Georg Friedrich Daumer (1800-1875) - Liebesgedichte



Georg Friedrich Daumer
(1800-1875)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte (Teil 2):
 





Marie und Veronika

Das Feuer brennt, o Mutter,
Die Liebe noch viel mehr.
Das Feuer kann man löschen,
Die Liebe nimmermehr.
Altes Lied

I.
"Marie," spricht die Alte,
"Wer mir die Tochter steifet,
Die buhlerische Dirne,
Das bist vor Allen du.
Komm, laß dich untersuchen!
Trägst ohne Zweifel wieder
Ihr so ein Briefchen zu."

Der strengen Untersuchung
Beut sich Marie kecklich;
In Tasche wird und Busen
Bedächtig eingegriffen;

Was wird darin gefunden?
Ein Taschentuch, ein Hemdchen,
Zwei junge, runde Brüstchen -
Da hat die Alte Ruh';
Doch jene trägt, die Schlaue,
Das Briefchen in dem Schuh.
(S. 8)


II.
In nova fert animus mutatas dicere formas Corpora
Ovid
Wie ist der Mensch
So arm und schwach!
Ach, Schätzchen!
Ach, könnt' ich mich
Verwandeln in ein Kätzchen,
Das dem geliebten deinen gleich,
Und also auf erhab'nem Dach
Hinwandeln schräg
Den luftigen Weg
Und sachte, sacht
Hinein zu deinem Hause springen,
Hinab zu deiner Klause dringen,
Zu deiner Pforten
In stiller Nacht,
Wer wäre, wie ich,
An Wonne reich!
Denn stünd' ich dorten -
Ein sanft Miau
Verkündete mich,
Und freudiglich,
Mir aufzuschließen,
Erhübst du dich.
Ich träte hinein
Mit kochender Ader -
Noch wär' ich ein Kater -
Spräng' alsofort
Auf deinen Schooß
Und wäre jeder Gène bloß.
Ich ließe mich streicheln,
Ich ließe mir schmeicheln;
Ich schnurrte so fröhlich,
Ich gurrte so selig,
Jedwede Labe
Noch süßerer Art
Vorausgenießend,
In sicherer Habe.
Mit einem Male
Der Hülle los -
An deinem Halse hing dein Knabe.
(S. 10-11)


III.
Was blickst du mich schelmisch an,
Und doch so süß und weich?
Du hast wohl etwas auf dem Plan,
Was an Entzücken reich. -

"Wohl hab' ich etwas auf dem Plan;
Du hast ja keine Ruh'.
Mein Pförtchen, es ist aufgethan
Für einen Schelm, wie du.

Entfernt hab' ich gar listiglich
All, was da wehrt und wacht,
Und ohne Schaden nahst du dich
In stiller, öder Nacht.

Ich harre dein, ich leite dich
In's trauliche Gemach;
Und da, da stirbt, da wandelt sich
In Jubel unser Ach."
(S. 12-13)
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Flora

Vergängliches Glück! Schon morgen klirrt
Die Sichel über die Saaten.
Der holde Lenz verwelken wird,
Das Weib wird mich verrathen.
Heine

I.
Nox erat et coelo fulgebat luna sereno
Inter minora sidera,
Cum tu, magnorum numen laesura deorum
In verba jurabas mea.
Horaz
Ich wußte lang, daß Schwüre
Die dünnsten aller Schnüre;
Allein die Liebe läßt es nicht,
Sie bindet sich an Eid und Pflicht. -

Wir küßten uns im Dunkeln,
Bei ewiger Sterne Funkeln:
"Wie dieser Sterne goldner Schein,
Soll ewig unsre Liebe sein."

Doch kaum, daß sich nach oben
Die frommen Blicke hoben,
Da fiel ein Stern, da zog den Schweif
Ein heller, rascher Feuerstreif.

Bang war ich und erschrocken;
Der Eid gerieth in's Stocken.
Die Sterne wußten gut Bescheid
Um's falsche Herz der schönen Maid.
(S. 17-18)


II.
Es bleiben alle schönen Triebe
Stets heilig und stets theuer mir.
Ich liebe nicht mehr dich; ich liebe
Nur meine Liebe noch zu dir.

Ich sehe dich, so oft ich kann
Und labe mich an dir;
Ich schaue dich im Stillen an
Und sauge deine Zier.

Doch wähne nicht, der alte Drang,
Die alte Liebe sei's,
Es halte mich der alte Zwang
In deinem Zauberkreis!

Der goldnen Tage denk' ich nur,
Der Tage, die verstiebt,
Wo ich das hohe Glück erfuhr,
Das uns die Liebe giebt.

Und du, du gleichst so ganz und gar
Ihr, der ich einst geglüht;
So blickte sie, so süß und klar
Hat all ihr Reiz geblüht.

Und das erneut sie, jene Lust,
Die mir so jäh entschwand;
All zu empfinden meint die Brust,
Was sie vordem empfand.

Es ist nur eines Traumes Schein,
Nur ihn entschöpf' ich dir;
Ich bin dabei, ach, so allein,
So ganz allein mit mir!

Und also laß mich immer steh'n
Und fröhnen einem Wahn!
All diese heißen Blicke geh'n
Dich selber gar nichts an.
(S. 20-21)
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Agnes

O steigt aus eurer Gruft empor
Gebrochne Herzen ohne Zahl,
Gebrochen an der Liebe Qual,
Ein myriadenstimm'ger Chor!
O kommt und ruft ihn in die Schranken,
Klagt an den Wahnsinn dieser Erde,
Bis frei, wie unsere Gedanken,
Bis göttlich-frei die Liebe werde!
Gottschall

I.
"Ach, presse nicht so feste!
Das geht durch Mark und Bein,
Das könnte mir zum Tode sein -
Und muß ich denn nicht leben
Für den Verlobten mein?"

Und wie sie dieses sagte,
Da stieg mit rother Gluth
In's bleiche Gesicht ihr kochend Blut.
Drauf in der Nacht, da ward ihr
So weh, so weh zu Muth.

Und ihrer Brust, der kranken,
Entquoll ein Strom so roth;
Das war die heiße Liebesnoth,
Die brach aus ihren Schranken
Und blutete sich zu todt.
(S. 25-26)


II.
Bei Nacht und Nebel gruben sie dich ein:
Dann stieg die Sonn' und gab den alten Schein.
An jenem Tage ziemte nur das Weinen.
O Sonne, schäme dich! Du konntest scheinen.
(S. 27)


III.
Das ist der alte Höllenzwang;
Es kann die Geister zwingen,
Wer diese dunkeln Künste weiß;
Die Nacht so still, mein Trieb so heiß -
Nun muß es mir gelingen.

Ich murmele den Zauberspruch;
Es brennt das magische Feuer.
Da, siehe, steht sie vor mir da,
So wie ich sie im Sarge sah,
Die Todte, die mir theuer.

Komm, komm, o Lieb, und säume nicht;
Kann mich dein Arm umfangen -
Und sollt' es auch zum Tode sein,
In Tod und Leben bin ich dein;
Ich will davor nicht bangen.

Sie schlingt um mich den Geisterarm,
Küßt mir den Mund, die Bleiche.
Da sterb' ich hin in Schmerz und Lust,
Da stockt das Herz in meiner Brust,
Da bin ich eine Leiche. -

Die Sonne hat mir diesen Traum,
Die steigende, vertrieben,
Mich neu gestürzt in Lebenoth,
Der ich so gern in Nacht und Tod
Bei meinem Lieb geblieben.
(S. 28-29)
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Regina

Wahre Königin ist nur des Weibes
weibliche Schönheit
Schiller

Du wandelst eine Dienerin,
Und scheinest eine Königin;
Dich eine Herrin schuf Natur,
Die Uebrigen zu Sklaven nur.

Wär' ich ein Herrscher reich und groß,
So fiele dir ein andres Loos,
So würde jede hohe Zier,
Der Purpur und die Krone dir.

