Franz Werfel (1890-1945) - Liebesgedichte




Franz Werfel
(1890-1945)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 





Wie nach dem Regen

Ich bin wie nach dem Regen
Der Stadtpark vor dem Haus.
Der Wind hat ausgekeucht,
Doch Bäum' und Beete sind noch feucht
Und wiegen mir und hegen
Die schönsten Tropfen Regentaus. -

Ich bin so ganz voll Feuchtigkeit,
Voll nassem Grün und Regenglück,
Weil ich dich heut' gesehn.
Darum möcht' ich auch nah und weit
Und wohl ein gutes Gartenstück
In mir spazieren gehn.
(S. 14)
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Verliebte Frühe

Das Gehölz wirft sich im Wind
Wie ein Schläfer in erster Frühe.
Schon schmolz die eiserne Nacht.

Mein erwachtes Blut,
Flüssiger rinnt es
In den durchsichtigen Morgen hinein.

Ach, mein neues Gefühl!
Gestern legt' ich's neben mich,
Nun richtet sich's blinzelnd empor.

An den Mittag denkt meine Verliebtheit,
An ein Pflaster mit breiten Sonnenpfützen
Und an eine Gestalt . . .

Viele Stunden sind es bis Mittag,
Viel Zeit noch zur Vorfreude.
(S. 20-21)
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Ich spreche einen Namen aus

Von Fahrt und Wanderungen,
Die mich in Wiesen und Ortschaft luden,
Kehr ich zurück in mein Zimmer.
Alles ist wie immer.

Nun hole ich wieder deinen Namen hervor,
Mädchen, das ich nur aus Gesprächen und Worten kenne,
Nun lege ich wieder mein überströmtes Antlitz
In den Schoß deines Namens.
(S. 21)
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Die Schöne und das peinliche Wort

Du gabst mir ein böses, böses Wort.
Nicht bösen Herzens - doch mich traf das böse Wort.

Ich war ganz verlegen, rot und stumm,
Und die andern stießen sich und lachten um uns herum.

Die andern haben alle gelacht,
Aber mein Herz hat es schon ziemlich weit gebracht.

Da erkanntest du mein leidend-feuriges Herz und es tat dir leid.
Du wurdest rot - und ich schämte mich deiner Verlegenheit.

Und habe aus deinem bösen Wort ein lustiges Wort gemacht,
Gleich hat alles über meine feine Wendung gelacht.

Erstaunt und dankbar hat dein Blick in meinem geruht.
Ich war ein wenig stolz und gar nicht mehr unscheinbar,
Du aber wolltest mir Freude machen, warst lieb und wunderbar,
Und du, du, - (Herz, schüchternes Herz) - du warst mir eine
Stunde lang gut.
(S. 21-22)
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Ahnung Beatricens

Gibt's Straß' und Park wo wir im Traum uns sahn?
Hat sich aus dieser Welt mir angedrängt
Die Ahnung einer Hand, die meine fängt.
Nun da die süßen Schlafgefühle nahn?!

Bist du mir vorbestimmt, bist du ein Wahn,
Und hast dich gar zu mir herabgesenkt,
Mir vorbestimmt, doch neu schon eingeschenkt,
Eh' sich noch süß berührte unsre Bahn?

Als Kind gestorben, nun vom höhern Kreise
Gefällt's dir den Geliebten anzusehn,
Begegnet ihm im Traum auf deine Weise.

Du gönnst dich mir in Restaurants an Seen,
Im Rauch der Schenken teilst du meine Speise,
Und keines weiß, wie fern wir uns geschehn!
(S. 82-83)
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Lesbierinnen

Wenn abends Heimkehr endlos durch die Gassen geht,
Erhebt ihr euch von eurem täglichen Gerät.
Zwei süße Näherinnen, noch vom Radgesang umspült,
Jetzt wandelt ihr, von Wind und Müdigkeit gekühlt.

Entfacht daheim, ihr Kinder, euren Samowar,
Und löst das leichte luftverspielte Haar!
Wie ruht der kleine Mond- und Lampenkreis
Auf Wand und Boden eures Zimmers weiß!

