Auf den Tod seiner ersten Ehefrau
gebohrnen Plohren
1742
O, meine Freundinn, meine Plohren!
Mein Glück, mein Alles auf der Welt!
Dich hab ich auf der Welt verlohren.
Was ist dann, das mich lebend hält?
Zu dir bald wider zu gelangen,
Flöh ich durch Glut und Flur von hier.
Was darf mein Wunsch sich unterfangen?
Verzweiflung führt ja nicht zu dir.
Der HErr ist GOtt, des Lebens Meister!
Er hat mein Elend hier bestimmt,
Er, der zur Freude seelger Geister,
Dich, auserwählte Seele, nimt.
Sie überzeugt mich, diese Wahrheit.
Warum ist sie kein Trost für mich?
Mißgönn ich dir die Himmelsklarheit?
Liebt ich mich jemahls mehr, als dich?
Nein, GOtt und dir war meine Liebe,
Wie deine GOtt und mir, bekannt:
Wie jeder Theil, mit gleichem Triebe,
Nur Glück im Glück des andern fand.
Traff mich, traff mein Geschlecht, ein Segen,
Den dein Gebet vom Himmel zog,
Es war die Freude deinetwegen,
Was doppelt mich zum Dank bewog.
Wie willig hätt ich meine Sorgen,
Den Kummer, der mich oft gedrückt,
Vor deiner Zärtlichkeit verborgen,
Dich stets durch frohen Muth beglückt!
Bald aber drang, wenn ich nicht klagte,
Dein kennend Auge durch mein Herz:
Die Liebe forschte, was mich nagte,
Und theilte tröstend jeden Schmerz.
Wenn mein empfindlich Herz von Kranken,
Voll Sorgen oder Beyleid, kam;
Wenn es, mit zärtlichen Gedanken,
An fremdem Trauren Antheil nam;
Ward eitles Gut, ward Blut verlohren;
Traff Freunde Leiden dich und mich:
Wie lieblich war dein Trost den Ohren,
Dein freundlich Wort: du hast ja mich!
Nun hab ich dich ja nicht auf Erden;
Und habe meine Centnerlast.
Nun drücken mich des Amts Beschwerden,
Das du, nur du, erleichtert hast.
Der muntre Geist, den man bemerkte,
Wenn ich fast unerträglich trug,
Der lebte, weil dein Trost ihn stärkte:
An dich gedenken war genug.
Nun bleibt mir Last und Schmerz zurücke;
Und du nimst allen Trost dahin.
Vergib, daß ich, bey deinem Glücke,
Nur für mein Leid empfindlich bin!
Die Macht der Sinne reißt mich nider:
Sie stellt dein Bild zu lebhaft dar;
Und nichts gibt mir das Urbild wider:
Dein Geist ist fern und unsichtbar.
O! diesen Schmerz, o! diese Wunden,
Womit der Tod mein Herz durchwühlt,
Hast du ja, Liebste, nicht empfunden:
Du hättest eben so gefühlt.
Ich weiß noch wohl, wie du erbebtest,
Bey kaum mir drohender Gefahr,
(a)
Wie Furcht, daß du mich überlebtest,
Der treuen Brust zur Marter war.
Ich weiß noch, wie ich oft erbebte,
Schon ehmahls war Verzweiflung nah,
Da kaum ein Odem dich belebte,
Dein brechend Auge nicht mehr sah.
(b)
Da hörte GOtt mein ängstlich Schreyen,
Er schenkte Hoffnung, Rath, und Kraft.
Und, o, wie pries ich sein Gedeyen,
Das aus dem Tode Leben schafft!
Vier schnelle Jahre sind verflossen,
Die letzte Ruhe meiner Zeit,
Da ich dein Leben neu genossen,
Oft unter neuer Bangigkeit.
O, froher Abend, heitrer Morgen!
(c)
Da ich dich letzt gesund umfing,
Da sich mein Unglück noch verborgen,
Das wie ein Wetter auf mich ging.
(d)
Ich kam, aus deinem holden Herzen,
Nach vieler Last, erquickt zu seyn.
Ich fand dich: aber Glut und Schmerzen
Verkehrten meinen Trost in Pein.
Erschrecken, Wehmuth, Furcht, Verzagen,
Traff auf mich Armen, Schlag auf Schlag.
Nach vier entsetzlich bangen Tagen,
Kam dieser lange Trauertag.
