|
Gabriele Fürstin Wrede
(1851-1923)
Zwei Hochzeiten
I.
Sie steh'n in Schmuck
und Schimmer
Am festlichen Altar,
Nichts fehlt zum Glanz und Flimmer:
Es ist ein fürstlich Paar.
Und von dem Glück der beiden
Geschwatzt wird überall,
Doch nichts von stillen Leiden
Und stummer Herzensqual.
II.
Und zu derselben Stunde
Steht auch ein and'res Paar
Zu gleichem heil'gen Bunde
Am festlichen Altar.
Sie trägt kein Kleid von Seide,
Er ist ein Bauernsohn,
Doch glücklich sind sie beide,
Und niemand spricht davon.
(S. 481)
_____
Mittelstraße
Nur nicht zu kühn das freie Denken,
Nur nicht zu hoch der stolze Flug,
Nur glühend sich in nichts versenken,
Die Mittelstraße - dann genug.
Das ist die Form, worein sie zwängen
Ein Herz, das lodernd ringt;
Das ist das Maß, um zu verengen
Den Geist, der heiß die Welt umschlingt.
***
Weißt du, warum so gern
Zum Wald den Schritt ich lenke?
Weil dort die Nachtigall
Das singt, was ich mir denke.
(S. 482)
_____
Gedichte
aus: Unsere Frauen in einer Auswahl aus ihren Dichtungen
Poesie-Album zeitgenössischer Dichterinnen
Von Karl Schrattenthal
Mit zwölf Porträts in Lichtdruck
Stuttgart 1888
Biographie:
Wrede, Frau Fürstin Gabriele, Wien, am 3. Dezember 1861 in
Steiermark als zweite Tochter des Reichsgrafen Friedrich von Herberstein
und der Gräfin geb. Dietrichstein geboren. Von Geburt an ziemlich
schwach und kränklich, führte sie seit frühester Kindheit ein mehr in
sich gekehrtes Einzelleben. Geschichte und Litteratur waren ihre
Lieblingsstudien. Mit 14 Jahren begann sie Reime zu schmieden, verbarg
sie aber sorgsam vor jedem unberufenen Auge. Später wendete sie sich der
Musik zu. Sie verfügte über eine sehr starke und umfangreiche Altstimme.
Einen Band "kleiner Gedichte" liess Fürstin W. bei Gerold in Wien
erscheinen. Seit 1879 ist sie die Gemahlin des Fürsten Nikolaus Wrede,
k. k. Gesandten a. D.
- Kleine Gedichte. Wien 1883
aus: Lexikon
deutscher Frauen der Feder.
Eine Zusammenstellung der seit dem Jahre 1840 erschienene Werke
weiblicher Autoren, nebst Biographieen der lebenden und einem
Verzeichnis der Pseudonyme. Hrsg. von Sophie Pataky
Berlin 1898
|