Nun, da ich ohne Reich und Rang,
So töne dir ein Preisgesang;
So heb' ein Kranz von Dichterhand
Dich in den höchsten Adelstand!
(S. 33-34)
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Zur Vergleichung

Der Geist der Poesie, er ist der Eine
Allüberall. Das Meine, wie das Deine,
Es ist zuletzt doch immer nur das Seine.
Ein Plagiat, urtheilst du nach dem Scheine,
Wirst du bald da, bald dort zu sehen glauben;
Allein es offenbart der freie, reine,
Der Genius sich nur, der allgemeine,
Der nicht zu plündern braucht und nicht zu rauben.

I.
Schottisch
Ich zog auf einer Straße hin,
Da sah ich eine Wallerin;
So zarte Wonne sah ich nie -
Doch ohne Schuhe wallte sie.

Für solche Füße, Gott, wie hart,
Wie rauh der Grund der Erde starrt!
Ich hüllte sie, hätt' ich die Macht,
In adelige, seidne Pracht;

In würdige Hut, hätt' ich Gewalt,
Empfinge diese Huldgestalt
Und rollte sie von Ort zu Ort
Die prächtige Karosse fort.

O Haargelock von Golde klar!
O sternenhelles Augenpaar!
Es nachte das gesammte Sein -
Hell taget dieser Wunderschein.

Dich hat Natur, o Wallerin,
Geschaffen eine Königin;
Die Krone nur von Menschenhand,
Fehlt Mally, deinem Adelstand.

Ach, daß ich armer Leute Sohn,
Mir eigen nicht ein Fürstenthron;
Daß ich zu deiner Schöne Preis
Ein Liedchen nur zu spenden weiß!
(S. 38-39)


II.
Altdeutsch
Ich ritt einmal im Morgenschein
Durch grüne Büsch' und Bäume hin,
Da sah ich knie'n ein Mägdelein,
Das war geschaffen, Geist und Sinn
Auf ewig hinzurauben
Durch ihre zarte Pracht;
Waldbeeren abzuklauben,
War ihre Hand bedacht.

O hätt' ich Ehr' und Gut und Geld!
Ich legt' es all zu Füßen ihr;
Ich hüllte sie vor aller Welt
In prächtiger Gewande Zier.
So aber bin ich leider
Ein Wesen ohne Werth,
Ein flüchtig-armer Reiter,
Der sich vom Raube nährt.
(S. 40-41)
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Diana

Der Mensch entkommt dem Menschen nicht.
Byron

I.
"Wohl schlaf' ich einsam und allein;
Doch nehm' ich in mein Kämmerlein
Zwei Hunde mit, die wachen gut." -
So lange, Kind, in deinem Blut
Unaufgewühlt die eigne Gluth,
Bau' immerhin auf jene Hut!
Doch sollte dir gefangen sein
Das eigne zarte Herzelein -
Trotz deiner Hunde Geiferwuth,
In deine Zelle wohlgemuth
Steigt der geliebte Räuber ein.
(S. 45)


II.
Du willst mir wohl, liebst mich vielleicht sogar,
Und thust mir immer weh. Denn wenn du dich
Von mir entfernst, so schwimmt mein Herz in Blut;
Und bist du nah, bist freundlich, hold und gut,
So nährst du mir die hoffnungslose Gluth.
(S. 46)


III.
Es küssen sich die Sterne
Im himmlischen Azur;
Es küssen sich, wie gerne!
Die Blümchen auf der Flur.

Es üben alle Wesen
In freier Seligkeit,
Wozu sie Gott erlesen
In urbeglückter Zeit.

Doch welch ein hart Verzichten
Zerreißt nur ein Geschlecht!
Du hältst, o Kind, zu flüchten
Vor meinem Mund für recht?

Ach denke doch, du glühtest
Ein Sternchen im Azur!
Ach denke doch, du blühtest
Ein Blümchen auf der Flur!

Ja denke dir, es wäre
Noch immer hell und süß
Die Welt mit ihrer Schwere
Das alte Paradies!

Vergiß sie, jene Trübe,
Nur einen Augenblick!
Und bebe nichts, als Liebe,
Und fühle nichts, als Glück!
(S. 47-49)


IV.
"Die Winde weh'n so schauerlich,
Und dir erstarrt das Blut;
Mein Mantel aber nähm' auch dich
In seine sichre Hut.

Die Noth, du weißt ja, liebes Kind!
Die Noth hat kein Gebot.
Was kannst du denn für Frost und Wind?
Komm, komm! Es dringt die Noth. -

Nun, siehst du, ruh'n wir warm und lind,
Nun ruh'n wir Beide gut.
Und , ach, in diesem kalten Wind
Rollt nur zu heiß mein Blut."

Die letzten Worte dacht' ich nur,
Und hielt den Laut zurück;
Und wie ich so im Herbste fuhr,
Ward mir ein Frühlingsglück.
(S. 50-51)
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Lulu

Es ist ein eignes Genre -
In seiner Art mag gelten
All was da reizend ist
Und ohne böse List;
Wir wollen es nicht schelten.

I.
"Nicht auf den Himmel hoffe,
Du allzu dissolute,
Frivole, kleine Dirne!
Zur Hölle mußt du wandern
Tief, tief hinab." - "O nein!
Denn blinzel' ich den Herrgott
So an mit meinen schwarzen,
Verführerischen Augen -
Er läßt mich ein."
(S. 55)


II.
Den heißen Höllenschlund im Blick,
Noch immer nicht den Muth verliert sie.
Versuchend ihr gewohntes Glück,
Selbst mit dem Herrgott kokettirt sie.
(S. 56)
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Felicitas

Es ist kein köstlicher Ding, als Frauenliebe,
wem sie mag zu Theil werden.
Luther

Der Kreis der Erde ruht
Von Dämmerung umzogen;
Es peitscht der Winde Wuth
Im See die dunklen Wogen;
Zerstreute, schwache Blitze schickt
Manch niedres Hüttenlicht,
Und dort aus offnem Fenster blickt
Ein himmlisches Gesicht.

Die dunkle Locke weht
Wild um die weiße Stirne;
Mit starrem Auge steht
Weit ausgebeugt die Dirne,
Die halbbekleidet prächtige,
Und stöhnet in die Nacht;
Ihr Freund, der süße, nächtige,
Hat ihrer nicht gedacht. -

Er hätte nicht gedacht
So einzig hoher Wonnen?
Er hätte sich durch Nacht
Und Sturm zu geh'n besonnen? -
Dort dämmert eine Hochgestalt
Mit Mantel und mit Hut
Und eilt daher mit Schrittgewalt
Am Saum der wilden Fluth.

In diese sprang hinein
Unlängst ein armer Knabe;
Den trieb der Liebe Pein
Zu diesem feuchten Grabe,
Der Liebe zu dem schönen Weib,
Das dort in Rasegluth
Entgegendrängt mit Seel' und Leib
Dem Waller an der Fluth. -

Sieh, was im See sich
Hoch in die Lüfte recket!
Ein dunkler Schatten ist's,
Der aus die Arme strecket
Hin nach dem offnen Fensterlein,
Wo sich die Schöne zeigt,
Und wo zu seinem Lieb hinein
Ein seliger Buhle steigt.
(S. 59-61)
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Liane

Du suchst die Lieb' auf irrem Pfade
Vergebens in dem Drang der Welt;
Denn Lieb' ist Wunder, Lieb' ist Gnade,
Die wie der Thau vom Himmel fällt.
Geibel

I.
Sahst mich als einen Bekannten an,
Sprachst mich als einen Verwandten an,
Und findest dich betrogen -
Entfliehe nicht! Es hat kein Wahn
Dein ahnend Herz belogen.
Denn, liebes Kind, du siehest einen Dichter;
Und dem sind alle lieblichen Gesichter
In tiefer Seele Grund bekannt,
Dem alle solche zarte Huldgestalten
Auf's innigste verwandt.
(S. 65)


II.
Die Phantasie, so sehr sie
In's Ideale malt,
Realität zu Zeiten
Doch Alles überstrahlt.
(S. 66)


III.
Dies liebe Gesichtchen, es ist
Das Zarteste, was der Natur,
Der geisterhaft gesteigerten, gelang.
Aus süßromantischem Mondenschein,
Philomelenton und Rosenarom,
Aus jenem Lichte, Duft und Klang
Der sommernächtlichen Blüthenflur,
Worin mit ihrem Elfenchor
Titania schwärmet und Oberon,
Hat sie's gewoben und geformt;
Nicht reinster Ausdruck nur der Seele scheint es;
Ganz, wie es ist, so scheint es Seele nur.
(S. 67)


