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Wernine Zimmermann
(1825-1906)
Ein Meer
Es ist die Welt gleich wie ein Meer,
Darin als Tropfen wir geboren,
Um in der Brandung bald verloren,
Zu schwinden ohne Wiederkehr.
Und auch das Herz ist wie ein Meer,
Zu Sturm und Wogenschwall erkoren,
D'rin gärt, erbraust und tobt uns Thoren
Haß, Lieb' und Streit, Trotz und Begehr.
Und ob des Wetters Allgewalt
Des Meeres Tiefen jäh durchfegte,
Sein altes Ausseh'n trägt's alsbald.
Nichts mehr verrät, was es erregte;
Sein Spiegel ruht so still und kalt,
Als ob's kein Opfer drunten hegte.
(S. 485)
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Ein flücht'ger Blick
Ein flücht'ger Blick, ein Strahl wie Maimondschein,
Aus deinem Auge hat er meins getroffen;
In mein erzitternd Herz fiel er hinein -
Was kann, was darf von diesem Blick ich hoffen?
Hast du, hast du mich lieb, bin ich für dich
Was du mir bist, seitdem ich dich gesehen?
War's Mitleid, war's Besorgnis nur für mich?
Wie soll ich diesen flücht'gen Blick verstehen!
O war's des Abschieds letzter, flücht'ger Blick,
Und um das eig'ne Leid ein banges Klagen?
Trennt fremdes Wollen dein und mein Geschick,
Mußt ich dich finden nur, um zu entsagen?
Ein flücht'ger Blick, ein Strahl wie Maimondschein,
D'ran sätt'gen muß mein Harren ich, mein Sehnen!
Ach, sollt's der Schimmer eines Irrlichts sein,
Und meiner Liebe Glauben eitles Wähnen?
(S. 485-486)
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Gedichte
aus: Unsere Frauen in einer Auswahl aus ihren Dichtungen
Poesie-Album zeitgenössischer Dichterinnen
Von Karl Schrattenthal
Mit zwölf Porträts in Lichtdruck
Stuttgart 1888
Biographie:
Zimmermann, Wernine, Neustrelitz, Mecklenburg, wurde 1823 in Neustrelitz
geboren. Der Vater starb, als Wernine kaum 2 Jahre alt war und ihre
Mutter ernährte als Witwe ihre Familie durch Unterrichtgeben. Als die
einzige Tochter Wernine das Alter von 18 Jahren erreichte, wurde ihre
Mutter infolge schwerer Krankheit arbeitsunfähig, und nun trat an W.
auch die Pflicht heran, für ihre Mutter zu sorgen. Siebenundzwanzig
Jahre lang wirkte W. Z. als Lehrerin in vornehmen Häusern, bis sie die
Sorge für ihre kranke Mutter dazu trieb, nach Neustrelitz zu
übersiedeln. Nach einigen Jahren starb die Mutter. W. Z. blieb in
Neustrelitz und schreibt für verschiedene mecklenburgische Zeitungen,
die Mecklenburg-Strelitzer Landeszeitung und für einige Volkskalender
Festtagsgedichte, kleine Abhandlungen, Sagen und kurze Novellen. Jetzt
in ihrem siebenzigsten Jahre ist die Schriftstellerin fast ganz
erblindet.
- Altes und neues. Gedichte Rostock 1872
- Auf Flügeln des Gesanges. Erzählende Dichtung 1875
- Ein dürstend Herz. Erzählende Dichtung 1873
- In einsamen Stunden. Gedichte 1868
aus: Lexikon
deutscher Frauen der Feder.
Eine Zusammenstellung der seit dem Jahre 1840 erschienene Werke
weiblicher Autoren, nebst Biographieen der lebenden und einem
Verzeichnis der Pseudonyme. Hrsg. von Sophie Pataky
Berlin 1898
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