blieb in jedem Schritt.

Jetzt so hüllt mich wie ein grauer, schwerer
Regen meiner Tage Armut ein.
Oh, ich jämmerlicher Herzbetörer!

Nichts mehr schenken können, nichts mehr mein
von dem großen Reichtum allen Gebens.
Willst Du dies? Mein Herz? - Es ist wohl Stein!!

Und die letzte Sehnsucht meines Lebens?
Nimm sie auch und richte sie zugrund!
Alles Warten ist ja doch vergebens.

Was noch kommt, ist mir so bitter kund,
daß das Wort zerreißt auf meinen Lippen:
Laß mir, eh du gehst, noch deinen Mund - -
(S. 309-310)
(30. 06. 1918)

_____



Emma Fröhlich

Weib du, vor dem ich mich fürchte

. . . Doch an den Händen, den grausamen, hab ich Dich
schaudernd geahnt,
seltsames Tier,
das im Töten noch kosend sein Opfer umspannt.

Du mit den lauernden Augen, die keinem ergründbar sind,
Weib:
Dirne, Mutter und Heilige, Freund, Geliebte und Kind -
Tausend Deiner Namen erblühn mir aus grübelnder Pein.
Du aber ragst
wie das Schicksal dunkel und stumm in die Wüste
"Leben" hinein . . .
(S. 313)
(18. 03. 1917)

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Ich hatte den Glauben an die
Tat.
Die wolltest Du nicht.
Ich hab aber auch - so hart es ist -
den Mut zum Verzicht.
(S. 313)
(4. 04. 1917)

_____



Ich wollte Dich mit Seele, Geist und Blut.
Mir war von je das leichte Spiel verhaßt.
Dir aber ward nur zum "Genießen" Mut -
Drum: Wo Du Wirt sein wolltest, bliebst Du Gast.

Was soll nun noch der Kampf? - Du hast gesiegt.
Obwohl - nein,
weil Du für die Tat zu klein.
Doch nun der
Mann zu Deinen Füßen liegt,
Glaub nicht, nur
Sieger dürfen edel sein.

Es wird mir schwer - (Ich hab Dir nie gezeigt,
wie lieb Du meiner dunklen Seele bist.)
Doch will ich kämpfen, bis die Stimme schweigt
und all Dein Klang in mir erstorben ist.

Daß Deine Seele einmal mich geküßt
und daß ich weine - Du vergißt es wohl.
Ich aber geh den Weg wie Jesus Christ;
den Weg nach Golgatha . . .
Oh Du - Leb - wohl - -
(S. 313-314)
(4. 04. 1917)

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"Und aus der Not des Alltags gehoben,
täglich in neuer Gefährtenschaft,
die Fäuste am Werk, die Blicke nach oben,
glühend von
einer heiligen Kraft,
bebend von
einem mächtigen Sehnen,
das uns im Anfang der Ewige gab,
so wirds gelingen: Schönheit aus Tränen,
Fülle wird fluten den Abgrund hinab,
den sie erschauernd, 'das Leben' nennen . . ."
(S. 314)
(10. 04. 1917)

_____



Heiliger Wald

Geh in Ehrfurcht durch den hohen Wald!
Jeder Fleck, den Deine Füße treten,
ist geheiligt von der Spur des Herrn.

Wo die Sterne zarter Blumen leuchten,
und das Gras in üppigen Büscheln schießt,
küßten irgend sich zwei selige Menschen,

gab sich Liebe, rauschend, schwer und heiß
einer andern und Gott selber wachte
um der Ichvergeßnen Unschuld her -

Wo nun Harz aus aufgerissener Rinde
langsam blutet, stand ein Mann vielleicht
an den Stamm geschmiegt und sein vergebnes,

wundgewühltes Sehnen um ein Weib
drang wie Herzschlag in des Baumes Krone,
rann wie Wundenblut um sein Geäst,

und wo nun die Sonnenflecke zittern,
hat vielleicht in sturmdurchbraustem Chor
sich ein Mensch zu seinem Gott gefunden -

Einer, der in Zweifeln ihn verlor . . .
(S. 314-315)
(9./10. 04. 1917)

_____



Bereitschaft

Wie wenn Blut sich in Sehnsucht und dunkler Gewalt
in eines zeugenden Mannes prallen Stirnadern ballt,
rauschen und stürzen die Bäche im herben, erwachenden Wald.

Aber der Bäume wie Kerzen gestrecktes, nacktes Geäst,
dran schon drängende Fülle die Knospen sich auftuen läßt,
das sind Jungfrauenbrüste; steil, Kind erwartend und fest.

Tausend blaßgelber Primeln, wie Sterne vom Himmel geweht
und in der samtenen Wiesen wellige Fernen gesät,
blühn schon als bräutlicher Schmuck um der Erde
weit offenes Bett . . .
(S. 315)
(9./10. 04. 1917
)
_____



Die eine Stunde . . .