IV.
Jeder geliebte Gegenstand ist der Mittelpunkt
eines Paradieses
Novalis
Welch wonnevoller Liebeshort
An manchem unscheinbaren Ort;
Welch liebliche, lebend'ge Zier
In manchem ungeschmückten Port -
Man läßt es sich nicht träumen.
Vordem wenn ich durch dies Quartier,
Dies dürftige, dies öde, strich,
Wie freudelos bedünkt' es mich;
Wie rasch von hinnen eilet' ich
Aus seinen engen Räumen!
Nun weiß ich einen Engel hier,
Und seliger erscheint es mir,
Als eines Edens Lustrevier
Mit seinen Lebensbäumen.
(S. 68-69)


V.
Warum so trüb, mein liebes Kind,
Dein Auge so verweint?
"Es schien mir Einer wohlgesinnt
Und hat es falsch gemeint."

Und hat es Einer falsch gemeint
Mit dir, lieb Engelein,
Das konnte nur der böse Feind,
Kein Mensch gewesen sein.
(S. 70)


VI.
Ach diese schönen Aeugelein
Umflore weinend nicht!
Laß wieder hell und heiter sein
Dies wunderedle Licht,

Und strahle seinen Zauberschein,
Den lieblichen Azur,
Versöhnend in mein Herz hinein,
Ach einmal, einmal nur!

So manche tiefe Wunde hier,
Geschlagen vom Geschick,
Aus diesen Augen heilt sie mir
Ein lichter Liebesblick.
(S. 71-72)


VII.
Tief innen hier im Busen
Ist eine Wieg' aus Gold,
Darinne liegt und schlummert
Ein Kindelein so hold.

Ich heg' es und ich pfleg' es
Nach Mutterart so lind;
Mein Herz, das ist die Wiege,
Und du das holde Kind.
(S. 73)


VIII.
Man läutete zum Feste;
Ich ging zur Kirche hin,
Nicht weil ich fromm geworden -
Ich wußte dich darin.

Mit Menschen angefüllet
War das geweihte Haus;
Der Blick der Liebe fand dich
Doch wunderschnell heraus.

Auch deines Auges Flamme
Begrüßte mich sofort;
So spielet Amor lieblich
Selbst an so düsterm Ort.

Es füllete die Räume
Ein hohler Predigtton;
Doch meine Seele faßte
Nicht einen Laut davon.

Es schwangen sich Gebete
In's hohe Lichtrevier;
Mir war der Himmel näher;
Ich betete zu dir.
(S. 74-75)


IX.
Jehova spricht, der eifrige, der schreckliche:
"Nicht sollst du haben andre Götter neben mir;
Nicht sollst du beten zu Idolen, ob sie graß
Und gräulich oder lind und lieblich anzuschau'n!"
Dagegen jener kleingestaltet heidnische
Holdselige, humane Gott, dem all verhaßt
So göttliche, wie menschliche Tyrannenschaft,
Wie völlig anders redet er! "Du bete mir,"
So zum Exempel lautet itzt sein Wort zu mir,
"Dies wunderschöne, wunderzarte Blümchen an;
Und all des Himmels und der Erde Glorien
Sei'n dir ein hohles, werthberaubtes Nichts sofort!"
(S. 76)


X.
Aus allen ihren Heiligthumen haben
Sie dich verbannt, du holder Gott!
Doch du bist überall,
Wo Pulse pochen und wo Busen wallen,
Wo aus den Augen eine Seele leuchtet;
Bist weit "allgegenwärtiger", und weit
"Allmächtiger", als irgend einer dieser
Dir feindlichen Gottheiten, welchen sie
Die Sklavenkniee beugen, treibst sogar
Im heiligen Schauer ihrer Tempelhallen
Mit ihren düsteren Tyrannenehren,
Mit ihren finstern, fürchterlichen Lehren
Nur deinen stillen, süßen Spott.
(S. 77-78)


XI.
Das sind die ächten Götter,
Die leben und herrschen in ihrer Kraft,
Der ewig ungebrochenen,
Auch abgeschafft.
Wird man die eurigen einst
Zu Grabe getragen haben,
Sie werden ewig todt sein und begraben.
(S. 79)


XII.
. . . . .  Die Schlangen, die unter dem Gerölle
der alten Altäre lauern, die argklugen Schlangen, die
unschuldig zu lächeln wissen, wie Blumen, während sie
heimlich Verläumdung zischen und Gift spritzen in den
Lebenskelch; die gleißenden Würmer mit weichen Worten:
Mel in ore, verba lactis,
Fel in corde, fraus in factis
Heine

Glaube du nicht, mein Kind,
Giftigem Frömmlergrimm!
Halte mich nicht für schlimm!
Meine Gebrechen, es sind
Nur verzeihliche,
Meine Verbrechen, es sind
Nicht abscheuliche,
Sind so zarter Natur,
Sind poetische nur - und das sind keine.
Jene Brut dagegen, die sittenreine,
Rügend-eilige,
Richtend-gräuliche,
Himmelbläuliche,
Wunderheilige,
Lerne sie kennen nur!
Keine Spur
Aechten Adels:
Niedrig ist, ja teuflisch ist Alles hier.
Glaube, geliebte Kleine,
Glaube du mir dies Eine:
Ich bin ein Mensch, und was ich immer fehle,
Nie kommt in meine Seele
Das Gemeine.
(S. 80-81)


XIII.
Die Welt ist voller Mirakel und Wunderwerke;
aber weil sie täglich geschehen, so achtet man
ihrer nicht.
Luther
O Kind, wie sehr verkennst du mich!
Ich bin ein großer Glauber.
Ich glaube viel und festiglich
An Wunder und an Zauber.

Ich glaube, lieberausch-beglückt,
An die Magie der Minne,
Mit der du mir das Herz berückt
Und Geist bethört und Sinne;

An die Wunder der Natur,
Die unbegriffnen alle;
An diese holde Blüthenflur,
Dies goldne Saatgewalle;

An diese Sonne, die uns blickt,
Und diese schön're Leuchte,
Die ein so himmlisch Feuer schickt
Aus trunkner Liebesfeuchte.

Sein, Leben, Liebe, süßes Kind,
Sind das geringe Dinge?
Und wenn es ewig-große sind -
Mein Glaub' ist nicht geringe.
(S. 82-83)


XIV.
Ohn' irgend einen Aechtgewinn
Schleppt Jahr sich oft auf Jahr dahin;
Zu Zeiten aber fällt ein Glück,
Ein ungeahntes Wonneloos
Uns aus der Götter hohem Schooß
Herab in einem Augenblick.
So, Liebchen über Alles lieb!
Als dich ein Irrthum zu mir trieb.
(S. 84)


XV.
Wie der da geigt, so könnt' ich's auch;
Dein Lied dazu, der süße Hauch
Von deinem Mund und deine Harfe -
Wir zögen mit einander fort
Und musicirten hier und dort
Und sammelten zum Nothbedarfe.

Reicht' eine solche Harfnerin
Den Leuten ihren Teller hin,
Sie wären alle wie geblendet;
Es würde wohl so zartem Reiz,
So holdem Aug' ohn' allen Geiz
Von noch so karger Hand gespendet.

Und wäre so der Tag verbracht
Und dunkelte die stille Nacht,
Was harrten unser für Gefühle!
Wir senkten uns auf unser Stroh
Und neideten, so frei und froh,
Die Könige nicht um ihre Pfühle.