Nun gebt den Glanz der langen Glieder frei,
Umschlingt euch langsam, haltet euch ihr Zwei,
Und zu des Himmels nachtverebbtem Strahl
Schweb' eurer Küsse schwärmerische Zahl!

Für andere zieht nach Arbeits Fluch und Pein
Ein Abend blaß und aller Armut ein.
Wenn alle an zerwalkten Tischen stehn,
Euch ist bereitet Schönheit und Vergehn.

Nun geht im Haus der biedere Verräter um,
Die Nachbarinnen sind euch höhnisch stumm.
Doch ist auf jeder Lippe Tod und Rache da,
(O der verruchten Küsse angeklagte Kette!)
Schlaft ein,
Schlaft ein in eurem Bette!
Dem tausendfachen Geist der Liebe seid ihr nah.
(S. 84-85)
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Amore

Wenn noch die Eitelkeit
Das Auge dir entweiht,
Ist kommen nicht die Zeit.

Solang du noch willst stehn
Auf Podien, gesehn,
Kann Glück's dir nicht geschehen.

Wer sich noch nicht zerbrach,
Sich öffnend jeder Schmach,
Ist Gottes noch nicht wach.

Wer noch mit Eifer spitzt,
Daß er ein Weib besitzt,
Ist noch nicht ausgewitzt.

Erst wenn ein Mensch zerging
In jedem Tier und Ding
Zu lieben er anfing

Erst wer Erfüllung floh,
Wächst an zum Höchsten so,
Wird letzter Sehnsucht froh.

Erst wer sich jauchzend bot
Der Schande und der Not
Und zehnfach jedem Tod,

Im heiligsten Verzicht,
Vor Liebe ihm zerbricht
Sein irdisch Angesicht!

Wohin schwillt er empor?
Was schwingt er überm Chor
Unendlich sein amor'!!
(S. 115-116)
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Blick-Begegnung

Ein Blick!
Ein Grüßen, Schmachten, Gleißen,
Ein Wiedersehn von Sternenzeiten her!
Die Straße strömt,
Das Schicksal ist bereit.
Ein rasches heißes Voneinanderreißen!
Matt rückgewandt ein: Noch, noch ist es Zeit!
Und jetzt: Nie mehr!
(S. 134)
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Ein Liebeslied

Alles, was von uns kommt,
Wandelt schon andern Raum.
Tat ich dir Liebe an,
Liebt' ich die Welt darum!

Bist du durch mich erhöht,
Lächelt und glänzt dein Schritt.
Wenn mich mein Weh verspült,
Bin ich im höchsten Sinn!

Ach, was man Schicksal nennt,
Raffe mich wolkenwärts!
Trifft mich am Tor der Pfeil . . .
Wenn du nur glücklich bist.

Daß du zur Flöte tönst,
Roste mein Tag im Nu!
Sieh, wir auf Erden sind
Ebenbild Gottes so!
(S. 149)
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Aus Dantes neuem Leben

I.
So fein und züchtig ist die Herrin mein,
Wenn sie im Gruß sich an Bekannte wendet,
Daß Lippen beben und die Sprache endet,
Und sie zu schaun kein Auge hebt den Schein.

Sie hört im Weitergehn ihr Lob gedeihn.
Gütig in Demut ganz, scheint sie gesendet,
Ein Ding vom Himmel her, der Erd' gespendet,
Um Wunder wirkend, Wunder selbst zu sein.

Dem zeigt sie solche Huld, der sie erschaut,
Daß sie durchs Aug mit Süße schüttet zu
Sein Herz. - Nur der versteht's, der es erlebt.

Und ach, es scheint, daß ihr von Lippen hebt
Ein holder Geist der Liebe an, der traut
Zur trauten Seele saget: Seufze du!


II.
Die ihr dahin den Weg der Liebe weht,
Verweilt und seht,
Ob sich ein Schmerz darf messen mit dem meinen?!
O seid um kleine Duldung angefleht,
Bis ihr versteht,
Wie sehr ich Ort und Zuflucht bin von Peinen!