Immer nur wie ein Raub, die Stunde mit Dir allein,
die heimliche Stunde schüchternes Zuzwein,
wenn mein Traum zu dir stammelt . . .
Und doch - Oh Du: Alle Martyrerpein,
aller Gequälten ohnmächtig-stockendes Schrein
ist in diese Stunde gesammelt.

Allalles Licht, aller Himmel fließender Schein,
in dieser
einen Stunde brichts über mich herein
und ich kann mich nicht wehren.
Und die arme, die dunkle Seele erträgt es kaum
und tastet in Wirrsal und geht wie in Fieber und Traum
vor Deinen Gnaden und Ehren.

Ja, Du voll der Gnaden, süßesten Traumes Gesicht,
willst Du die Seele, willst Du mein Augenlicht,
sieh - was soll ich Dir geben . . .?
Du leuchtende Fackel, Du flammender Feuerhauch,
seit ich Dich träume, brennt meine Fackel auch,
steigt wie ein ungeheuerer, heiliger Opferrauch
um Dich in die Himmel mein Leben . . .
(S. 316)
(10. 04. 1917)

_____



Unter einem blühenden Baum

Mein dunkles Herz, mein Herz, gib Ruh!
Das große Blühen deckt Dich zu
und deckt Dich süß und schwer -
Mein dunkles Herz, was sinnt Dein Traum,
sieh doch den Baum, den blühenden Baum -
- Den Baum . . .!

Und horch nur, horch: Der liebe Klang!
Ein Vogel singt, so froh so bang,
und schluchzt und jauchzt so sehr.
Mein dunkles Herz, so sing doch mit
das lichte Lied, das blühende Lied -
- Das Lied . . .
(S. 316-317)
(2. 05. 1917)

_____



Leises Liebeslied

Geht ein leises Lied im Wind:
Du - liebst Du mich?
Stunde kommt und Stunde rinnt,
laß mir Deine Hände, Kind -
So: Nur Du und ich . . .

Deine Hände sind so gut.
Sind so tröstlich wie
kindheitsferne Mutterhut.
Meiner Zärtlichkeiten Glut
betet leis für sie.

Betet, daß ihr sanftes Glühn
nimmermehr vergeh;
daß sie einst noch träumend blühn,
wenn ich schon nach Sturm und Mühn
fahl im Herbste steh . . .
(S. 317)
(17. 03. 1917)

_____



Dank

Wie viel ich auch stammeln mag,
ich kann Dirs doch nicht nennen:
Von Tag zu Tag
heller dies Brennen -

Von Stund zu Stund
reicher Dein Geben;
und war doch schon so wund
an meinem kleinen Leben.

Du kommst, und rührst nur die Hand
und aller Unfried wird stumm.
Trost, den ich nirgend fand,
Du weißt darum -

Kommst und neigst nur den Blick
und mein Weh will singen in mir,
Frieden Du, Heimat und Glück;
ich danke Dir!
(S. 317-318)
(20. 05. 1917)

_____



Nun singt der Abend . . .

Nun singt der Abend ein blühendes Lied,
dunkel und düfteschwer.
Ich geh verloren, geh selig-müd,
mich quält kein Wünschen mehr.

Die gestrige Nacht! Oh die gestrige Nacht!
Wie Traum glitt alles vorbei.
So reich, so süß - hab's nie gedacht -
Du lichter Mai!

Das klingt und jubelt mir im Schritt,
das lockt und schmeichelt: Oh bleib! -
Jetzt singt der Abend das blühende Lied
von Deinem süßen Leib.
(S. 318)
(Ende Mai 1917)

_____



Abschied

Sie ging noch mit mir bis zum letzten Haus,
wo uns niemand vom Dorf mehr sah.
Eine Amsel sang in den Abend hinaus
und der Wald stand schweigend nah.

Dann, unterm blühenden Holzbirnbaum
standen wir fern vom Glück!
küßten uns einmal noch, zag, wie im Traum,
und noch einmal - Dann ging sie zurück.

Und die Amsel schluchzte. Da ging auch ich
und ging. Ging tief in das Leid -
Im dämmernden Abend schwand und verblich
ihr lichtes Kleid.
(S. 318-319)
(Ende Mai 1917)

_____



Verlorene Seele

Mein Herz schlägt wirr in die Nacht hinaus -
Was hast Du mir denn gegeben?
Deinen Mund, Deinen Kuß, Deinen dunklen Schoß,
Deine blanken Brüste zu heißem Gekos! -
Aber Dein Leben -?

Dein Leben ging weiter den eigenen Gang -
Und Deine Seele -?
Die war mir wohl einstens im tiefsten verwandt,
eh meine Hand in die Deine sich fand
zu Qual und gemeinsamer Fehle -

Doch nun, wie kommts nun, daß weit hinter mir
die Seele Dein wie verweht ist?
Verweht wie ein Klang, der den Träumer umspann
und den er nun nirgend mehr finden kann,
weil es - zum Suchen zu spät ist . . .
(S. 319)
(21. 06. 1917)

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Ich will für Dich
ein Liebeslied singen.
Das soll wie ferner Geigenstrich
Dir leis an die Seele dringen:

Ich lieg im Wald. Aus dunklen Zyklamen
sieht Dein träumender Blick mich an.
Der Wind über mir rauscht Deinen Namen
die Gräser nicken und flüstern: Amen
und alles ist Dir aufgetan.