Sag' an, ob das nicht besser wär',
Als wenn ich sitze trüb und schwer
Bei meinen alten Folianten;
Du dich mit deiner Nadel mühst
Und jammervoll zuletzt verblühst
Bei deinen alten, dummen Tanten?
(S. 85-86)


XVI.
Die Zeit der Rosen ist dahin;
Herbstblumen nur erheben noch
Reizlose Häupter. Andere
Zeitrechnung aber, als das Jahr,
Hat unser Herz. Dem meinigen
Blickt seine schönste Sonne just;
All seine Knospen brechen ihm
Vollprangend auf; ein ganzer Wald,
Ein blühender, ein glühender,
Von Rosen ist mein Herz.
(S. 87)


XVII.
Daß du verlassen bist,
Daß ein Verräther dich in's Elend stieß,
Deß schämst du dich? - O der
Hat sich zu schämen, welcher dich verließ.
(S. 88)


XVIII.
Rachegeister, meinst du,
Müßten ihn verfolgen,
Jenen allzu Schlechten,
Welcher ein so grausam
Spiel mit dir getrieben -
Wisse, solch ein Schreckniß
Droht allein den Bessern,
Wenn sie sich vergangen,
Ungetreu geworden
Ihrem edlern Selbst.
Ueber sie Gericht
Hält das eigene
Strafende Bewußtsein;
Ihr Gefühl,
Ihr Gewissen quält sie;
Frei jedoch von diesen innern Mächten
Ist - wie wär' er es
Sonsten? - ein so reiner Bösewicht.
(S. 89-90)


XIX.
Wie dies süße Glücke
Tilgt aus meiner Brust
Aller Lebenstücke
Widrigen Verstimmungswust!

Weil ich selig liebe,
O wie rein geliebt! -
Jede letzte Trübe,
Jeder letzte Groll verstiebt.

Was verhaßt und feindlich
Meinem tiefsten Sein,
Selber das blickt freundlich
In der Liebe Rosenschein.
(S. 91-92)


XX.
"Deinem Schritte folgt mein Schritt,
Denn das ist der Liebe Brauch;
Wärst du fromm, ich wär' es mit;
Da du gottlos, bin ich's auch."

Daß du gottlos, sage nicht!
Lieben ist Religion,
Ist der Frauen ganze Pflicht,
Ist Verklärung, höchste, schon.

Liebe fromm! Nicht frömmer ist
Dein Gemüth zu aller Frist;
Liebe gottlos für und für!
Gott erfüllt die Seele dir.
(S. 93-94)


XXI.
Seele, liebende, flieh' die Welt! Sie schauet
Freudemordend dich an.
Stagnelius
Deine Sehnsucht, liebes Kind,
Deine Zärtlichkeit verhehle!
Fürchterlich die Menschen sind,
Schwarzes Gift ist ihre Seele.

Sprich, o sprich kein Sterbewort;
Deines Auges Flamme zügle;
Selbst an unbelauschtem Ort
Deinen Himmelskuß beflügle!

Denn was Engel wohl und Gott
Sich ergötzen mag, zu sehen,
Wird die Welt zu Hohn und Spott,
Wird dir's wenden zum Vergehen.
(S. 95-96)


XXII.
Welche Knechtschaft überall im Leben!
Welche Macht gegeben
Ist sogar dem Blödsinn
Und der Albernheit!
Und wie muß man sich
Oft so schmählich beugen,
Oft so peinlich fügen,
Um zu kosten einmal
Einen Tropfen Glück und Seligkeit!
(S. 97)


XXIII.
Mit zwei alten, dummen Betteln
Muß ich meine Zeit verzetteln;
Denn sie sind die wilden Drachen,
Welche diesen Hort bewachen.
Sollt' ich ihnen mißbehagen -
Aus dem Gärtchen, aus dem Stübchen,
Wo ich kose mit dem Liebchen,
Würde mich ihr Groll verjagen.
O wie stark sind Liebesstricke!
O wie mächtig sind sie hier!
Gerne ja mit Höllenqualen
Würd' ich ein Paar Augenblicke
Traulichen Vereins mit ihr,
Die mein Himmel ist, bezahlen.
(S. 98-99)


XXIV.
Mit heiligen Marterbildern haben sie
Die Wand geschmückt, die alten Frömmlerinnen -
Mir sonsten ein beleidigender Anblick
An jedem Orte, nur an diesem nicht.
Denn hier ist Alles reizend, Alles schön,
Da hier das lieblichste der Wesen weilet.
Könnt' ich nur immer diese Wunden seh'n
Und sie dazu, die meine Wunden heilet!
(S. 100)


XXV.
Das Weib, es ist der Blüthenduft des Seins,
Ist das Arom, das, himmlisch-wundervoll,
Die irdische, gemeine Welt durchwürzt.
O komm und sei ganz Weib!
O hülle mich ganz in deinen mystischen,
In deinen magischen Violenduft;
Betäube mir damit die wache Seele,
Mach' Alles um mich her
Zu Traum und Zauber und erfülle mich
Mit mehr als menschlicher Seligkeit Gefühl!
(S. 101)


XXVI.
Du siehst, du falscher Freund, die Tyrannei,
Die zärtliche, die mich in Bande schlug,
Und weihest mir ein herzliches Bedauern.
Doch ich durchschaue dich; es ist der Neid,
Die Eifersucht, die dein Gemüth erfüllt;
Du rissest diese Kette gern entzwei;
Nicht aber, weil du mich bedauerst, weil
Dir ihre Wucht so schwer zu tragen scheint -
Es ist allein, weil du den eignen, dir
Zu freien Hals darein verschlingen möchtest;
Du gäbest wohl sogar den besten Theil
Von deinen Schätzen, deinen Prachten hin,
So unterjocht und so gequält, wie ich,
Doch auch so wundervoll zu sein.
(S. 102-103)


XXVII.
Der Götze Tod ist abgethan;
Wir beten nur das Leben an.
Aus einem neureligiösen Kirchenlied
Hier ist sie, meine Waldkapelle;
Komm, übersteige dies Gerüll!
Wir dringen in die öde Zelle;
Da ist es sicher, ist es still. -

Sieh, Kind, in tiefen alten Mauern
Ward einst die finstre Macht verehrt,
Die Lieb' und Lust in Haß und Trauern,
Lebendiges Sein in Tod verkehrt.

Nun mögen sie, wie denn auf Erden
In ewigem Wechsel Alles kreist,
Geweiht durch unsre Wonne werden,
Zum Heiligthum dem guten Geist.
(S. 104-105)


XXVIII.
Das frische Laub, womit du dir
Das Haar bekränzt, es lockt die Geis;
Sie strebt empor, sie rauft daran,
Zieht es hinunter auf den Plan,
Die nichts von holder Anmuth Preis,
Die nur von ihrem Hunger weiß.
Ein Bild des Lebens seh' ich hier,
Des menschlichen; denn das zerpflückt,
So roh, so plump, wie dieses Thier,
Jedwede noch so schöne Zier,
Mit welcher uns die Liebe schmückt.
(S. 106)


XXIX.
Wie die weiche Liane den Palmenschaft,
Umschlang mich ihre Leidenschaft;
Da riß sie mir ein hart Geschick
Hinweg in einem Augenblick.
Es klagt die Sehnsucht in den Wind;
Wo bist du nun, mein Herzenskind?
(S. 107)


XXX.
Treu zu sein, war mein Begehr -
Ach, ich konnt' es nimmermehr.
Tod und Leben ist verschworen
Wider unsre Liebeskraft.
Was sich unser Herz erkoren,
Es zu halten unverloren
In unendlich heißer Haft -
Aus dem Herzen, aus den Armen
Seh'n wir Alles ohn' Erbarmen,
Ach, wie bald! dahingerafft.
(S. 108)
_____



Bella
nach Louis Germain

Wollt ihr ein Liebeslied oder ein
Lied vom guten Lebenswandel? -
Ein Liebeslied, ein Liebeslied!
Shakespeare

Erste Periode

Ob sie Engel oder Dämon,
Das ist nicht so leicht zu seh'n.
Doch zu reizend ist die Mischung,
Und wir lassen sie besteh'n.

I.
Alles ist ihr wohlgewogen,
Keine Seele wird ihr bös.
Noch so wild und ungezogen,
Immer ist sie graziös.
(S. 113)


II.
"Die Dirne treibt, die kleine, lose,
Mit deiner Schwachheit ihren Spott."
Sie spotte nur, die süße Rose!
Ihr Spott sogar macht mich zum Gott.
(S. 114)


III.
Fliegst du vielleicht auch schon zum Haus
Bei dunkler Nächte Schweigen
Auf Besen oder Gabel aus
Zum fernen Hexenreigen?

