Emma Wittemann (1847-?) - Liebesgedichte

 

 

Emma Wittemann
(1847-?)


Am Strande

Einsam am Meeresstrande
Ein bleiches Mägdlein steht,
Es flattern die blonden Haare
Vom rauhen Nord durchweht.

Sie starrt hinab in die Fluten
Mit trübem, schwerem Blick:
"Bringt keine von euch, ihr Wellen,
Mir den Geliebten zurück?

An einem Maienmorgen
Verließ sein Schiff den Port,
Es zog so stolz und mächtig
Von euch getragen fort.

Es sandte hernieder vom Himmel,
Der blau und wolkenlos,
Die Sonne ihre Strahlen
Bis tief in euern Schoß.

Und tausend gold'ne Funken
Tanzten flimmernd einher,
Als sei herab gefallen
Der Sterne strahlendes Heer.

Derzeit sah dreimal ich kommen
Und gehen den Frühling licht,
Und glücklich liefen zum Hafen
Viel Schiffe, - doch seines nicht! -

Ich harre hier am Strande
Vom Morgen bis zur Nacht.
Doch hat mir von dem Liebsten
Noch niemand Kunde gebracht!" -

So klagt und weint das Mägdlein,
Und Thränen auf Thränen schwer
Rollen von ihren Wangen
Hinunter in das Meer.

Da tönt es aus den Wellen
Brausend, flüsternd ihr zu:
"Dem du dein Herz gegeben,
Der schläft in tiefer Ruh! -

Denn in den schäumenden Wogen
Fand Schiff und Schiffer das Grab;
Wir trugen in unsern Armen
Den Liebsten mit uns hinab.

Hinab zum Kristallpalaste,
Wo auf dem schimmernden Grund
Sich wunderholde Nixen
Schmücken mit Muscheln bunt.

Und rote Korallen und Perlen
Sich flechten durch das Haar,
Und mit den Wellen tanzen
Und singen wunderbar.

Dort legten wir ihn nieder,
Den Schläfer stumm und bleich,
Und betteten ihn sorglich
Auf Moos und Schilfgras weich.

Und mit des Meeres Blumen,
Erblüht auf dem tiefsten Grund,
Bestreuten ihn die Nixen
Und küßten den bleichen Mund.

Und ihre silbernen Schleier
Deckten sie über ihn hin,
Und spielten auf gold'ner Harfe
Viel süße Melodien.

Und willst du ruh'n und schlummern
An seiner Seite dort,
So komm', wir tragen dich sachte
In unseren Armen fort!

Wir bringen dich sicher zur Stelle,
Und deine Stirne heiß,
Sollen die Nixen kränzen
Mit Wasserrosen weiß.

Oh komm'! Und hörst du nicht deutlich
Aus tiefem Grund ihr Lied,
Ergreift dich nicht wildes Sehnen
Das nach dem Ton dich zieht?"

So flüstern und locken die Wellen
Wogend hin und her -
Auffliegen kreischend die Möwen -
Am Strand ist's still und leer.
_____
 

Gedicht aus: Unsere Frauen in einer Auswahl aus ihren Dichtungen
Poesie-Album zeitgenössischer Dichterinnen
Von Karl Schrattenthal
Mit zwölf Porträts in Lichtdruck
Stuttgart 1888 (S. 478-480)

Biographie:

Wittemann, Frl. Emma, Frankfurt a. M., geboren am 25. Mai 1847 zu Greisenheim im Rheingau.

- Traum in einer Sommernacht. Frankfurt a.M. 1885

aus: Lexikon deutscher Frauen der Feder.
Eine Zusammenstellung der seit dem Jahre 1840 erschienene Werke weiblicher Autoren, nebst Biographieen der lebenden und einem Verzeichnis der Pseudonyme. Hrsg. von Sophie Pataky
Berlin 1898

 

 


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