Nicht, weil mein kleines Herz vor ihr besteht,
Die Liebe, die mich lädt,
Ihr Großmut ließ mein Geben leicht im Reinen,
Daß hinter mir sich Flüstern oft verrät:
Seht, wie er geht!
Von welcher Würde mag er selig scheinen?

Jetzt aber flieht die Kühnheit, mich zu meiden,
Mir aus dem Schatz der Liebe zugeschworen.
Zu solcher Armut bin ich eingefroren,
Daß selbst die Worte meine Lippen meiden.

Ich gleiche jenem Bettelvolk von Toren,
Verschämten, scheu verschließend ihre Leiden,
Nach außen schmückt mein Blick sich mit Geschmeiden,
Der innen ist im Tränensturz verloren.
(S. 184-185)
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Beatrice

Wenn ich hier auf diesen leichten Wegen
Mit den Freundinnen gesellig bin, -
- Ach sie lachen viel und laufen durch süßen Regen -
Traurig pocht mein Seliges mit Schlägen
Dir von meinem Kreis entgegen,
Meiner Schuld ein zart vergessener Sinn
Richtet mich nach deinen Gassen hin.

Ja, ich habe dich mit liebem Gruß gemessen,
Der dich niederschlug und überwand.
In der Kirche bin ich dagesessen,
Und dein Herz war abgebrannt.
Mußte dir mit meinem eitlen Inmirschreiten
Einen Schmerz bereiten,
Daß du nichts als Träne warst,
Und noch immer aus den roten Augen starrst. -
Hast du heute wieder nichts gegessen,
Und mein Teil ist Seligkeit indessen?

Nennen sie mich fernes Mädchenfeuer,
Dran du Flamme wirst und aufwärts fährst,
Weiß ich weinend, daß du ungeheuer
Dich an meinem schönen Bild verzehrst.
Kann noch nicht den hohen Sinn erkennen,
Fühle nur dein leidendes Verbrennen.
Und ich weiß, daß dir in tausend Nächten
Bices Namen keinen Schlaf erlaubt,
Und kein Kranz geschieht, der dich belaubt,
Und in keinen Tanz willst du dich flechten.
Und in meiner ausgespannten Lust
Denk ich manchmal, daß du husten mußt,
Zu dem klaren Wandel hier erkoren,
Reißt es mich, wie in der alten Brust, -
Und als wärst du, Sohn, aus mir geboren,
Bin in eine Trauer ich verloren.
(S. 185-186)
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Hymnus

Wo kommt meine Liebe her?
Wo denn wogt das unsichtbare Meer,
Draus sich alle Tränenquellen sammeln?
Wolken wandern. Erste Tropfen stammeln,
Hochgeheime Regen niederfahren,

Und das innre Fließen schwindet nie . . .
Kreislauf, heiliger, der Sympathie,
Sei gesegnet, der du Leben schänkst,
Die Vertrockneten mit Tränen tränkst,
Und den Durst uns stillst, den einzig unstillbaren!
(S. 195-196)
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Verlust

Dich noch verlieren,
Der ich dich schon verlor in mancher Mitternacht!
Dich noch verlieren,
Der ich dich scheiden sah so oft im frühen Fünf-Uhr-Licht!
Ich liebte dich,
Also starbst du mir stündlich.
Ich bin vertraut mit dem Schreck meines Erschreckens,
Vertraut mit meinem Wanken im Traum.
Noch glänzest du über den Weg dahin,
Ich aber sah dich sinken schon zur Seite.
Noch dämmst du wandelnd den Sommer mit deinem Sommer,
Ich aber saß schon an deiner Stätte.
Noch lachst du über die Treppe,
Ich aber füllte schon die öde Lampe auf.
Noch bist du da, noch schiedest du nicht ab,
noch atmest du das liebe Zugeteilte,
Ich aber verlor dich oft in strengen Frühen,
ich kenne mein Witwertum.
So überaus ertönst du mir noch,
Ich aber schüttete schon die Schale über dein Gras.
(S. 212)
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Gesang