Denn das ist eitel Hexerei,
Daß du zu Lust und Schmerzen
Schon solche lose Spiele treibst
Mit ernsten Männerherzen.
(S. 115)


IV.
O Schelmenaug', o Schelmenmine!
O allerliebster Uebermuth,
Dem ich zu ew'gem Spotte diene,
Und dem ich ewig hold und gut!

Ja spotte nur und spiel' und scherze,
Du liebliches, geliebtes Kind!
Ich blicke dir in's tiefe Herze
Und weiß, wie dieses Herz gesinnt.

Nicht lange mehr, so schlägt ein Stündchen,
Wo dieses Aug' in Liebe schwimmt,
Stumm wird dies süße, böse Mündchen,
Und Amor volle Rache nimmt.
(S. 116-117)


V.
Und da ich gar so dornig,
Nahmst einen Prügel frei
Und schlugst ihn liebezornig
An meinem Leib entzwei.

Der Harm, womit du kränktest,
Wie war er mir so süß!
Mit jedem Schlage schenktest
Ein Freudenparadies.

Des Stockes Trümmer fassen
Möcht' ich in's schönste Gold,
Weil sie mich wissen lassen,
Wie mir dein Herz so hold.
(S. 118-119)


VI.
Die Wange hab' ich ihr
In Gluth gesetzt mit Küssen;
Zur Stunde haben wir
Die Wonne büßen müssen;
Denn jene Flamme sah'
Die treffliche Mama;
Da war das Unheil da
Und unser Bund zerrissen.
(S. 120)


VII.
Die Jugend - o Schande! -
Hat keine Tugend.
Die Tugend - o Jammer! -
Hat keine Jugend.
La belle et la bete;
La bete ist die Tugend,
La belle ist die Jugend;
Wie hielte sie still
Dem Ungethüm, das sie fressen will!
(S. 121)


VIII.
Ein Gast - wer ist er?
Ein Herr Magister,
Ein Herr Philister,
Hochmüthig düster,
Langweilig schaal.
Hat im Tornister
Ein groß Register
Von Weltgebrechen,
Ein wenig Mystik
Und viel Moral.
Des Teufels Bote,
Des Teufels Küster,
Zum Teufel geh' er
Und seine Qual!
(S. 122-123)


IX.
Küsse geschwind,
Liebliches Kind;
Flüchte sodann
Schnell, wie der Wind!

Feindlich Macht
Wehret und wacht;
Aber wie oft
Ist sie verlacht!

Wie sie bedrängt,
Wehe verhängt,
Jegliche Lust
Kürzet und engt -

Lindert einmal
Wonne die Qual,
Sei es im Busch,
Sei es im Saal:

Doppelte Gluth
Komme zu gut,
Und so besteh'
Leben und Muth!
(S. 124-125)


X.
Kind des Himmels, wie du blickst,
Segen in mein Herze schickst!
Solche Blicke zu erjagen,
Alles, Alles wollt' ich wagen;
Und sie laben ohne Müh';
Unverdient gewährst du sie.
(S. 126)


XI.
Lasse dich, o Kind, bedeuten,
Dich ein kleines Kniffchen lehren,
Das zu Zeiten hold beglückt!
Wenn wir sitzen unter Leuten,
Kalt und steif in allen Ehren,
Von der Sitte dumpf gedrückt,
Wie getheilt mit scharfen Scheeren,
Wie zerhackt und wie zerstückt -
Sachte wird mein Fuß dem deinen
Unterm Tische zugerückt
Und berührend nah erscheinen.
Setze dann den kleinen, feinen
Deinen heimlich auf den meinen,
Presse dann mit aller Kraft!
Also den Verstellungspeinen
Werde Linderung verschafft!
(S. 127-128)


Zweite Periode

Erinn'rungen der Liebe,
Die, rein von aller Trübe,
In ewigem Flore steh'n,
Sind wie die Liebe schön.

Das wunderliche Bild, das mir
Aus deinen kindlichen Tagen blieb,
Es lebt noch immer und lacht in mir,
Ich hab's noch immer so lieb.

Und deine herzigen Briefe jetzt -
Da's keine zartere Labe giebt,
So bin ich in die nicht minder auch
Gar wundersam verliebt.

Wie gut, daß du so ferne bist
Und in so fester Kette Bann,
Daß ich, wie schön du aufgeblüht,
Wohl niemals sehen kann!

Es käme dann, ich fürchte sehr,
Noch eine dritte Gluth dazu,
Und allzu tödtlich wär' es dann
Gethan um meine Ruh'.
(S. 131-132)


Dritte Periode

Das Gesetz haben die Menschen sich selbst
auferlegt; die Natur aber haben alle Götter
geordnet. Was nun die Menschen gesetzt, das
will nicht passen; was aber die Götter setzen,
das ist immer am Ort.
Göthe

I.
Meine Lage würfelt mich einem fremden Manne
aus, unter dessen kalter Hand vielleicht mein
warmes Herz erstarren, dieses feine Gewebe der
Empfindung durch plumpe Griffe zerrissen und -
o gütige Gottheit! wieder einer deiner Lebens-
bäche schändlich versiegen wird.
Aus "Fiormona"

Die Mutter hat dich oft getadelt;
Sie wünschte dich "versorgt" zu seh'n,
Und du, du wolltest einsam steh'n.
Nun freut sie sich, es ist gescheh'n:
Du bist "versorgt", du bist - entadelt.
(S. 135)


II.
Ich gönnte gern, du schönes Wesen,
Dich Einem, der für dich erlesen,
Der nicht so ganz unwerth erschiene,
Zu küssen einen solchen Mund.
Allein mit einem solchen Schatze,
Allein mit dieser Engelsmiene
In minniglichem Kosebund
Zu sehen eine solche Fratze,
Macht Aug' und Herze gar zu wund.
(S. 136)


III.
Fluch über die schnöden Netze
Der lustberaubten Pflicht!
Fluch über alle Gesetze,
Die jene der Liebe nicht!
(S. 137)


IV.
Sie, die die Wonne nicht versteh'n,
Sind sie zu kosten auserseh'n;
Die sie zum heiligen Culte machten,
Die müssen darben, müssen schmachten.
(S. 138)


V.
Ach, wende diesen Blick, dies Angesicht!
Das Innere mir mit ewig-neuer Gluth,
Mit ewig-neuem Harm erfülle nicht!

Wenn einmal die gequälte Seele ruht,
Und mit so fieberischer Wilde nicht
In meinen Adern rollt das heiße Blut -

Ein Strahl, ein flüchtiger, von deinem Licht,
Er wecket auf des Weh's gesammte Wuth,
Das schlangenhaft mich in das Herze sticht.
(S. 139)


VI.
. . . .  Humana malignas
Cura dedit leges, et quae natura remittit,
Invida jura negant.
Ovid
Nach Tagesschwüle
Die sanfte Kühle -
Da hatt' ich Ruh'.
In Harm, in schweren,
Sie zu verkehren,
Erschienest du.

Nur noch erblicken,
Nicht mehr umstricken,
Soll ich, o Geiz!
Den wunderbaren,
Den Kinderjahren
Entstrebten Reiz.

Voll Lieb' und Güte
In höchster Blüthe
Zeigt dich Natur,
Will Alles schenken;
Doch mich zu kränken,
Erstrahlst du nur.

Gesetze binden,
Gefühle winden
Sich jammervoll,
Da sich zu Eise
Das Herz, das heiße,
Verhärten soll.

