Ignaz Vinzenz Zingerle (1825-1892) - Liebesgedichte

 

Ignaz Vinzenz Zingerle
(1825-1892)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 





Minnelieder

1.
Im goldnen, klaren Morgenschein
Zieh ich in's weite Thal hinein,
Es steigt das Lied, es schwelgt der Blick,
O süßes, süßes Wanderglück!

Und wo ich geh' und wo ich eil',
Und wo ich steh' und wo ich weil,
Mein Lied fliegt über Berg und Thal
Und grüßet dich viel tausendmal.
(S. 71)
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2.
Und schmückt der Frühling Zweig und Ast
Mit hellen Blütentrauben,
Du freuest dich an ihrem Glast
Und wirst dem Lenze glauben;

Und wenn der Liebe Lenz erwacht
Und schenkt dir Blüt' um Blüte,
Du zweifelst an der Liebe Macht
Und an des Himmels Güte?
(S. 72)
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3.
O goldne, holde Frühlingszeit,
O wonniges Singen und Klingen!
Wie ist mein Herz so froh und weit,
Es möchte vor Lust zerspringen.

Es glühet ja die Liebe mir
Und schaffet Lust und Wonne;
Und ob der Blumen bunter Zier
Lacht golden die ewige Sonne.
(S. 73)
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4.
Was willst du, Lieb! noch traurig sein,
Vergeh'n im stillen Harm?
Der Frühling schenkt den Freudenwein,
Fragt nicht nach Reich und Arm.

Er dichtet froh sein Schöpfungslied
In Gottes freier Welt,
Die Blumenkarawane zieht
Bei Lerchensang durch's Feld,

Und streuet süßen Veilchenduft,
Und gibt gar lichten Schein.
Drum eil' hinaus zur Frühlingsluft
Und wasch' die Aeug'lein rein.

O weinet nicht, ihr Augen klar!
Sei froh, du liebes Herz!
Der Frühling liebt ein liebend Paar
Und heilet Weh und Schmerz.

Er stickt den Blumenteppich dir,
Den Blütenbaldachin,
Und zaubert dort, und zaubert hier
Ein Liebeseden hin;

Drum jauchze heut am Frühlingstag:
"Lebt wohl ihr, Leid und Schmerz!"
Und was der Mai nicht bieten mag,
Biet' ich - ein liebend Herz.
(S. 74-75)
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5.
Es dunkelt, Föhren und Tannen
Sie nicken schlummernd ein,
Es wirft in die Wolkendecke
Sich schläfrig der Mond hinein.

Die Birken nur wallen im Winde,
Der säuselnd im Thale geht,
Der Wildbach rauschet im Grunde
Sein lautes Abendgebet.

Ich kann nicht schlummern, nicht träumen,
Ich habe schon lange gewacht,
Ich hab' mit dem Bache gebetet
Und liebend deiner gedacht.
(S. 76)
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6.
Wenn zur stillen Burg ich walle,
Blütensträuche mich umranken,
Steigen zu des Himmels Halle
Meine seligen Gedanken.

Und sie preisen hoch und mächtig
Unsern lieben Vater droben,
Der die Liebesrose prächtig
In des Lebens Kranz gewoben.
(S. 77)
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7.
Unser Streben, unser Trachten
Sei ein Blicken nur nach Oben,
Wenn auch Stürme uns umnachten,
Wollen wir den Vater loben.

Mag es dunkeln, mag es tagen,
Mag er Weh und Lust uns senden,
Nimmer wollen wir verzagen,
Denn wir ruh'n in seinen Händen.
(S. 78)
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8.
O zweifle nicht, mein Lied ist dein,
Ob's juble, ob es klage,
Dir klingt es bei dem Mondenschein,
Dir klingt's am lichten Tage.

Und wem das Lied, dem schlägt mein Herz
In hohem Schlag entgegen,
Du lächelst auf des Dichters Schmerz
Des Friedens heil'gen Segen.
(S. 79)
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9.
Und wie wir treu uns lieben heut
Von Jugendblut umglänzet,
So steh' der Bund noch fest erneut,
Wenn greises Haar uns kränzet.

O süße Lust, wenn spät im Jahr
Noch lächelt hold die Sonne,
Man träumt am Herbstestage klar
Sich neu des Frühlings Wonne.
(S. 80)
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10.
In stiller Stunde wandelst du
Zur dämmernden Kapelle,
Und betest fromm in süßer Ruh
Für mich an heil'ger Stelle;

O bete nur, in Leid und Lust
Laß uns den Ew'gen loben.
Was je erfreut des Kindes Brust,
Es kommt vom Vater droben.
(S. 81)
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11.
Ich habe dir mein Herz geschenkt,
Es ist und bleibt dein Eigen,
Wie auch der Herr die Loose lenkt,
Des Schicksals Stürme steigen.

Und sollte uns der bleiche Tod
Entführen diesem Thale,
Wir schweben auf im Morgenroth
Zum schönern Hochzeitmahle.
(S. 82)
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12.
Es wechseln Nacht und Morgen,
Der Winter und der Mai,
Es bleibt von Leid und Sorgen
Des Lebens Tag nicht frei.

Wir wollen redlich tragen
Und theilen unsern Schmerz,
Dann wird im Leiden schlagen
Noch freudig unser Herz.
(S. 83)
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13.
Ich liebe dich, wie Engel minnen
In reiner Liebe sich ergeben,
Du bist mein Trachten und mein Sinnen,
Mein Träumen und mein süßes Leben.

Du bist mein Tag. - Was wär' die Blume,
Wenn sie die Sonne nicht erblickte?
Was wär' mein Herz, das traurig stumme,
Wenn deine Lieb' es nicht beglückte?
(S. 84)
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14.
Du bist ein edles, treues Blut,
Wie man es suchet sonst vergebens,
Ein Morgenstrahl, der lächelt Mut
In diese dunkle Nacht des Lebens.

Was wär' ich ohne deine Lieb?
Was wär' ich, wenn ich dich nicht hätte?
Ein wilder, heimatloser Trieb,
Der traurig welkt an fremder Stätte. -
(S. 85)
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15.
O sieh mich nicht so traurig an,
Laß nicht die Thräne blinken!
O laß des Schmerzes eitlen Wahn
Zerstieben und versinken!

Die Liebe weilt bei ihrem Hort,
Und trennen sie auch Meere,
Der Himmel spricht sein Segenswort
Und schickt ihr seine Heere.
(S. 86)
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16.
Die Maienrose hat den Thron
Geräumt der Hagebutte,
Die Bäume starren kahler schon
Umringt vom Blätterschutte;

Nur meine Liebe steht so frank,
Wie Rosen, maigeboren,
Die Wunderblume ist nicht krank,
Sie hat kein Blatt verloren.
(S. 87)
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Aus: Gedichte von Ignaz V. Zingerle
Innsbruck Verlag der
Wagn'nerschen Buchhandlung 1858

 


Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Ignaz_Vinzenz_Zingerle



 

 


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