Denn weißt Du, der Wald und ich, wir sind Brüder.
Er sieht
die dunklen Tränen und hört die Lieder,
die dunklen Lieder von meinem Sehnen
und singt sie mit.

Und da wir singen die heilige Weise:
Du - Du - Du - -
kommt noch ein Dritter, neigt sich leise
und hört uns zu.
Wir fühlen ihn nur, wir sehen ihn nicht,
der Schatten von seinem Angesicht
geht über die ganze Erde! . . .
Jedoch in unseren Zwiegesang
klingt plötzlich ein neuer, urtiefer Klang
und singt: Es werde . . .

Ich will für Dich
ein Liebeslied singen.
Das soll wie ferner Geigenstrich
Dir leis an die Seele dringen:

Zitternde Melodie ist mein Herz,
der Wald stimmt ein in brausender Terz,
Gott aber führt mein Sehnen
mit dunkelen Cellotönen
durch Nacht und Tiefe heimatwärts.
(S. 322-323)
(13. 08. 1917)

_____



Sind wir so schlecht? . . .

Sind wir so schlecht, daß unsre arme Liebe
im tiefen Walde sich verbergen muß?
Daß wir uns treffen müssen wie die Diebe
in banger Nacht? Ist nicht in unserm Kuß
die gleiche Sehnsucht, die selbst nackte Bäume
im Frühjahr ganz mit Blüten überdeckt,
die Sehnsucht, die auch unsre dunklen Träume
verklärt und heiligt und zu Gott hinträgt -?
Sind wir so schlecht, weil diese Zeit der Knechte
die Freude sich zu drosseln unterfing,
so daß dem vielmißhandelten Geschlechte
die Kraft vor Unnatur in Trümmer ging?
Ist denn nicht auch für uns zum Gott geworden,
die Liebe, die sich noch im Tode gibt,
da soviel Sehnsucht stirbt in bleichen Morden,
die Dummheit, Haß und Lüge an ihr übt -?
Sind wir so schlecht, weil wir den Weg nicht wählten,
den die Gesetzlichkeit der Vielen geht?
Was wir in süßem Drang des Blutes fehlten,
wird gut durch unsrer Inbrunst heiß Gebet.
Ihr aber habt die Wonnen Glückvermählter
zu Fluch, zu Angst gewandelt und Gespött:
Die Liebe flieht verhüllt in dunkle Wälder -
Die Dirne aber thront im Ehebett.
(S. 323)
(13. 09. 1917)

_____



Impression beim Lesen ihrer Briefe

Meine Seele ist traurig bis zum Tode -
ich bin - allein wie nie vordem -

Ich lese nur mehr in deinen Briefen.
War ich ein Stein, oder war ich blind?
Der dunkle Herbst wird mich begraben.
Der Schneewind singt mein Requiem.

Meine Seele wird lebend im Grab liegen müssen;
ewig müde und ohne Ruh.
Ewig kommen deine Worte
und fallen auf mein erschrockenes Herz.

Deine leisen, entsagensseligen Worte.
Deine lauten Worte voll Kampf und Schmerz;
deine tiefsten, unausgesprochenen Worte
kommen, kommen und decken mich zu,

doch meine Seele kann nicht sterben,
wenn auch mein Blut vor Reue gerinnt.
Ich habe zu viel an dir gesündigt:
Dein Weinen weint in jeden Wind.

Daß du mich doch verachten könntest.
Dann hätte ich Frieden in meiner Not.
Doch du . . . warum mußt du mich lieben
So lieben - Du! - O wär ich tot.
(S. 324)
(8. 10. 1917)

_____



Ehe

Du, der ich gläubig mich nun anvertraue,
begreifst Du endlich Dein und meine Pflicht?
"Wir" heißt der Dom, an dem ich mit Dir baue!

Sind wir nun reif? Belügen wir uns nicht!
Irren ist Schuld und Schuld heischt ewig Sühne.
Nur Liebe,
reine Liebe rächt sich nicht.

Und nur, wenn ich Dir ganz in
Klarheit diene,
und Du mir dienst zu unsrer großen Tat,
weitet zum Himmel sich des Lebens Bühne -

Ein
Bett: Die Welt, die keine Grenzen hat - -
(S. 324-325)
(Ende Oktober 1917)

_____



Ein Abschied

Hieltest zum Kusse den Mund mir hin -
Mitten in meiner Nacht
war eine Stunde Erfüllung und Blühn;
nun aber laß mich weiterziehn -
Ich - bin - erwacht!