So steh'n und brennen
Und all zu kennen,
Was selig macht -
Weit besser neigen
Das Haupt und steigen
In Grab und Nacht.
(S. 141-142)


VII.
Ich seh' in Nachtgesichten
Ein Weib, ein engelschönes;
Sie sitzt an einer Wiege,
Sie hält in ihren Armen,
Sie nährt an ihren Brüsten,
Ein Kindelein, ein süßes,
Mit ihrer Milch so lind.
Das Weib hab' ich geliebet;
Nicht mir geworden ist sie,
Nicht mir geboren hat sie
Das kleine süße Kind.
(S. 143)


VIII.
Es pocht der Mann auf seine Macht;
Die Frau bedient sich ihrer List.
In dieser wunderlichen Schlacht,
Wer, meinet ihr, daß stärker ist?
(S. 144)


IX.
Der Herr Gemahl voll rohen Eigensinnes,
Und sie gefügig ohne Widerspruch -
Gleichwohl regiert er nun zum Schein; es lenkt
Nach Wohlgefallen ihn das kluge Weib.
So zum Exempel: Will sie, daß er bleibe,
So sagt sie: "Geh!" und will sie, daß er gehe,
So sagt sie: "Bleib!", Er thut dann unfehlbar
Das Gegentheil, das ihre Meinung war.
(S. 145)


X.
Da aber das Gebot kam, ward die Sünde lebendig.
Röm. 7, 9
Warum so harte Sitten
Und Satzungen auf Erden? -
Daß sie zur Sünde reizen
Und übertreten werden.
(S. 146)


XI.
"Ei sieh doch einmal dorten hin,
Sieh jenen holden Jüngling an!
Wie schön er ist!" So spricht sie schlau
Zu ihrem Argus, ihrem Mann.
Der richtet auf den jungen Fant
Sein eifersucht-entbranntes Aug',
Für Alles sonst, was ihn umgiebt,
Des Sinnes und des Blicks beraubt.
Indessen nimmt die schöne Frau
Vom Freunde, der daneben steht,
Ein insgeheim in ihre Hand
Hineingedrücktes Briefchen an.
(S. 147)


XII.
Der ganze lange Tag verging;
Die Nacht erschien - es glückte nicht.
Da löschte sie im Reinigen
Wie aus Verseh'n das Kerzenlicht.

"O Gott, wie bin ich ungeschickt!
Geh', lieber Karl, zünd' eilig an!
Gleich vor der Thüre brennt ein Licht."
Und Jener eilt, so viel er kann.

Der traurige, betrogne Wicht!
Denn bis er mit dem Lichte kehrt,
Brennt Lipp' auf Lippe wonniglich,
Ist mir ein heißer Kuß bescheert.
(S. 148-149)


XIII.
Sie lauschte leis zur Thüre hinaus,
Sie horchte scharf die Treppe hinab;
Dann fiel sie mir um den Hals geschwind
Und sprach mit heiterem Angesicht:
"Mein Gatte zürnt und zankt wie toll
Im Hause drunten und stört uns nicht."
(S. 150)


XIV.
Daß Frauen allzu süß und schön,
Das sollte die Polizei nicht dulden;
In welche Leiden stürzet es,
In welche Kämpfe, welche Schulden!

Man mahnet uns, zu widersteh'n;
Allein was helfen Widerstände,
Wirft in das arme Menschenherz
Gott Amor seine Zauberbrände?

Da ist es aus mit unsrer Kraft;
Vor holder Anmuth Rosenfloren
Pocht jede Brust voll Leidenschaft,
Und selber Heilige sind verloren.

Drum fort mit Allem, was da blüht;
Versenkt es in die tiefsten Gründe!
Sonst wird das menschliche Gemüth
Nie frei von Sehnsucht, frei von Sünde.
(S. 151-152)


XV.
So manche Tugend entfaltest du,
Manch andere vermißt man.
Du bist darum nicht schlimmer dran;
Man ehret deine Tugenden,
Und deine Fehler küßt man.
(S. 153)


XVI.
Wenn du vollkommen wärst, wie man dich will,
So wärest du weit weniger vollkommen.
Denn es gehören deine reizenden
Gebrechen auch zu deiner Vollkommenheit.
(S. 154)


XVII.
Der Knabe darf zur wonnigen Mama
Nicht mehr in's Bett; er wird zu klug, zu groß;
Jetzt lernt er es erst schätzen, solch ein Loos -
Gleich ist die Welt mit ihrem Veto da.
(S. 155)


XVIII.
O wir unseligen Menschenkinder!
Sind wir beglückt, so sind wir Sünder;
Und meiden wir der Sünde Lust,
Schaudert der Tod in unsrer Brust.
(S. 156)


XIX.
Der erste Mangel an Freiheit besteht darin,
daß wir nicht sagen dürfen, was wir wünschen
und was uns fehlt.
Rahel
Was uns zu menschlich-vollem Sein gebricht,
Wir dürfen es vor'm Ohr der Welt nicht sagen;
Wir dürfen es nicht unserem Herrgott klagen.
Auch dieser schneidet uns ein fürchterlich Gesicht,
Wenn wir uns allzu frei zu äußern wagen;
Er liebt das Leben, liebt die Liebe nicht.
(S. 157)


XX.
"So soll es sein und so mit nichten."
Wär's mit dem Sollen nur gethan!
Das Können ficht sie wenig an,
Die abgeschmackten Moralisten;
Das soll sich nach dem Sollen richten.
So bleibt es ewig bei den Pflichten,
Bei guter Lehren hohler Pracht,
Bei der Versuchung argen Listen,
Und bei der Schwäche, bei der tristen,
Die, wie wir uns zum Kampfe rüsten,
Uns Alle zu Verbrechern macht.
(S. 158)


XXI.
"Man kann, wofern man will."
Ich zweifle nicht daran;
Allein es fragt sich, ob man wollen kann.
(S. 159)


XXII.
Nichts Schöneres fürwahr, nichts Edleres auf Erden,
Als jene Treue, die kein fremder Reiz besticht,
Die keine Noth erschreckt, und die kein Sturm zerbricht.
Doch zum Gesetz gemacht, zu starrer Tugendpflicht
Gestempelt darf so Göttliches nicht werden.
Frei muß es sein; nur frei darf es erscheinen.
Strahlt es in eignem, reinem Glanze nicht,
Sinkt es hinab zur Sphäre des Gemeinen,
Wird es zur hohlen Form, des jeglicher Gehalt,
Der Seele, Leben, Geist, der jeder inn're Halt,
Jedweder Reiz und ächte Ruhm gebricht.
(S. 160)


XXIII.
Die trivialsten Verse schmier' ich -
O welche Seelenquälerei!
Diverse Tage, wo geboren
Hochtheuere Philisterseelen,
Muß ich besingen und dabei
Einflechten höchst moral'sche Lehren,
So wie sie einer kleinen Tochter
Und einem jungen Sohne nützlich,
Zu Fleiß, Gehorsam, guter Sitte,
Schulmeisterlichst sie zu bestimmen -
Es bricht mir fast das Herz entzwei.

Nicht thät ich es um große Summen;
Doch weil es unsrer Liebe frommet,
Geschieht es ohne Widerstreben.
Eins mit der Lieb' ist Poesie;
Und wenn ich um der Liebe willen
Mich an der Poesie verschulde,
Ist's ein Verdienst ja auch um sie.
(S. 161-162)


XXIV.
"Auf dieser Erde Thal
So viel unendliche Räume,
Und nicht ein einzig Oertchen,
Und nicht ein armes Winkelchen,
Wo uns gegönnt, zu küssen
Vor bösem Aug' und bösem Munde sicher!" -
Ich klagt' es und entschlief.
Da ward ich aufgehoben von der Erde;
Empor zum Aether trug
Mich eine linde Geisterhand; du aber,
Du harretest bereits
Auf hoher Wolke meiner, leicht und lose
Gehüllet in ein weißes Nachtgewand,
Heißblickenden Auges, flammenden Angesichtes,
Gelösten Haares, halb der Hülle bar
Die volle, stürmisch wogende Busenwonne,
Unendlich reizend und verführerisch.
"Komm," riefst du, mir die Arm' entgegenstreckend,
"Komm, säume nicht und falle mir an's Herz!
Kein Sphäherauge dringt
Bis hier herauf; es gelten hier im Himmel
Der Erde harte, herbe,
Herzlose Sitten und Gesetze nicht
Und gütige Götter segnen unser Glück."
Ich schlang den Arm um deine zarte Mitte,
Ich preßte Mund auf Mund,
Ich küßte taumelnd deine schöne Brust.
Hin durch's Gewölke wallete der Mond,
Beleuchtete die liebevolle Scene
Und grüßte lächelnd im Vorüberzieh'n.
(S. 163-165)


XXV.
Ach nur ein Traum beseliget so rein;
Das Leben mischt die bittersten Gefühle
Selbst in gegönnte Seligkeiten ein.
So voll, so ganz, so frei von aller Pein,
Wie dorten auf dem hohen Wolkenpfühle,
Wirst du wohl nimmermehr mein eigen sein.
(S. 166)
_____



Malwina
nach John Taylor

. . . . . . . Miseri, quibus
Intentata nites!
Horaz

Ach, daß so zarte Hulden,
Ach, daß so grimme Schulden
In
einem Flore steh'n!
Weh mir! Ich sollte hassen,
Und kann es doch nicht lassen,
Vor Liebe zu vergeh'n.