Einmal einmal -
Wir waren rein.
Saßen klein auf einem Feldstein
Mit vielen lieben alten Fraun.
Wir waren ein Indenhimmelschaun,
Ein kleiner Wind im Wind
Vor einem Friedhof, wo die Toten leicht sind.
Sahen auf ein halbzerstürztes Tor,
Hummel tönte durch Hagedorn,
Ein Grillen-Abend trat groß ins Ohr.
Ein Mädchen flocht einen weißen Kranz,
Da fühlten wir Tod und einen süßen Schmerz,
Unsere Augen wurden ganz blau -
Wir waren auf der Erde und in Gottes Herz.
Unsre Stimme sang da ohne Geschlecht,
Unser Leib war rein und recht.
Schlaf trug uns durch grünen Gang -
Wir ruhten auf Liebe, heiligem Geflecht,
Die Zeit war wie Jenseits wandelnd und lang.
(S. 242-243)
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Trägheit des Herzens

Und immer wieder flieht ein Antlitz fort
Und schwanket über fremdem Wasserort.
Unwiederbringlich Aug' und Liebeszeichen
Wird keine Reue, keine Qual erreichen.

Mein Gott, wie viele Liebe ließ ich aus,
Nicht kalt, nicht heiß durchmessend Weg und Haus!
Schläfriger Schächer konnte ich nicht halten
Gewognes Aug', darbietende Gestalten.

Unaufgefundner Blick sank irr hinab,
Arme Umarmung rasselte ins Grab.
Und ich, ein Mörder ungeheurer Güten,
Geh meinen Kreis, den lauen Ort zu hüten.

Und immer wieder bleiben Arme leer,
Und abgewendet wall ich durch mich her.
So Tag für Tag das feige Herz zersprengend
Und elend mit Almosen Gott bestechend.
(S. 249-250)
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Liebe

O ihr Königssöhne und Jünglinge!
Einst waren Nächte. Es wölkten sich die Tanzsäle um euch.
Wach waren Zimbel und böser Duft der Cafés.
Da hinget ihr an der Gelassenheit der Göttinnen.
Wie der leise Nebelkranz am Atem der Alpe
Schwebte eure Sehnsucht um die Almen der Sitzenden,
Hing im Geklirr ihrer Zierate.
Und ihr sagtet: Wir lieben!

Was ist geschehen? Die Säle haben sich entwölkt.
Ein Sträfling streut Sand aufs Parkett, als gälte es
Mord zu verschütten.
Der lange Entzückungsschrei verflattert im Geheul.
An einem wackligen Bette stehst du, Jüngling!
Die Glieder der stolzen Schrittmeisterin sind ein Gespött.
Du gingst mit einer sanft strahlenden Fürstin schlafen,
Nun sitzt eine arme graue Krähe am Bettrand,
Eine fröstelnde Witwe verhüllt den Verfall ihrer Brust.
Wer sagt noch: Wir lieben?

Ich aber traurig auf meinem Stein sitzend lehre euch,
ihr Königssöhne und Jünglinge!
Wehe, wer nachhängt dem Schmelz und dem Schimmer!
Er hat sich dem Reichtum verschrieben,
Der Fledermaus, die aus allen Herzen Gott saugt.
Er ist verfallen der Begierde,
Er ist verfallen der Enttäuschung . . .
Denn das sind die Pförtnerinnen der beiden Tore.
Der Enttäuschte wird nimmermehr glauben,
Der Ungläubige nimmermehr leben,
Nie sagt der Unselige mehr: Ich liebe!

Das Geheimnis aber ist: Zu lieben das Ärmste,
Zu lieben der eingefallenen Wange Göttlichkeit,
Zu lieben den Blütenfall unter dem Frauenaug',
Zu lieben die Süßigkeit der Gebrechlichen.
Zu den Schmerzen gehn, ist das Geheimnis, und Schmerz werden!
In des Abgrunds Tiefe, wo es nicht Willen giebt noch Lüge,
Mag flüstern die Lippe: Ich liebe!
(S. 278-279)
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Das Maß der Dinge