Könnte ja sein, daß aus Deinem Haar
ein Sternregen fällt auf mein Herz,
der leuchten macht, was voll Tränen war.
Denn Liebe ist immer wunderbar -
Aber: ich glaub nur dem Schmerz.
(S. 325)
(9. 01. 1918)

_____



Widmung für E. F.

Unsre Liebe ist kein Überschwang
und kein Rausch der dunklen Lüste mehr.
Still geworden in uns Sturm und Drang,
stiller auch das Leben um uns her -:
Hält uns nun in ruhigem Verband
des Verstehns und des Verzeihns Gewähr -
Jenseits von des Blutes Ungefähr
geben sich zwei Menschen schlicht die Hand.
(S. 325)
(2. 05. 1918)

_____



Hochflut
E. F.

Der Himmel ist schwer, es regnet ohne Ende.
Die Tiere verkriechen sich tief in den Wald;
ich habe nichts, wohin ich mich auch wende,
daß es mir Feuer für den Abend
und Ruhe in den stürmischen Nächten spende.
Der Weg zu Deinem Herd
ist von stürzenden Bächen
verschüttert und versperrt.
Die Stützen meiner Seele
wanken und brechen,
immer höher steigt die schmutzige Flut
empor an meinem Leib.
Es regnet ohne Ende - -
Mein Weib,
wo sind Deine hütenden Hände?
(S. 326)
(2. 07. 1918)

_____



Vorfrühling

Spürst du das leise Grün? Fühlst du die Knospen am Strauch:
ahnst du den weiten Wind? -
Liebste, o still! Liebe ist nur ein Hauch.

Hörst du die Stille? Tief, einzig und groß,
wie unsre Träume sind -
Sprich nicht! Jetzt nicht! Liebe ist Lauschen bloß.

Siehst du die Wolke inmitten unendlichen Blau's
wehen und wandern, Kind? -
Kehren wir um! Liebe ist Sehnsucht nach Haus.
(S. 429)
(etwa Februar 1923)

_____



Kuß

. . . Und der Schleier zerreißt
und es ist nicht Mann mehr, nicht Weib.
Alles ein Leib,
alles ein Geist,
ein Rausch wie voll süßesten Weines.
Und dann: Ein Versinken in purpurnem Meer
und nun brandet - durch die Unendlichkeit her -
ein Lippenpaar an meines.
(S. 445)
(6. 02. 1919)

_____



Liebe

Der Mensch ist einsam. Aber soweit
Liebe vermag, eine Brücke zu sein,
laß uns geh'n - Hold ist der Schein! -

Der Mensch ist nicht zu bessern. Allein,
da wohl das Böse so lange schweigt,
als wir in Liebe einander geneigt:
versuchen wir wenigstens, gut zu sein.

Der Mensch ist unzulänglich. Doch mag,
weil ja Liebe ein Wunder ist,
(wenn du und ich nur gläubig bist,)
vollkommen sein - Ein Tag!
(S. 482-483)
_____



Das Antlitz

Versunken in dein Gesicht,
warte ich, während du langsam entbrennst;
suche ich etwas, das du nicht kennst:
Ferne ein Licht.

Du bist für mich nur ein Schritt,
ein Weg erst von Dunkel umfaßt.
Aber mein Glaube geht mit,
weil du den Glauben hast.

Und wie du, schneller entbrannt,
heller auf dunklen Weg wirfst den Schein,
seh ich durch dich und mich
(weit glänzt der Liebe Land)
in das Antlitz Gottes hinein.
(S. 501)
(September 1922)

_____



Traum

Dein Haar verhüllt den Abgrund der Welt.
Von meinem Herzen fällt
der schwere Stein.
Du trinkst mich ein.
Ich bin nicht mehr ich,
nicht mehr allein.
Ich gehe durch einen Garten dicht,
es wölbt ein Tor sich blumenlicht,
ich sehe meine Mutter gehn,
sie lächelt.
Gütiger Abendwind fächelt
durch Bäume, die in Blüten stehn . . .
Und wartet Gott am Himmelssaum.
Sprich nicht! Sprich nicht -
Jetzt schweben wir.
Es ist so gut, ist Heimat hier . . .

Dies ist der Traum
von deinem Angesicht -
(S. 501-502)
(1921)

_____



Die Sonne jubiliert im Laub. Der Flieder
blüht göttlich leuchtend wie im Paradies.
Er führt mich an der Hand. Er neigt sich nieder,
sein Mund streift meinen Mund, der sich ihm ließ.

Da geht ein Beben durch das sanfte Land,
die Türme stürzen, und die Ströme schießen.
Ich bin durch alle Himmel ausgespannt
und - o vorbei! - O dies Im - Traum - nur - wissen!
Wer wird es sein?
Wann wird es sein?
Werd ich - dann! weinen müssen?
(S. 503)
(22. 03. 1921)

_____



Liebe

Durch allen Schmutz der Welt
geht ein Traum.
Von Masken ist der Himmelssaum
rings umstellt.

Sind alle mein Gesicht:
Das frech getragne Leid,
die gräßlich graue Zeit,
die heuchlerische Pflicht.