Mein GOtt! du trugst ja sonst Erbarmen.
Kann meiner Kinder Unschuld Schreyn,
Der Frommen Flehn, das Flehn der Armen,
Nicht einmahl noch erhörlich seyn?
Es ist umsonst. Sie ist begraben,
Mein Trost, mein Glück, mein Alles hier.
HErr! laß den Trost nur Wirkung haben:
Sie lebt; ich folge bald, zu dir.
Noch ein Trost zeigt sich mir von weiten.
Ihr Kinder, der Geliebten Blut!
Laßt euch ihr werthes Vorbild leiten:
Das sey eur angeerbtes Gut.
So möcht ich einst, nach Schmerz und Schmachten,
Bis die Erlassungsstunde schlägt,
Das Bild an euch mit Lust betrachten,
Das sich mir brennend eingeprägt:
Das göttlich freudige Gewissen;
Der holden Sitten Lieblichkeit;
Die Vorsicht keine Pflicht zu missen;
Der Demuth Frucht, Bescheidenheit,
Der Demuth, (darf ichs von ihr sagen?)
Bey vielem Licht, und klugem Rath;
Die Sanftmuth fremden Fehl zu tragen;
Das offne Herz in Wort und That;
Das zarte Herz, bereit zu bluten,
Wenn, was nur lebt, ein Leid empfand;
Die Dankbegier bey jedem guten;
Den Mund voll Trost; die milde Hand;
Der Freundschaft Treu; das reine Lieben:
Wer war mehr Freund, als GOtt, und ich?
Ich schweige viel. Genug geschrieben!
Genug Verlust für euch und mich!
(S. 139-145)
(a) Bey seiner
Brustkrankheit 1741
(b) Bey ihrer höchst gefährlichen Krankheit 1738,
wonach die ohne dem schon schwache Gesundheit
öfteren Zufällen unterworfen geblieben.
(c) Der Verfasser kam am Abend von seiner Reise,
fand sie ziemlich gesund, und verließ sie auch am Morgen so,
da er zu seinen Kranken ging.
(d) Es war ein innerliches Geschwür bey ihr verborgen,
so sich damahls am Mittage schleunig,
mit Schmerzen und Hitze, äuserte, an andern Tage aufbrach,
und am vierten dem Leben ein Ende machte.
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Morgengedanken bey anhaltender
tiefen Traurigkeit
nach dem Tode der Geliebten
1742
Zufriedenheit, vergnügte Stille!
Bist du auf ewig weg von hier?
Heißt endlich nicht der weise Wille
Des besten Wesens gut bey mir?
Was nährt den Gram? ein eitles Sehnen:
Es schmelzt mein Blut um das zu Thränen,
Was doch kein sterblich Auge schaut.
Was bebt mein Herz, mit bangem Schauer?
Weil ihm für dieses Lebens Dauer,
Die GOtt versehn, vergeblich graut.
Doch, ach! mein Geist, der mühsam träget,
Verläßt vielleicht erst spät sein Haus.
Er mißt die Uhr, die ihm hier schläget,
Empfindlich, bey Secunden, aus.
Der Pflichten Zwang läßt ihn nicht rasten,
Und der Erquickung seiner Lasten
Wird fern, gen Himmel, nachgeblickt:
Wie Sclaven, auf den Ruderbänken,
Mit halb zermalmeten Gelenken,
Die Arbeit dringt, und nichts erquickt.
Und noch fast glücklich! wen die Kette,
Als nie verwöhnten Sclaven, drückt;
Wen keine Lust, kein sanftes Bette,
Kein Herzensfreund, vorhin beglückt.
Er schläft, wenn seine Treiber schlafen,
Fühlt kaum die Gegenwart der Strafen;
Nicht, was für ferne Freude fehlt.
O aber, schmerzliches Vergleichen!
Wenn, nach beseßnen Königreichen,
Den Sclaven sein Gedächtniß quält.
Gedächtniß himmlisch süsser Liebe!
Die dennoch, ach! nur irdisch war:
Was rührst du stündlich heisse Triebe;
Und stellest Schatten lebend dar?
Was täuscht mich gar dein lebhaft Schildern,
Mit längst begrabner Freude Bildern,
Wenn matter Schlaf mein Leid verschlingt?
Mich mit Entzückung zu erwecken,
Daß nur die wahre Noth, mit Schrecken,
Noch tiefer in die Seele dringt.