Alles ist, wenn du liebst!
Gott strömt von Gnaden, wenn du es ihm gibst.
Herz, Herz, wie bist du schöpferisch!
Du glühst . . . Die Erde glüht himmlisch.
Einst kamst du, ein Kind, zu grünem Waldweiher,
Sahst schaudernd den geheimnisvollen Algenschleier.
Du streicheltest der Weidenkatzen tierisch-süßen Samt.
Wie tiefsinnselig bebte deine Knabenhand!
In deinem Aufschwung, Mensch, wird alles groß,
In deinem Abschwung alles hoffnungslos.
Und nur die Seele, die sich, liebend, selbst vergaß,
Ist aller Dinge Maß und Übermaß.
(S. 320)
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Kinderbild der Geliebten

O du Gesicht, wie in den Schatten großen Parks geschmiegt,
In Duft und Ruhe niederfällt dein Haar!
Und süß und klar
Auf deinen Lippen liegt
Eines Kinder-Schlafengehns geheimer Seim.
Du bist daheim.
In deinen großen Augen siehst du nicht
Die Frau, die mit allen Toden spricht
Und die mit jeder Lust die Hand genetzt,
Sie, die alle Schauder dieses Sternes trug
Und jetzt
Aufschrickt vielleicht und sagt: Es ist genug.

In meiner Stube stirbt ein viel zu früher Schmetterling.
Wer kennt seines kleinen Tods Gewicht?
Schnee umdrängt das Haus in unendlichem Ring:
Und alles flicht
Sich selbst zu unverständlichem Geflecht.
Da knackt ein Ast, Hund bellt, ein Rab ratscht recht.
Ich hör den Stern seine Bahn wehn,
Und nur vor mir das heilige Kindgesicht
Schaut still, als könnte es verstehn.
(S. 330-331)
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Die Musik auf dem Wasser geboren

Ein Rudel von sturmverschlagnen Delphinen
Irrte unter der schwarzen Stadt.
Nachtstarr steinten Paläste.
Aber die Schiffer, Meerhelden mit Feuermienen
Schwärmten zu ihrem Feste.
In Booten, Barken, Gondeln, Kuttern und Fähren
Wiegte ein Volk sich auf spitzmäuliger Fläche.
Lodernde Wimpel, Pechfackeln freche,
Lampengetümmel, Lichttrauben, Glutbeeren!
Noch konnte schnappend die Nacht sich wehren,
Die röchelnd verendete,
Als es näher blendete,
Und das Gott Tier wankte hervor,
Der tausendäugige Bucentor.
Erst war's noch Zwitschern und Zischen,
Aber jetzt fuhr der rasende Schrei
Ja dazwischen
Und der Sänger Atem war frei.
Möwen, die durcheinander geschreckten!
Oh, der Gesänge Dramen, die winderweckten!
Zweihundert Serenaden
Kreuzten sich in der Luft wie Degen.
Die Skalen stürmten einander entgegen
Und kamen zu Schaden.
Die reinen Strahlen der Preghieren
Zerstoben oben im nächtlich Leeren.
Die drohenden Chöre
Rangen Brust an Brust
In rollendem Weh.
Aber über dem Wust
Stand in den Wolken der hohen Tenöre
Hinreißendes schmerzliches B.
Die Riesenorgel auf dem Lagunengrunde
Erwachte zur großen Stunde.
In Blasen stieg ihr dumpfer Donner empor.
Der heilige Baß, schwingend aus Märchen Moor,
Trat bebend in jede Seele,
Wie Wasser Sang, das Plätschern an Plank und Pfähle.
Und jetzt überm feuerbunten
Höchst anwachsendem Glanze
Hob sich spät des Monds welkmächtige Pomeranze.
Und nur die Delphine zogen stumm unten.