Durch all das Chaos aber bricht
in einer Sehnsucht namenlos
ein Laut, der stammelnd: Liebe! spricht:
Tief fällt in deinen Schoß
dies Wort - Mein wahres Angesicht.
(S. 506)
(April 1922)

_____



Sommer

Geliebte, gib mir deine Hand.
Der Weg liegt weit.
Schwarz steigt und schwer des Waldes Wand.

Die Büsche, die im Abend stehn,
sind bang bereit.
Das sanfte Land erwartet wen.

Die Sterne hangen hoch und fern
auf Nacht gereiht.
Der leuchtendste ist unser Stern.

Die dunkle Wiese schauert fromm.
Es ist die Zeit.
Es rauscht das Blut. Geliebte, komm!
(S. 523)
_____



Mich macht verwirrt, Geliebte, dein Gesicht -
Es ist wie Frühlingsmorgen reich zu schaun,
ich bebe wie ein Baum im Sonnenlicht,
nach deinen Blicken, die mich überblaun,
es macht mich schwer und tief die Zuversicht
rasender Lippen, die sich mir vertraun.

So wunderbar hast du mein Blut bewegt:
Über den Wall des Alltags springt mein Herz.
Schmiege dein Ohr daran! - Wie stark es schlägt.
Mein Traum erhebt es höherwärts.
Sonst war es trüb, jetzt ist es reingefegt.
Neu und voll Hoffnung wie die Saat im März.

Geliebte, Dank! Du gibst mir wieder Sinn.
Auf deinen Scheitel sammle ich Werk und Tun.
Berufe mich, so wird mein Herz nicht ruhn,
in dich hinlebend, aus dir aufzublühn.
(S. 531)
(17. 02. 1924)

_____



Das Hohe Lied
(3. bis 13. 12. 1916)

I.

Sulamith:

Küß mich mit Küssen von Deinem Mund!
denn Deine Küsse sind süßer als Wein.
Wie ausgegossener Balsam und
wie Nardenduft tut Dein Name sich kund,
drum müssen Dir alle zuliebe sein.
Oh, führe mich, König, in dein Gemach,
so will ich frohlocken und Deiner mich freun -
führ mich, erzieh mich, ich strebe Dir nach . . .!

Sieh, dunkel wie Nachthimmel ist meine Haut,
doch zart wie ein Teppich zu Deinem Gezelt;
vom Lichte gebräunt und vom Regen betaut,
so ging ich vor meiner Brüder Gechelt
und habe der Zürnenden Weinberg bestellt -
Wer ließ mich hüten den Weinberg, der mein?

Du, dessen Küsse so köstlich wie Wein,
o sag mir, wo ruht Deine Herde?!
aufdaß ich nicht irre, in Scham und in Pein
gebeugt zu der Spur der Gesellen Dein -
Oh, sag mir, des Liebe süßer als Wein,
wo ich Dich finden werde!

Salomo:
Du Holde, wer bist Du? Dein Hals erglüht
wie Bronze durch der Perlen Gewinde,
Aus Schnüren und Spangen leuchtet und lockt
Dein Mund, daß der König ihn finde -:
O hüllt ich um Dich auch Spangen aus Gold
und silberne Ketten-Gehänge.
All ihren Glanz überjauchzten doch
Deiner zärtlichen Augen Gesänge.

Sulamith:
Eja, mein König, nimm Deine Magd!
Sieh, immer hat nur nach Dir geklagt
mein bebendes Blut.
Sei wie ein Feuer, das mich versengt,
ein Myrrhenbündel, das selig beengt
mir zwischen den Brüsten ruht -
Du Traube von Ejngedis' Flur,
wie der Nardenduft, wie Nardenhauchspur
wallt Dir entgegen mein Blut.

Salomo:
Wie schön Du bist, wenn Deines Blutes Nacht
Dich überströmt mit immer dunklern Flammen!
Gott nahm um Dich sein ganzes Licht zusammen:
Er hat die Erde für Dich blühn gemacht,
Er hat die Cedern eingepflanzt zu messen
an ihren Wänden Deiner Prächte Last
und hat die dunkelschattenden Cypressen
aufragen lassen, daß Du auserlesen
für Deine Liebe eine Halle hast -
So schön bist Du, daß selbst des Himmels Weite
sich niedersenkt und Deinen Blicken dient.
Die Blumen sind nur Saum zu Deinem Kleide.
Die Wälder jubeln - Unser Bette grüßt . . .


II.

Sulamith:
Ich bin vor Dir nur das bloße,
kleidlose Weib.
Wie die "schmächtige" Herbstzeitlose
sehnt sich mein brauner Leib.

Ich bin vor Dir nur ein armes,
bittendes Kind.
Dornenumwucherten Harmes
ein kleines Blühn im Wind -

Du über meinem Schoße
selig - vergeßner Verbleib:
Ich bin vor Dir nur das bloße,
hüllennlose Weib . . .