I.
Es rührte dich ein Lied so sehr
Von allereinsamst bitterem Sterben -
So über Alles herb und schwer
Ist wohl zuletzt auch mein Verderben.

Nur der Gedanke, daß du mein,
Ob auch getrennt, wird mich erquicken;
Denn, ach! du wirst nicht bei mir sein,
Wenn mich die letzten Weh'n umstricken.

O bleibe lieb, o bleibe mild;
O wahre mich vor Harm und Hasse,
Daß nicht zu finster und zu wild
Die Seele mir, wenn ich erblasse!
(S. 169-170)


II.
Entgegnung
Nein, nein! Du stirbst so einsam nicht;
Es bricht mein Auge mit dem deinen.
Und welche Macht und welche Pflicht
Verböte dann, mich dir zu einen?

Es soll, die ja so ganz nur dein,
Die dich im Leben nicht gelassen,
Dir meine Seele nahe sein,
Wenn dich die letzten Weh'n erfassen.

Zwei Wesen, die im Erdenstreit
So heilig und so heiß geliebet,
Sie scheiden sich zu keiner Zeit,
Ob auch die ird'sche Kraft zerstiebet.

Sie flüchten in das reine Licht
Zusammen in derselben Stunde.
Nein, nein! Du stirbst so einsam nicht;
Wir bleiben Eins in ew'gem Bunde.
(S. 171-172)


III.
Mir träumte, du würdest kalt und streng,
Und immer kälter und strenger;
Dein Herz, es habe sich abgekehrt
Und dulde mich nicht länger.

Ein Anderer umstricke dich,
Der schaue so jugendhelle;
Der dünke dir viel lieblicher,
Als ich, der bleiche Geselle.

Und also wank' ich fort von dir,
Von gräßlichem Harme zerrissen;
Da wacht' ich auf und sahe mich
Umringt von Finsternissen.

"Ein Traum", so dacht' ich, "ein böser Traum,
Womit mich ein Dämon neckte."
Doch laut und heftig pochte mir
Das Herze, das erschreckte.

Ein Bangen nie gekannter Art
Fühlt' ich in mir erwachen;
Und wieder ruhig werden mich
Nur deine Grüße machen.

Nur in dein Auge der Wonneblick
Und jenes selige Kosen,
Dem ewig alle Stürme ruh'n,
Die mir im Innern tosen.
(S. 173-175)


IV.
Entgegnung
Die Seele hab' ich dir verschrieben;
Sie bleibt mit allen ihren Trieben
Bis zu dem letzten Hauche dein.
Sei' auch, daß dein Gefühl verstiebe,
Daß du mich schleuderst in die Pein -
Du wirst auch dann noch, du allein,
Ihr Licht, ihr Leben, ihre Liebe,
Ihr betender Gedanke sein.
(S. 176)


V.
Dein Herz ist treulos, wie der Wind,
Und flattert hin und her;
Mit schwarzem Segel treibt mein Schiff
Hin über das wilde Meer.
Heine
Geh' falsches Weib! Hier blühen
Dir keine Rosen des Genusses mehr;
Gekommen ist die bittre Zeit des Leides
Und der Entbehrung, und die grauset dich
Zu düster an. In dem Momente winket
Dir auch sogleich - wie schön! - ein andres Heil,
Blüht dir ein Liebesfrühling auf.
Auf's Neue betet dich ein Thor, wie ich,
Als sein Idol im Staube glühend an,
Und dieser prangt in Jugendkraft und Schöne,
Und Alles um ihn her ist hell und licht.
Geh, falsches Weib; laß meinem Elend mich
Und sonne dich in dieser neuen Sonne
Des Glückes und der Lust und taumele
Dem hohlen Ende deiner Tage zu!
Du bist die erste nicht, die mich verrieth,
Nur die geliebteste,
Die nur, die mir die tiefste Wunde bohrte.
(S. 177-178)


VI.
Dicebas quondam, solum te nosse Catullum,
Lesbia, nec prae me velle tenere Jovem.
Nunc te cognovi . . . . . . . . .
Catull
"Und gäb' es etwas Höheres, als dich,
Und stieg ein Engel und ein Gott herab,
Er reizte nicht; ich glühte dir allein."
So flötete vor Kurzem erst dein Mund;
So lautet' eine jener Schmeichelei'n
Maßloser Art, womit du mich verwöhntest.
Es stieg kein Engel und kein Gott herab,
Und du - du glühst mir doch nicht mehr allein.
(S. 179)


VII.
O jenen Jüngling hass' ich nicht. Was soll ich
Ihm zürnen, daß er fühlt, wie ich? Ob er
Mir auch mein Glück geraubt, verächtlich ist mir
Die Furie gemeiner Eifersucht.
Doch dich zu hassen, hätt' ich Grund genug,
Wenn Haß die Seele mir beflecken könnte.
Denn wenn du einen tausendfachen Mord
An mir begangen hättest, milder wäre,
Barmherziger gewesen deine That.
(S. 180)


VIII.
Die Tugend der Welt, die ist mir nichts,
Ich kann und mag mit der nicht prangen.
In der Liebe bin ich ein Heiliger;
Mein Herz, mein Handeln in ihr; es ist
Wie das äthergeborene Licht so rein -
An einem Heiligen hast du dich vergangen.
(S. 181)


IX.
"Hier dieser und dort jener - welche Pein!"
So klagest du, so sollst du nicht mehr klagen;
Denn Einer sagt dir Lebewohl.
(S. 182)


X.
Wenn Liebe kränkelt und zu schwinden anfängt,
So thut sie's immer auf erzwungne Weise;
Denn schlichte Treue nur kennt keine Ränke.
Shakespeare
Nein, nicht so schlimm ist dein Gemüth, ich weiß es,
Daß du für mich, den Aermsten aller Menschen,
Nicht eine Thräne des Erbarmens hättest;
Die fließet dir wahrhaftig ohne Falsch.
Ein Maskenspiel, ein heuchlerisches, ist
Das Uebrige. Du spiegelst mir aus Scham
Ob deines Abfalls, deines Flattersinns,
Noch immer jene heiligen Gefühle
Vergangener, glückseliger Tage vor
Und jenen oft beschwornen Treuebund.
Doch allzu schwer und allzu peinlich ist es,
Mit kalter und verrätherischer Seele
Zu heucheln edler Liebe reine Gluth.
Du seufzest heimlich unter diesem Zwang;
Du sehnest dich, von ihm befreit zu sein,
Und ich will geh'n und dich von ihm befrei'n.
(S. 183-184)


XI.
O ahnende Seele! Mein Traum!
Der reinste, schönste Friede
Erfüllte mich; nie schienen unsre Geister,
Nie unsre Herzen einiger zu sein,
Und ruhig hatte sich mein Aug' geschlossen.
Da entsetzte mich ein fürchterlich Gesicht.
Verstoßen und mißhandelt und verhöhnt
Ward ich von dir. - "Unmöglich!
Die Hölle treibt mit meiner Phantasie
Ihr Gaukelspiel", rief ich erwacht und bebend
An allen Gliedern noch von jenem Schreck.
Nun aber ist's erfüllt;
Und nur der laute, lachende Hohn gebricht,
Womit du mich entließest,
Aus deinen Zimmern, aus deinem Hause stießest.
(S. 185-186)