In der glühenden Nacht
War, taumelnd aus seinem Bette,
Der Patriarch aufgewacht.
In Purpur, Chorhemd, des Hochamts Stolen
Betrat der Alte die goldene Gottesstätte.
Der Klerus kniete schon unbefohlen,
Die Beter mußte man auch nicht holen,
Sie harrten fiebrig der seltsamen Mitternachtsmette.
Denn ohne Küster und Strang
Auf all den vielen windigen Kampanilen
Zur mächtigen Stunde
Begannen ungeläutet die Glocken zu spielen:
Schall um Hall, Schwang an Klang.
Traum-Löwen, Geist-Hunde
Jagten sturmlang,
Hetzten sich, wälzten sich, stürzten aus wolkiger Runde,
Schollen bollen riefen
Alle, die schliefen.
Nun sitzen die Schläfer in der schaukelnden Kathedrale.
Wie ein Tänzer wankt der Priester im Kerzenstrahle.
Märzscharf schneidet der Knaben Gesang
Respondierend entzwei des Kanonikus Heulen.
Es schlingern die schlangengewundenen Säulen,
Der Juwelenbord schwankt.
In den Stimmen des Doms gehn Stürme der See um.
Wie langer Nebelruf in Gefahr
Tönt vom wolkigen Hochaltar
Sanctus, Kyrie, Te deum.
Und im Monstranzenfeuer
Aufgereckt, schimmernd, ungeheuer
Steht der ummurmelte Patriarche
Stolz am Steuer.
In der Seele das Ziel,
Wie im Traum,
Lenkt er die siebenkupplige Arche
Singend durch den Raum.
Aber die fremden Fische schwimmen unter dem Kiel.

Und nur die Liebenden wußten nichts,
Die schimmernden Gesichts
In den Zimmern sich umschlangen,
Von den Stimmen nichts, die schwangen,
Von Glockenhunden nichts, wie sie sprangen.
Daß sich die Kirche vom Anker riß,
Ahnten sie nicht in der bläulichen Finsternis.
Doch auch sie umarmte lauschwarz die Flut,
Der zärtliche Leib des ewigen Atemtaktes
Hielt umwunden ihr fröstelndes nacktes
Todmüdes Haus, so gut.
Schmeichelnde Zungen spielten um Pfahl und Stiegen,
Auf und nieder schwebte das Haus.
Nun gingen die letzten Lampen aus,
Und die Lager alle wurden zu Wiegen.
Da fühlte Weib an Mann
Und Mann in Weibes Umschmiegen,
Sich im süßen Abgrund der Mutter liegen,
Die kein Wachender wissen kann.
In tiefen Schaukelns Genüssen,
Im mächtig wogenden Schlaf
Geschah's, daß Lippe die Lippe traf
Zu dreimal heilig geheimen Küssen.
Und aus den Küssen schwangen
Aufwärts summende Totenkopf-Falter,
Die verschwiegenen Lieder, die keinem Alter
Und keinem Volk noch gelangen.
Die samtgoldenen Falter schwebten
Über den Schläfern, die innig erbebten,
Die noch im letzten Entfliehn,
In fernsten Traums Raunen
Tief unten sahen Delphine ziehn
Mit starren Augen, die niemals erstaunen.
(S. 338-340)
_____



Tränen-Hymnus

Noch meistert die Wintersonne
Unbeleidigt und ungebrochen die Bahn.
Die überschwenglichen Berge
Schmiegen sich grenzenweich
Ins dunkle Firmament.
Im Schnee die tiefen Menschenstapfen
Sind bis zum Rand gefüllt mit Himmel.

Oh!
Ein Glück bricht aus mir.
Ich halte mich fest an meinen Schrei,
Hinstürzen müßt' ich sonst.
Woher die neue reißende
Unerträgliche Freude?
Ich stehe zitternd in dichter
Hecke von Melodien.
Aber von wilden Tränen,
Ein Liebes-Ausbruch von Tränen,
Dringt immer wieder aus mir
In krampfend erneuerten Stößen.

Nicht umsonst gelebt!
Mystischen Spermas voll
Sind diese rasenden Tränen.
Schon zuckt mir der vorbestimmte Schoß.
Ein noch verborgenes, keusches, vergletschertes All
Lächelt in müder Empfängnis.
(S. 341)
_____



Woher

Eine weiße leichte Freude steigt
Heilig prickelnd mir in meine Kehle.
Ich weine über die Nacht geneigt.
Wer besucht denn meine Seele?
Erst war ja noch alles Scherbe und wüst . . .
Jetzt aber hat die erste Sonne den Pol gegrüßt,
Oder eine Anmut sich auf fremdem Stern begeben.
Ein Kuß verschlang zwei Leben,
Hand fand sich schaudernd zu Hand,
Daß ich Fern-Verborgner nicht widerstand . . .
Ja! Ich bin ein kristallnes Haus.
Millionen Strahlen fahren,
Die geheimen und die offenbaren,
Ein und Aus
Und eine weiße leichte heilige Freude.
(S. 361)
_____



Angst

Wenn ich schlafe ein
Ist mir's oft, als wärst du mir entrissen.
Hinter hundert harten Finsternissen
Spür ich nicht mehr deinen heißen Schein.