Salomo:
Du ewig Zeitenlose!
Du makellose Rose,
Du Kind, vor dessen Schoße
ein König kniet.

Du Große, Zeitenlose!
Du hohes Lied,
Gefäß, in dessen Schoße
die Wurzel "Leben" glüht:
Oh Du, das Ewig-Große
in Schönheit Zeitenlose -
Du hohes Lied!

Sulamith:
Oh, daß ich nie aus dem holden Traum,
süßen, erwachen möchte!
So liegt seine Linke mir unterm Haupt,
es herzt mich seine Rechte.

Mein Liebster ist ein schattender Baum:
Es ruhn unter ihm meine Füße.
Der Baum trägt schwere und goldene Frucht,
die ist meinem Gaumen süße.
Mein Liebster labt mich mit Blumen und Wein,
da ich nach ihm mich betrübe. -
Sei doch sein Schatten stets über mir!
Denn ich bin krank vor Liebe!

Salomo:
Oh komm, meine Freundin, der Frühling ruft.
Hörst Du die Tauben girren?
Oh Lipp zu Lippe, oh Duft zu Duft,
und alles umflutet von singender Luft
und Liebe und Jubilieren.

Sieh, Wohlgeruch streuet der blühende Wein,
schon färben sich rötlich die Feigen.
Nun will ich ganz in das Antlitz Dein
mich senken und ganz nur mehr Lauschen sein.
Deiner Stimme trunkenem Reigen.

Und will mit Andacht und seligem Schaun
in den blühenden Weinberg treten.
Du blühender Weinberg, Du liebste der Fraun,
oh, zu dem warmen, lebendigen Braun
Deines nackten Leibes zu beten!

Sulamith:
Nun aus den Tälern Schweigen rinnt,
und abendliche Röte
der Betherberge Dust umspinnt:
Nun kehre heim, Geliebter!

Oh, kehre heim mit flüchtigem Fuß,
daß uns der Liebe Überfluß
nicht töte!

Ich bin ja Dein und Du bist mein,
Geliebter!

Nun aus den Tälern Kühle rinnt
und unsrer Sehnsucht Lieder
nur noch ein stilles Klingen sind:
Kehr heim -
Und morgen komme wieder . . .!


III.

Sulamith:
Des Nachts in meinem Bette sucht ich ihn,
den meine Seele liebet;
des Nachts die Straßen und die Plätze hin.

Ich rief ihn laut mit flehendem Gesicht,
den meine Seele liebet
und sucht' und suchte ihn und fand ihn nicht.

Die Wächter fragt ich: Habt ihr ihn gesehn,
den meine Seele liebet? -
Sie ließen ratlos mich vorübergehn.

Doch kaum vorüber - Sieh, da kam er her,
den meine Seele liebet.
Nun halt ich ihn und lasse ihn nicht mehr.

Oh, halte ihn und durch Not und Todesgraun,
den meine Seele liebet,
bis ich ihn bring in meiner Mutter Haus . . .

Salomo:
Du süßes hingegebnes Gesicht!
Ihr Töchter von Jerusalem, geht still
und weckt mir meine liebste Freundin nicht!

Ihr Töchter von Jerusalem, geht still! - -
Sie wird erwachen unter meinem Licht,
bis sie es selbst und bis die Liebe will . . .

Sulamith:
Ein Brautbett hat sich mein König gemacht.
Das ist mit purpurner Pracht überdacht
und ruht auf silbernen Säulen.
Der Tapfersten sechzig halten drum Wacht.

Von Libanons Holze ist das Gestell
die Mitte gepolstert mit schwellendem Fell
der Tochter Jerusalems wegen;
es leuchtet die Lehne: Ein goldener Quell.

Kommt, Zions Töchter, kommt und schaut
nach Salomo, nach dem Freunde traut,
nach dem Könige hin in der Krone! -
Ich bin seine Liebste, bin seine Braut . . .


IV.

Salomo:
Du bist die Schönheit. Deine Augen sind
wie Taubenaugen, zärtlich, sanft und lächelnd.
Dein Haar umspielt Dich fächelnd wie ein Wind
und wie ihr Fell die vielen Ziegen, welche
am Berge Gilead gelagert sind.

Sieh, Deiner Zähne festgefügte Reihen
sind blank wie junge Schafe nach der Schur:
kaum aus dem Bad gestiegen, zwei zu zweien.
Sie sind wie Blütenschnee im milden Maien
jedwede Reihe eine Perlenschnur.

Die Lippen Dein, sie gleichen Purpurfaden.
Dein süßer Mund singt Deiner Anmut Preis.
Durch zarten Schleier schimmernd heimlich-leis
die Wangen Dir und sind wie hundert Gnaden,
sind wie Dein Blut so dunkel und so heiß.

Und erst Dein Hals: Wie wenn mit sanften Schwingen
ein Abend über Hügelland sich senkt -
So ganz noch Sehnsucht, so schon ganz Durchdringen,
sich seine Zärtlichkeit den Brüsten schenkt -
Oh, diesen Knospen, die nicht auszusingen.

