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Dorette Wellenkamp
(1824-1904)
Die Sage vom
Ugleisee
Versteckt im Waldesdunkel liegt still ein klarer See.
Auf seinem Grunde findet nicht Ruh' ein altes Weh,
Allnächtlich aus der Tiefe ein Glockenton erschallt,
Der um die zwölfte Stunde wie klagend bang verhallt.
Jahrhunderte verrannen, seit an des Waldes Rand
Die gräfliche Kapelle auf blum'gem Anger stand,
Darin vor grauen Zeiten als frevle Lüge nur
Ein Eidschwur ward geschworen, der Lieb' und Treue Schwur.
Und so erzählt die Sage noch heute, wie zur Stund'
Einst frug verrath'ne Liebe voll Angst: "Wer schließt den Bund?!
Wem gilt das Festgeläute? - des Schlosses Fahnenpracht?!" -
Da wird's mit scheuem Munde der Aermsten hinterbracht. -
Schon naht sich der Kapelle ein stolzer Hochzeitszug,
Jäh durch des Waldes Schatten hin dröhnt ein grauser Fluch!
Dazwischen heller Jubel und Festgeläut' vom Thurm;
Da plötzlich zieht mit Grollen herauf ein Wettersturm!
Hoch thürmen sich die Wolken! - es braust daher mit Macht! -
Gehüllt wird die Kapelle in tiefe, finst're Nacht!
Entsetzen faßt die Gäste! - es folgt sich Schlag auf Schlag!
Der Blitze Flammen zucken! - dumpf dröhnt der Donner nach!
Zerstoben sind die Gäste, ohnmächtig sinkt die Braut
In des Verlobten Arme; sein Aug' erstarrend schaut
Der einst Geliebten Schatten, ihr zürnendes Gesicht!
Ein Blitz! - ein Schlag! - o Grausen! - jetzt hält der Herr Gericht! -
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Noch grollt es! - Blitze zucken und zischen Schlangen gleich! -
Um eines See's Gestade huscht es gespensterbleich,
Und weiße Nebel wallen; - wo die Kapelle stand,
Da thürmen auf allnächtlich sie eine Zauberwand.
Seitdem ruht die Kapelle tief auf des Sees Grund,
Was Liebe einst gefrevelt, noch giebt's das Glöcklein kund;
Doch wenn die Sterne bleichen, zerrinnt das Truggebild,
Und süße Waldesruhe umfängt den Wand'rer mild.
Ernst, wie des Ew'gen Auge, blickt's an ihn aus dem See,
Umstrickt von holdem Zauber wird ihm so wohl, so weh!
Ihn faßt ein mächtig Sehnen, - weiß nicht, wie ihm geschieht,
Und tiefen Friedens Ahnen durch seine Seele zieht.
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Gedicht
aus: Deutschlands Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen
der Vergangenheit und Gegenwart
ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o.J. [1895] (S. 268)
Biographie:
Wellenkamp, Frau Dorette, geb. Holst, Hamburg, Mühlendamm 37, 4. Oktober
1824 als die Tochter des Hofbesitzers Holst auf dem Adeligen Gute Culpin
bei Ratzeburg geboren, siedelte aber im siebenten Lebensjahre mit ihren
Eltern nach einem grösseren Gute im östlichen Holstein über. Glücklichen
Kinderjahren schlossen sich ebensolche Mädchenjahre an. 1848
verheiratete sie sich mit dem Fabrikanten E. Wellenkamp in Eilbeck bei
Hamburg. Häusliche Pflichten, körperliche Schwäche und allerlei Sorgen
hielten nun für lange Zeit die Blüte der Poesie in der Brust zurück.
Begeisterung für die deutsche Sache war es, die den Bann brach, es
entstanden patriotische Weisen, unter denen besonders "An Deutschlands
Frauen" grossen Beifall fand und Frau W. einen Platz als lyrische und
dialektische Mitarbeiterin für Zeitschriften und Tagesblätter
einbrachte. Sie lebt seit langem verwitwet in Hamburg.
aus: Lexikon
deutscher Frauen der Feder.
Eine Zusammenstellung der seit dem Jahre 1840 erschienene Werke
weiblicher Autoren, nebst Biographieen der lebenden und einem
Verzeichnis der Pseudonyme. Hrsg. von Sophie Pataky
Berlin 1898
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