Ist nicht mein Morgentraum verschwunden;
Und mich umgiebt mein öder Ort?
Doch fliessen Stunden ja nach Stunden,
Wie Thränen nach den Thränen, fort.
Du, o Geliebte! kehrst nicht wider:
Dein Blick senkt sich nach mir nicht nider;
Mein Hoffen blickt nach dir hinan.
Der dich rief, wird mich folgen heissen:
Sein Auge wacht: die Bande reissen,
Wenn sie mein Geist nicht tragen kann.
(S. 146-148)
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Anderweite Morgengedanken
bey fortdaurender Betrübniß
1743
Mein Aug erwacht, und seiner Thränen Quelle,
Mein schweres Herz, fühlt sich und seine Last.
Es sucht und scheut die längst verlassne Stelle,
Wo ich mein Glück, wo mein Glück mich umfaßt;
Wo Sorg und Leid, wo Schmerz und Last, verschwunden,
Wie dieser Nacht vier ungefühlte Stunden.
Sie ist dahin, die Ruhe vom Empfinden:
Schmerz, Leid, und Last, und Sorge bricht herein.
Doch half ja GOtt ein Gestern überwinden.
Wird morgen nicht mein Heute gestern seyn?
Und, harrt mein Geist noch einst so lang in Banden,
Ist doch zuletzt noch eine Ruh vorhanden.
Wo bleibt mein Dank, für Ruh, und alles gute?
Der sonst, vereint, so froh, so lebhaft war.
Mein einsam Herz, entwöhnt von frohem Muthe,
Bringt seines Grams verworfnes Opfer dar,
Das irdisch brennt, mich martert und verzehret,
Und Preis und Dank, des Himmels Weihrauch, wehret.
HErr! schaff in mir ein Herz, das dankend preise:
Der HErr, der HErr hat alles wohl gemacht:
Der gute GOtt, der heilige, der weise,
Hat meine Lust zu seiner Ruh gebracht:
Da quält kein Leid, kein Sehnen nach der Ferne.
O schwerer Dank! den ich nur thränend lerne.
HErr! schaff ein Herz, das ohne Thränen lobe:
Der HErr, mein GOtt, warf mich nicht ganz zurück.
Ein jedes Kind ist ja des Segens Probe,
Ein Bild, ein Theil, ein Rest von meinem Glück:
Verjüngte Kraft stärkt meiner Mutter Leben;
(a)
Ihr Beystand mich. Das hat der HErr gegeben.
HErr! schaff ein Herz, das freudig, wie vor diesen,
Der Kranken Heil, gleich eignem Segen, fühlt,
Wenn dein Geschenk, so herzlich oft gepriesen,
Den Schmerzen steurt, die wilden Flammen kühlt,
Des Lebens Tocht mit frischem Oel erquicket,
Und mein Geschick von andren ferne schicket.
Schaff, HErr! ein Herz, das für die beste Gabe,
Mit Himmelslust, schon hier erkennend sey.
Verkläre mir, was ich nur hoffend habe:
Mach meinen Blick von Zeit und Erde frey:
Bis einst dein Tag die Hoffnung ganz verkläret,
Der Glaube schaut, und reine Liebe währet.
(S. 149-151)
(a) Sie lebet noch,
bey ihrem Sohn,
und GOtt erhält ihre Leibes- und Gemüthskräfte
in ihrem 76ten Jahre.
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Trostgedanken
1743
Erquicket mich ein Strahl der Güte?
Ists möglich, daß ichs fühlen kann?
Seh ich, mit ruhigem Gemüthe,
Dich, fern beglückte Freundinn! an?
O ja! die Thränen, die jetzt quillen,
Sind nicht aus dem empörten Willen,
Der GOttes Vorsicht widerstrebt:
Sie fliessen dißmahl ohne Schmerzen,
Aus ruhig überzeugtem Herzen,
Weil meine Freundinn seelig lebt.
Sie lebt, und o, wie frey von Sorgen,
Um mich, um meiner Sorgenlast!
Sie ist in sichrem Port geborgen;
Wenn mich ein schwebend Schiff umfaßt.
Sie schmeckt, bey seelger Geister Schaaren,
Die Frucht von kurzen Probejahren,
Die hier den edlen Geist bewährt:
Da mein Geist, irdisch eingeschlossen,
Bey seiner Bande Mitgenossen,
Noch manchen Prüfungstag erfährt.