Denn solcher Schönheit Lob, wer sagt es klar,
wer kann es singen, ohne daß er leidet?
Da ihn ihr Glanz doch so mit Licht umkleidet,
daß er nicht weiß, was wird, was ist, was war -
Oh, dieser Brüste lieblich Lämmerpaar,
das unter Lilien weidet . . .

Sulamith:
Wenn kühler wird der Tag
und sich die Schatten neigen.
Will ich, mein Freund, mit Dir
den Myrrhenberg besteigen
"Oh, komm mit mir".

Die Weihrauchhügel schweigen
und duften schwül und schwer,
die tiefen Schatten neigen
sich lockend her.
Oh komm! -
Ich bin Dir ganz zu eigen.

Salomo:
Oh Du, die ohne Makel, ohne Fehle,
oh komm mit mir herab vom Libanon!
Zutiefst verwundet hast Du mir die Seele,
versengt mein Herz durch Deines Bluts Geschwele,
durch einen einzigen Deiner Blicke schon -

Was ist mir ohne Dich mein Reich, mein Thron?

So komm! Sieh Deiner Küsse Liebkosungen
sind viel berauschender denn süßer Wein -
Wie Milch und Honig sind die Lippen Dein
und so Dein Mund: Gleich einem edlen Schrein
voll Wohlgerüchen - Sieh mich ganz bezwungen,
Du meine Braut, Du liebe Schwester mein;

Du Garten Leben, der verschlossen blühte,
bis ihn Dein Freund, Dein König öffnen kam:
Du Urquell Liebe, der sich fast versprühte,
weil niemand seines klaren Wassers nahm;
Du Feuerborn, der unter Siegeln glühte . . .

Sulamith:
Auf Nordwind! Südwind auf! -
Oh, weht in sanftem Steigen
durch meinen Garten hin,
daß aller Düfte Reigen
um meinen Liebsten sprühn:
Sieh, alle Blüten neigen
sich Dir und werden Frucht,
der Garten steht in Schweigen
und sehnt . . . und sucht . . .
Oh, komm!
Er ist Dir ganz zu eigen!


V.

Salomo:
Ich komme, Schwester, und kehre ein
in meines Gartens Freude.
Süße Milch, oh, süßer Wein -
Ich trinke mit Inbrunst beide.

Kommt, Freunde mein, und werdet wie ich
trunken von Liebe!
Oh, daß ihre Glut euch tiefinnerlich
hinan bis ans Ewige hübe!

Ja, aufwärts, auf, bis zu Gott hinan
bäumt euch in trunkener Liebe -
Über die Menschen, über den Wahn
der Erde: Liebe, nur Liebe -
Über die Welten Weib und Mann
stammelnd von trunkener Liebe,
über die Himmel! - Sie ist voran,
über Gott, über Allem: Liebe!

Sulamith:
Ich schlafe, aber mein Herze wacht.
Da ist meines Freundes Stimme
und bittet: Tue mir auf in der Nacht!

Ich bin schon entkleidet von meinem Gewand.
Wie? Sollt ich mich wieder bekleiden
und wieder beschmutzen die Füße im Sand?

Es kommt seine Hand durch das Fenster her
und bittet mit stummer Gebärde -
Wie schlägt das Herz mir wie hörbar und schwer.

Nun schnell an den Riegel und auf die Tür! -
Da ist mein Geliebter verschwunden.
Ich rufe, doch niemand antwortet mir.

Ich sucht ihn überall und ging und ging
die Straßen und die Plätze her und hin.
Und ging und sucht und suchte ihn
und meine Seele voll von Trauern hing.

Die Wächter, die ich fragte, höhnten nur
und rissen von mir ab mein Oberkleid.
Ich aber trüge gern noch größer Leid
fänd ich nur wieder meines Liebsten Spur.

Wenn ihr ihn seht, so kommt und sagt es mir,
auf daß ich eilend fliehe zu ihm hin.
Und sagt ihm, daß ich krank von Liebe bin -
Oh, Du! Warum verbirgst Du Dich vor mir -?-


VI.

Salomo:
Wende ab von mir Deiner Augen Pracht,
Sulamith!
Weil Dein Blick wie ein Tier mich brünstig macht.

Wie Thirza schön, wie Jerusalem Du,
Sulamith!
Schließ vor mir Deine furchtbaren Augen zu!

Ich bin ja so ganz in ihrem Bann,
Sulamith!
Kein König vor ihnen! - O sieh mich nicht an.

Wende von mir deiner Augen Pracht,
Sulamith!
Weil Dein Blick den König zum Sklaven macht . . .

Sechzig Königinnen sind,
Achtzig sind der Nebenfrauen
und der Mädchen ungezählte
Schar im Ingesind:
Du allein bist die Erwählte.

Sechzig Königinnen knieen,
knieen achtzig Nebenfrauen
und der Mädchen ungezählte
Schar -

Und sie bringen meiner Liebsten,
meiner dunklen, wilden Liebsten
allesamt ihr Loblied dar -!