Dann kann ich nicht schrein,
Und ich bin nicht hier in Bett und Zimmer,
Nein, auf höchstem Meere dem zerbrochnen Schwimmer
Lähmt sich Arm und Bein.

Oder urallein
Muß ich als ein Angespuckt-Verhaßter
Auf dem autobuszerwälzten Pflaster
Einer fremden Stadt verlassen sein.

Treib ich - (nicht mehr mein) -
Schon durch lampenleere Schlafkanäle,
Krümmt mein letztes Sein, das Kind in tiefer Seele
Weh den Mund vor mutterloser Pein.
(S. 369)
_____



Blicke

Nichts Nackteres als die Nacktheit von Augen!
Kein Mund ist so nackt, wie Augen zu saugen
Vermag nicht der bissigste Kuß.

Und selbst in der Liebe letztem Berühren
Ist der Funke, der schlagende, nicht zu spüren,
Den der Kurzschluß von Augen zückt.

Unser Leib ist ein fast fühlloser Schatten.
Doch in nackten Blicken schmiegen und gatten
Sich Leiber von lichterem Stoff.
(S. 379-380)
_____



Dort und hier

Ja, wir werden sein und uns erkennen,
Nicht mehr machtlos zueinander brennen!

Dumpfer Druck von Unempfindlichkeiten
Dünkt uns dann der Kuß aus Erdenzeiten.

Wir erwachen weinend aus dem Wahne,
Daß die Leiber Lust sind, die Organe.

Uns erschüttert trunkene Erfahrung:
Nur die Flamme lebt, nicht ihre Nahrung.

Hier berühr ich dich. Dort wird's gelingen,
Flamme, daß wir Flammen uns durchdringen.

Und ich brenne tief, was wir hier litten,
Dort im Geisterkuß dir abzubitten.
(S. 394-395)
_____



Der Kuss

Du kamst des Wegs, durch den ich viel gelitten,
Du kamst, dem viel ich habe abzubitten,
Du Freund, du Feind, der über meinen Schritten
Einst herrschend hielt den Stab.

War's Tag, war's Traum? Die Stadt lag fremd im Lichte,
Von Wind durchbellt. Du schwanktest ohne Richte.
So blind! So grau! Ich las dir vom Gesichte
Das Grab, das fahle Grab.

Den ich vor wenig Wochen hier verlassen
Auf diesen Plätzen und in diesen Gassen,
Das war der Mann nicht mehr, stark und gelassen,
Den jetzt ich wankend traf.

Du sprachst zu mir. Ich hörte Worte fallen,
Sie schollen traurig und wie hohles Hallen.
Nicht Worte waren das, es war das Lallen,
Das trunkne, vor dem Schlaf.

In Weh und Scham von dir ich wollte weichen.
Du hobst die Hand, sie still mir herzureichen.
Da faßte mich ein Abschied ohnegleichen,
Daß Scham und Weh zerrann,

Und was sich niemals zwischen uns begeben:
Ein tiefer Kuß vereinte unser Leben,
Den noch kein Weib empfing, ein Kuß, so bebend,
Der Kuß von Mann zu Mann.

Nun kann ich nicht die Tür des Wachens finden.
Ich will den Traum des Kusses überwinden,
Verbergen mich, im Menschentag verschwinden,
Doch das Geheimnis brennt.