Mein blöder Geist! was wird dir bange?
Auch deine Prüfung hat ein Ziel.
Ist sie dir schwer? deucht sie dir lange?
O! der sie maß, thut nichts zu viel.
Häuft er die Last; er wirkt die Kräfte:
Sein Segen trieft auf mein Geschäfte,
Und heißt den Ausgang lieblich seyn.
Er, Arzt der mir vertrauten Kranken,
Hilft wider Mund und Herz, mit danken,
Zum Trost und Dienst des Nächsten weihn.
Kommt, meine Kinder, die ich liebe!
O! lieb ich euch auch allzusehr?
Kommt, reget wider frohe Triebe.
Die lieber war, ist hier nicht mehr.
Sie, die vollkommene Gerechte,
Braucht diß Vergnügen nicht, diß schlechte,
So mir eur Anblick sterblich giebt.
Fahrt fort ihr Bild mir auszudrücken:
So wird GOtt euch und mich beglücken,
Daß sie uns ewig schauend liebt.
(S. 152-153)
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Auf die zweyte Verlobung des Verfassers
1743
Was rührt mich so für die, der mich mein Herz erlesen?
Ists äusre Bildung und Gesicht?
Ists Schönheit des Gemüths? der Sitten lieblich Wesen?
Der Tugend Ruhm, so rein als Sonnenlicht?
Ists Gleichheit im Geschick,
(a)
im Denken, im Vertrauen?
Ists Hoffnung, ihre Hand beglückt des Lebens Rest;
Und hilft das Glück geliebter Kinder bauen?
Das alles, und ein Zug, der sich nur fühlen läßt.
(S. 155)
(a) Sie war eine
Witwe mit vier Kindern
fast zu eben der Zeit geworden, da er,
mit gleicher Anzahl, im Witwerstande
gelassen ward.
_____
Auf eben dieselbe
1743
Das Licht fängt an die Welt zu wärmen,
Kömmt auch für mich ein Frühlingsschein?
Und schmelzt mein Herz? das, starr von härmen,
Mir schien ein ewig Eis zu seyn.
Diß Herz, so feurig sonst im Triebe,
So arbeitsam, aus Menschenliebe,
War nur empfindlich für sein Leid:
Ein kalter Ernst erzwang die Pflichten;
Und Ungeduld sprach im verrichten:
Mein GOtt! wann kömmt die Ruhezeit?
Wie wird mir? welch ein Strahl im Herzen?
Ists Blitzen oder Sonnenblick?
Welch neuer Wunsch? welch fremde Schmerzen?
Was thust du? ewiges Geschick!
Du sprichst: Licht, Glut, und Flamme werde.
Es wird. Kein Blitz durchstrahlt die Erde,
Mit schnellrem Blick, mit stärkrer Kraft,
Als GOtt, nach langen Finsternissen,
Nach Quaal, die er und ich nur wissen,
Ein wärmend Licht im Herzen schafft.
GOtt ists, GOtt ists, der Herzen rühret,
Die er einander zugedacht.
Wer hat dich, werthe! hergeführet?
Wer hat dich mir so gleich gemacht?
So gleich im traurigen Geschicke;
So gleich in diesem Sonnenblicke,
Der mir und dir das Herz durchdringt.
Ja, meine Hoffnung neuer Wonne!
Auch dich erheitert diese Sonne,
Die Eis zerschmelzt, und Glut erzwingt.
Du liebest mich: dein Blick spricht Wahrheit;
Dein freyes Ja versichert mich.
Doch wie? verbirget sich die Klarheit?
Wo bleibst du mir? verliehr ich dich?
(a)
Kaum hab ich Licht empfinden lernen,
So will sein Schein sich mir entfernen.
Wo ist für mich dann Tag und Ruh?
O! bleib, laß mich mein Licht hier schauen:
Sonst flieht mein schwacher Geist, aus grauen,
Hinauf, der ersten Liebe zu.
(S. 156-157)
(a) Sie wollte bald nach der Verlobung,
nach Holstein, in ihr Vaterland, verreisen.
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Aus: D. Paul
Gottlieb Werlhofs Gedichte
herausgegeben von der
deutschen Gesellschaft in Göttingen
mit einer Vorrede Herrn D. Albrecht Hallers
Hannover in Verlag sel. Nicolai Försters
und Sohns Erben Hof- Buchhandlung 1749
Biographie:
https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Gottlieb_Werlhof