Alfred Wolfenstein (1883-1945) - Liebesgedichte




Alfred Wolfenstein
(1883-1945)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 





Abschied

Die sonderbarste meiner Trennungen . .
Wir hatten immer uns nur fremd geliebt,
Nur das von uns in uns gesiebt,
Was nackten Stoff gab unsern Brennungen.

Und küßte meine Brust an deinen zwein,
Dein Mund an meinem von Gelüst und Geiste doppelten -:
Die Scham, daß sie so uneins sich verkoppelten,
War schwächer als die Lust, sich nichts zu sein.

Ach . .  Liebe . . , dachten wir, umarmt . . und hinter Mauern,
Verworrner Wunsch, sich füreinander hinzutöten,
Der guten Grenzen plumpe Überschreiterin!

Und nun, als hätten wir uns doch betreten,
Als sei Genuß auch tief, . . erfaßt uns Trauern
. . Wär nicht der Zug da, dehnten wirs vielleicht noch
ewig weiter hin . . .
(S. 93)
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Szene

Gleich weißem Wasser spülte durch die übernächtigen
Gezweige all sein blindes Licht der Mond,
Der lieblich flache See schoß den mit Nebel trächtigen
Reflex hinein . . . Doch göttergleich verschont
Hoch um die Stämme pflanzte sich das Dunkelsein
. . : Ich lächelte . . ich dachte, o Geliebte, dein.

Denn - hör mich ruhig an - wie gänzlich neues Leuchten will
Durch deine Augen etwas in mich ein:
Was deine hübsche Iris ozeanisch feuchten will,
Soll Übersinnlichkeit und Denken sein . .
Ein Geist greift selbstbewußt nach mir aus deinem Kleid.
So hoch gewachsen seid ihr in der jüngsten Zeit . .

Indessen, du . . nun auch dem Wissen hingegebene,
Erhoffe hier nicht anders mich als kühl.
Wie wollt ihr zackige Denker sein, . . o immer ebene!
Nur Echo seid ihr, Frau'n, selbst im Gefühl . .
Wohl lieben will ich euch, doch will geliebt nicht werden,
So haß ich Echo, eure dumpfen Nachgeberden!

Sie: (spricht ungläubig wohlgemut von allen
Gleichheiten auf Erden)
(S. 100)
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Enthaltung

Finger und Brüste,
Tasten pflückenden Fiebers,
Bebende Landschaft Weib
Liebt sich heran -

Zacke der Stirne,
Kühler und sonniger Felsen,
Bleich in weichlichen Leib
Sinkst du und weichst -

Läßt nur bewußtlose Flächen
Zurück - du türmtest doch Hauche,
Sausende Sterne und laut
Riefst du mich aus -!

Fall nun in Schweigen -
Sieh deine Wände sich wölken -
Bilder der Freunde starrn
Untergang -

Sieh auch dein Sehn
Deines Untergangs fallen,
Hör die befreundete Straße noch gehn
- Dann bist du Weib.

Tief in ein Sofa
Bauche dich Haupt hinein,
In den bewunderten Schlamm bade
Dich Stein -

Liebe zu liegen, verrate
Geigendes ruhvolles Stehn
Im Tag, dein Stehn in dir,
Und zapple am Boden des Weibs -

Zunge und Glieder
Fühlen den Schnee schon schmelzen
Her vom Berg der Lust
Und Angst -

- - - Du -?
Stehst so gehalten auf
- Eh du verlorest -
- Augen blendend weiß -

Streichst dir die Stirne
Wie eine Geige, Bewahrter!
Schallest Gedanken und gehst
Wieder bewehrt.
(S. 117-118)
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Gebannt

Du Unbekannte, die ich zwischen den Tänzen traf,
Nun lehnen wir an Säulen . . unsre Augen tanzen nun,
Und doch umschleiert uns ein Schlaf,
Ein zähes Ruhn.

O daß wir schweigen müssen wie zwei Tiere, du!
Wir schütteln unsre Herzen, wir begreifens nicht,
Was sieht uns so gewaltig zu,
Daß keiner spricht?

O nicht die Kleider nur und Säle, die uns dick
Umstelln, uns leidenschaftlich Nackte! nicht der Wust
Der Leute, der mit schwarzem Blick
Die Freude rußt:

An unsichtbare Grenzen auch anstoßen wir,
In feindlich lachenden Tänzen gehn und zischeln grell
Gespenster zwischen dir und mir:
Seid nicht so schnell . .

Doch unser Herz: . .  Ihr lebt auf Erden, schnell zu sein!
So tanzt ihr schön . . und schwingt hoch über des Todes Wand!
Und da im Abschied faßt sich ein
Mal unsre Hand.
(S. 157)
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Das Herz

Vergessen lag das Herz in unsrer Brust,
Wie lange! ein Kiesel in des Willens Lust,
Nur mit den wasserkühlen spiegelnden Händen
Manchmal berührt, unbewußt.

Einsiedlerisch in sich geschweift, so klein
Und überflüssig dem verzerrten Stein
Der Bauten und des Geldes stählernem Throne,
Nie greifend in die spitzen Räder ein.

Doch seht, wie leiser die Maschine raucht,
Und endlich ist das Schneegebirg verbraucht,
Der kalte Strom wütet vorüber -
Denn glühend blüht das Land, das nun auftaucht,

Das Herz - das schmal wie eine Sonne brennt,
Doch Sterne nun nach seinen Strahlen nennt,
Das kleine Herz blickt unermeßlich
Aus seines offenen Hauptes Firmament!