Sulamith:
Wer bist Du? In Deiner strahlenden Macht
wie die Sonne über mir?
Du, schöner und furchtbarer als die Nacht -
ich fürchte mich vor Dir!

In den Garten stieg ich, zu schauen hinab,
ob schon der Weinstock blüht.
Wer bist Du? Nicht weiß ichs. Wende Dich ab,
Du Tochter, von Sulamith!

Du, Herr, in Deiner Kriegswagen Schein
wie die Sonne über mir -
Laß mich fliehn! Laß mich fliehn! Oh, wie bin ich so klein
mein König, vor Dir . . .

Salomo:
Kehr um, kehre wieder, oh Sulamith!
Dein Antlitz schaun will ich nur . . .
Versenkt nur sein in der liebsten der Fraun
heimlich vertraute Spur -

Will ja nur immer Dein Antlitz schaun,
das wie der Frühling blüht.
Du Frühling, Du Garten, Du liebste der Fraun -
kehr wieder, oh Sulamith!


VII.

Sulamith:
Was kannst Du denn ersehn an mir?
Ich bin ja so gering vor Dir
wie je ein ander Weib.
Und habe nichts als meine Glut
und sonst kein Gut, und sonst kein Gut
als meinen braunen Leib.

Den kennst Du ja. Vom dunklen Haar
bis zu den Füßen offenbar
ist sein Geheimstes Dir.
Vom dunklen Haar bis zu den Zeh'n -
Was willst Du, Süßer, neues sehn
an mir? . . .

Salomo:
Etwas wie Engelsreigen! Oh, Deinen wiegenden Gang.
Oh, wie ein Halsgeschmeide den Schwung
diese Lenden entlang -
Von einem Künstler ersonnen,
von einem Meister gemacht,
von einem Gotte gesegnet in ihrer Biegungen Pracht -
Oh, Deines Schoßes dunkle,
taumelverheißende Bucht,
gleich einem Bronnen voll Würzwein
für einen, der Labsal sucht.
Oh, Deines Leibes Frühling,
der Brüste hügelig Land,
raunende Wälder der Süße,
von Liliengärten umspannt
Teiche, darin Deine Augen lächelnd,
lockend und glatt,
gleichwie die Teiche zu Hesbon
am Tore der volkreichen Stadt.
Dein Haupt auf Dir wie der Carmel,
Dein Haar wie purpurne Nacht,
das einen König gefesselt,
noch eh' er sich dessen bedacht:
Oh, diese ganze Schönheit,
die groß und heilig ist,
da Du die Liebe selber in lauter Liebe bist.

Salomo:
Oh, jetzt mit Dir die Wälder zu durcheilen
und wo in Dörfern (Niemand kennt uns, Du!)
zu Rast und Schlummer über Nacht zu weilen -

Und durch die jungen Weingelände gehen
in herber, Gottes gnädiger Morgenruh,
den Tau auf tausend neuen Blüten sehen -

Und all dies quellende, geliebte Leben
winkt uns mit seinen süßen Gnaden zu:
Muß ich Dir da nicht alle Liebe geben -?


VIII.

Sulamith:
Oh, wärst Du als ein Bruder mir vertraut,
der mit mir lag an meiner Mutter Brüsten!
Dann würde hinter mir kein Zischeln laut . . .

Ich küßte Dich, wo ich Dich fände drauß
und küßte Dich, indes Du mich belehrtest -
und führte Dich in meiner Mutter Haus.

Mit Most und süßem Wurzwein tränkt' ich Dich
und Deine Linke läg' mir unterm Haupte
und Deine Rechte herzte mich . . .

Salomo:
Bin ich Dir denn nicht alles vereint:
König, und Bruder, Liebster und Freund,
Beten, Weinen und Lachen?
Bist doch die Meine und ich bin Dein.
Schlummerst in Sehnsucht nach mir Du ein,
wirst Du in mir erwachen.

Sulamith:
Wie ein Siegel lege mich auf Dein Herz,
wie ein Siegel auf Deinen Arm!
Denn stark wie der Tod
ist die Liebe.

"Über allen Nöten ist ihre Not!"

Haß und Wirrnis, Drangsal und Not,
Bäche von Tränen und Ströme von Blut,
sie können die Liebe nicht tilgen,
die in uns Menschen ruht.

und wollt' einer geben all seines Lichts
und Gutes für Liebe,
so gälte es nichts.

Eine Flamme Gottes ist ihre Glut.

Leg wie ein Siegel mich auf Dein Herz,
wie ein Siegel auf Deinen Arm!
Denn stark wie der Tod ist die Liebe!
(S. 161-173)
_____



Aus: Josef Weinheber Sämtliche Werke
1. Band Gedichte Erster Teil
Herausgegeben von Josef Nadler und Hedwig Weinheber
Otto Müller Verlag Salzburg 1953
 
 

Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Weinheber

 
 
 
 

 


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