Ich fühl mich sprechen, lachen, schreiben, kramen.
Mein Herz ist schwarz geschluchzt, ach, und der Samen
Der fremden Liebe wächst, die keinen Namen
Und kein Geständnis kennt.
(S. 396-397)
_____



An Alma

Noch umstellen mich rings
Die Teufel der Buntheit
Süß verführt mich
Von allen Seiten
Wind der Kulissen-Wüste.

Nicht kann ich in Jahren der Wende
Wissen die Schlucht des Schlusses
Die micht viel-
leicht schon verschlang.

Du bist mir das große Stromrauschen
An dessen Ufer ich
Der Stimmen kundig ward.
Du bist mir der warme Brotduft der Flächen
Der mich zum Blumenwisser erzieht.
Du bist das heilig gelbe Licht
Das weltfruchtbare gelbe Licht,
Durch das ich wachsen muß,
Um weißes Licht zu werden.

Aus allen Grüften der Zerfahrenheit
Versammelst Du mich neu in Deinen Schoß.
O gelbes Licht! Gebärerin,
Sei mehr als Mutter mir!!
Sei Wöchnerin meiner
Wiedergeburt!
(S. 559)
_____



Fieberlied

Nun ist es, wie ehmals es war,
Ich liege als Kern im Gehäuse,
So windstill im zarten Gesäuse
Wohlwollend murmelnder Welt.

Die Liebe nun wurde sie wahr.
Es schweigt der zweifelnde Späher.
Das blonde Haupt schwebt mir näher,
Wie Wolkenschatten der Angst.

Atmen ist stolzer Beruf.
Haben Pflanzen andere Pflichten?
Viel Reiher die Flügel richten,
Manche lassen sich langsam herab.

Am Gestade der Orgelmusik
Steht mein Bett. Fern kochen die Wellen,
Die mir zu Füßen zerschellen
Mit Muscheln und Tang des Gesangs.
(S. 574-575)
_____



Ehespruch

Jeder Mensch ist eine Melodie.
Lieben heißt: sie innehaben.
Ich bin für dich, du bist für mich ein Lied.
Geschlossenen Auges sing ich dich,
In meiner Seele mich an dir zu laben.

Doch wehe, wenn wir uns vergessen,
Fehlt Ton um Ton des Lieds, umsonst gesucht,
Dann ist die Liebe ohne Zucht,
Ein Zwang, der ichbesessen
Zwei Einsamkeiten ineinanderflucht.
(S. 575)
_____



Nach dem Abschied

Wie ich dich lieb hab, hätt' ich's doch gewußt,
Bevor uns überfiel dies rasche Scheiden!
Ich bin ganz blutarm von so viel Erleiden.
Warum wird man bewußt erst durch Verlust?

Was gestern du berührtest, starrt nun leer.
Die Dinge sind wie tiefgekränkte Tiere.
Mein Leben nicht, das deine war das ihre,
Und darum haben sie kein Leben mehr.

Ich geh herum, zusammgefaßt und scheu
Aus Angst vor meines Herzens Überschwellen.
Im Haus versuche ich mich blind zu stellen.
Denn Zeit ist treulos, aber Raum ist treu.

Im Raum hier nebenan dein Leben schwang.
Hier atmetest du, singend, lachend, sprechend.
Und ich, und ich - wie ist das herzzerbrechend,
Nahms an, nahms hin, und war nicht einmal bang.
(S. 617)
_____



An Alma

Wir leben schön zusammen,
Weil wir noch immer flammen,
So heut wie in der fernen Nacht.
Was wir aus unsern Tagen
Geschürft, geschlürft, geschlagen,
Macht unsre Seelen schwer von goldner Fracht.
(S. 632)
_____



Pause

Warten muß ich warten,
Bis du mich berührst
Und mir mit der harten
Hand die Kehle schnürst.

Dann erst kann's gelingen,
Daß mein Eis mir taut.
Aus der Brust darf dringen
Der geformte Laut.

Ohne dein Beginnen
Mein Beginn ist weit.
Durch die Finger rinnen
Laß ich tote Zeit.
(S. 632)
_____


Aus: Franz Werfel Gesammelte Werke
Das lyrische Werk
Herausgegeben von Adolf D. Klarmann
S. Fischer Verlag 1967

 

Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Werfel


 

 


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