O Stirn, das Zeichen dieses Herzens trag,
Und Nacht, steh heller auf von seinem Schlag!
Es faßt die breite Erde um - und über die Ränder
Der Welt hinaus strahlt er den Tag.
(S. 189)
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Frau

Eine Maske, die von ihr die Stimme hat
Wie sie schmal ins Telephon klingt - und sich weitet,
Ruft herein in meines Kopfes laute Stadt,
Auch mit Augen blank wie ihre ausgebreitet:

Sei nicht liebevoll, sei gierig, sei nie matt!
Sei ein Körper, der die Körper brausend reitet,
Habe Menschen zu genießen niemals satt!
(Doch der böse Schrei klang hymnenhaft besaitet)

Schweigen kam und hielt, - summte weit und leer,
Als verspannten meine Drähte sich durch Meer
Und als stände eine Wartende ganz fern -

Aber plötzlich packte ich, ein riesiger Mann,
Hin und riß sie her und bog sie um - Doch dann
Küßte meine ihre Stirn wie einen Stern.
(S. 203)
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Die Liebe und die Not I

Es ist die Zeit der Mörder und Erpresser,
Wir sehen rings, wie sie die Menschen zwingen,
Wie sie die neusten aller Schwerter schwingen
Und alten Aberglaubens schwarze Messer.

Wir hören sie das Lob der Lüge singen,
Als sei Gemeinschaft durch Gemeinschaft besser -
So steigt mit Macht die Zahl der Menschenfresser,
Die alles Friedliche hinunterschlingen.

Ich aber glaubte, gegen diese Zeit
Stehn du und ich, steht Herz an Herz gereiht,
Und jener Abgrund mochte draußen klaffen -

Ich glaubte blind an holde Einigkeit
- In dieser Zeit - an Küsse statt an Waffen -
Zu wenig teilte ich der Andern Leid.

Ich war mit dir zu reich in armer Zeit.
(S. 335)
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Die Liebe und die Not II

Wenn wir einander in den Armen lagen,
Ganz außer uns, unendlich nah,
Und hörten beide Herzen in uns schlagen,
Als seien zwei in jedem da:

Dann kams und flüsterte und ließ mir sagen,
Ich wisse doch, was rings geschah,
Und donnerte: Darf man den Kuß noch wagen,
Wenn Kampf ruft? Und du hauchtest: Ja!

Jedoch verwandelt waren meine Arme,
Ich bebte widerhallend vom Alarme,
Dir noch zur Lust, mir schon zur Pein.

Gleich dem magnetisch ferngelenkten Schiffe,
So wandte mich mit unsichtbarem Griffe
Der Ruf herum! Ich ging, allein.

Es quält, in armer Zeit zu reich zu sein.
(S. 336)
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Die Liebe und die Not III

So war es kein Verrat, dich zu verlassen,
Dich zu verraten an der Menschheit Mund,
Du fühltest es! riß sich dein Herz auch wund.
Uns fordern unsrer Zeit bewegte Gassen.

Wie liebt' ich es, zu lieben, nicht zu hassen,
Und küßte deine Brust noch einmal und
Noch einmal deinen Blick, doch unser Bund,
Ich fühlt es, ist uns nicht mehr überlassen.

Statt deiner tritt herein, in hartem Kleid,
Mit unküßbarem Antlitz: Not der Zeit.
Sie will den Mann für sich, mit seinem Blute.

Von Glück und Unglück des Gefühls befreit,
Helf er die Welt befrein und sei bereit,
Das Süße aufzuopfern für das Gute.

Erst dann kommt neu die liebevolle Zeit.
(S. 337)
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Trennungen in dieser Zeit

Was bleibt mir, wenn wir von einander scheiden?
Auch du siehst etwas bleich aus schwarzem Wagen,
Noch ein Mal zu mir her, von Qualm beschlagen -
Weiß winkt die Einsamkeit, ein bleibend Leiden.

Was lebt in mir, wenn wir Lebwohl uns sagen,
Verschiednen Tons? Die großen Räder schneiden
Bald die verschlungnen Hände durch, uns beiden,
Denn alle Uhren schlagen Abschied, schlagen -

Was denke ich? Hier endlich nicht mehr denke!
Denn alles schwebt - Minuten schön - Geschenke -
Es ist so schmerzlich gut, dich noch zu sehn.

Und du? Die fremde Welt kanns doch verstehn,
Daß auch die Männer manchmal weinen müssen,
Ja, sie erlaubt am Bahnhof, dich zu küssen.
(S. 383)
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Sommer

Was an Frauen selten sich erfüllte,
Schenkt dies weiß in Wolken eingehüllte
Dunkel, das mich einsam glücklich macht,
Und ich feiere Liebesnacht
Mit dir, o Nacht.

Atme ganz dich ein, von Duft umschlungen,
Der mich traumhaft küßt mit Blumenzungen,
Einmal zeitvergessen! Park entlang,
Widerhallt auf meinen Gang
Verborgener Sang

Alles nun erwidert auf mein Schweigen,
Stern ruft Stern, wenn kaum die Augen steigen,
Keine Frau war zärtlicher, und nie
War Begleitung innig wie
Die Melodie.

Jeder Schritt ist dicht von dir umlegen,
Tausend Brüste hebst du mir entgegen
Niemand kommt, und selbst kein Fenster wacht,
Und ich feiere Liebesnacht
Mit dir, o Nacht.
(S. 385)
_____


Aus: Alfred Wolfenstein Werke
Erster Band: Gedichte
Herausgegeben von Günter Holtz
v. Hase & Koehler Verlag Mainz 1982

 

 

Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Wolfenstein


 

 


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