XII.
Der arme Hund, der an der Kette seufzt,
Tyrannisch angeschmiedet Tag und Nacht,
Mit dem ich aus Erbarmen, wandel' ich
An ihm vorüber, einige Worte kose,
Für den ich einige Leckerbissen spare,
Vergöttert dieses Herz und diese Hände;
Er achtete sein Leben nicht für mich.
Nichts weiß der Mensch, der schreckliche, von Dank,
Und nie zu grausam ist ihm eine That.
Was gab ich dir! Unendlich ist die Spende,
Und namenlos ist deiner Brust Verrath.
(S. 187)


XIII.
Ein Herz - Gott, wie unendlich viel ist das!
Ein treues, edles, reines Menschenherz!
Ein solches hatt' ich in der Brust für dich;
In jedem Sturm, in jeder Qual und Noth,
Ob auch Geschick die schwersten Opfer heischte,
Hat sich's ohn' Ende dir bewährt, und das
Wirfst du so schmählich in den Staub anitzt!
(S. 188)


XIV.
Du liebst mich noch? - O ja,
So wie dein bös Gewissen;
Und es ist keine Lust,
Sich so geliebt zu wissen.
(S. 189)


XV.
Dein Wesen und Gemüth
Ein schöner Strauß von Hulden und von Wonnen,
In welchem eine giftige Natter steckt.
Weh mir! Sie hat mich stechend
Aus meinem schönsten Traum geweckt.
(S. 190)


XVI.
Vor meinem Auge, dem entsetzten, steht,
Mich zu erfassen droht
Mit eisernem Arm ein schrecklicher Untergang.
Nicht ist's der Tod, vor welchem mir so bang;
Der bändiget allmächtig alle Noth;
O bräche der die Ketten,
Die mich an's liebeleere Leben schmieden!
O käme der, in Frieden
Mich in die tiefe, dunkle Gruft zu betten!
Doch grauenhaft mit hohlem
Gespensteraug' starrt mich der Wahnsinn an -
Wohin vor dem soll ich die Seele retten?
(S. 191)


XVII.
Es ist außerordentlich schwer, die Seele von
der Sehnsucht nach unaussprechlichem Glücke
loszureißen.
Heloise an Abälard
Längst tagt es im Verstande; längst hat der
Sein richtend Urtheil über dich gefällt;
Nur eine thöricht-dumpfe Schwäche sind
All diese Gluthen, diese Schmerzen ihm,
Und leicht gesteuert wäre meiner Noth,
Wenn er der Herrscher wär' im Lebenshause.
Allein das Herz, das eigensinnige Herz,
Weiß von Vernunft, von Ruh' und Frieden nichts.
Das weiß allein, das spricht nur immer, immer,
Von einer Anmuth, einer Lieblichkeit,
Für welche nirgend der Ersatz zu finden,
Von einem Minnetraum und Minnerausch,
Den aufzugeben, bittrer als der Tod.
(S. 192-193)


XVIII.
O nur nichts Ueberschwängliches mehr!
Was solcher Art mir ehedem
So rührend und so schmeichelhaft -
Kalt lässet es und unbewegt
Die Seele mir; mit Grimm sogar
Und mit Verachtung füllt es sie.
(S. 194)


XIX.
"O Sterbestunde, wie sehn' ich mich nach dir!
Denn dann wird, hoff' ich, er,
Den ich so tief, den ich so heiß geliebt,
Und der mich itzt gleichwohl so schwer verkennt,
Die letzte Bitte mir erfüllen, wird
Noch einmal kommen, wird die Hand mir reichen,
Wird jenen unheilvollen Wahn bereuen;
Und unter seinen Liebestönen werd' ich -
Wie süß, wie selig! - aus dem Leben scheiden."
Sehr schön. In einigen Tagen aber ist
Ein Mummenschanz, und da beschäftigt dich
Zu gleicher Zeit das prächtige Costume,
In dem du glänzen wirst, in welchem du
Bezaubern deinen neuen Buhlen willst.
(S. 195-196)


XX.
Wann ist die Lieb' am reinsten? -
Wenn sie sich selbst vergißt.
Halm
Ich hatte mich gefaßt;
Die Stürme meiner wildempörten Brust,
Ich hatte sie gebändigt, befreit
Das Herz von allem selbstischen Begehr;
Ich fühlte mich, wie nie zuvor im Leben,
So rein gestimmt, so edel und so schön.
Und so versucht' ich es und sprach zu dir
In allerlieblichst-liebevollem Sinn.
Ich sagte dir: "Nur Eines ist mein Wunsch,
Mein Fleh'n zu dir: Vertraue mir dein Herz!
Ist es von einer neuen Gluth entzündet,
Ich werde dir nicht zürnen,
Nicht mit Verachtung meine Schritte wenden.
Ich liebe dich mit einem großen Herzen,
Dem Herzen Gottes gleich, das in der Milde,
Das im Vergeben keine Grenze kennt;
Und was du deinem Gott
Bekennen darfst in kindlichem Gebet,
Du darfst es Alles auch
Mir zu entdecken wagen. Zeige mir
Dein Inneres, dein ganzes, ohne Scheu!
Ich werde dir als Freund,
Dir als Vertrauter immer nahe bleiben;
Ich werde deine neue Liebe schirmen,
Die stillsten ihr, die treusten Dienste thun;
Ich werde sorgen, daß sie glücklich sei.
Auch das bedünkt mich eine schöne Rolle,
Und in der Großmuth wie gefall' ich mir!
Nur nicht getäuscht zu sein durch Heuchelei
Wünsch' ich von dir." Doch das gefiel dir nicht.
Den Heiligenschein, den um die Stirne dir
Gebreiteten, den willst du nicht verlieren;
Mich zu betrügen nur ist dein Begehr;
Betrügen aber sollst du mich nicht mehr.
(S. 197-199)


XXI.
Die Menschen glauben an das Reine nicht;
Als eine heuchlerische Phrase nur,
Als eine Maske nur erscheint es ihnen,
Die selbstische, gemeine Zwecke birgt.
Was mir so lauter aus der Seele quoll,
Nichts weiter ist es dir, als eine List,
Die dein Geheimniß dir entlocken sollte,
Und um so tiefer hüllst du es in Nacht.
Ein leiser Hohn zugleich - Gott, wie verletzend
Für mein Gemüth! - prägt sich in Miene dir
Und Worten aus. "Ich glaubte," spöttelst du,
"Vor meinem Beichtiger zu stehn." O daß du
Zu deinem Beichtiger mich angenommen!
Es würde deiner Seele trefflicher,
Als eines Pfaffen hohle Formel frommen.
Nicht ganz an ächten Priestern fehlt's der Welt,
Doch tragen sie kein priesterlich Gewand;
Dagegen Jene, die im priesterlichen
Ornate prangen, . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . 
(S. 200-201)


XXII.
Du hattest deine liebe Noth mit mir;
Zu aufgedeckt war Seele mir und Sinn.
Dein neuer Buhle paßt zu dir; er ist
Ein Heuchler, wie du eine Heuchlerin.
(S. 202)


XXIII.
Ach Alles, Alles ist mir jetzt bewußt;
Mein Ohr umgellt der Hölle lauter Hohn;
Und welch ein Jammer wühlt in meiner Brust,
Dafür hat keine Sprache Wort und Ton.
Und doch - o du mein schauerndes Verderben!
Ich habe keinen ächten Zorn für dich;
Dir sinken an den Busen mildiglich
Möcht' ich noch einmal, küssen noch einmal dich,
Mich lösen in einen Thränenstrom und sterben.
(S. 203)


XXIV.
O schönes Bild!
Gott formte dich
So süß, so mild,
So minniglich;
Doch in den Abgrund reißt der Dämon dich.
(S. 204)


XXV.
Die Phantasie der Maler und der Bildner,
Die in so idealen Träumen schwelgt,
Hat sie denn nichts, was diesem Weibe gleich?
Ich such' und suche, wo und wie ich kann,
Mich mühend heißbegierig ohne Rast,
Dies Bild in meiner Seele zu verdunkeln,
Das mich mit ewiger Erinnerung,
Mit ewiger Sehnsucht, ewigem Grame füllt,
Und finde nichts. Wohl ist da Vieles schön,
Und Vieles hold und seltner Anmuth voll,
Und würde, wär' ich frei, das Auge fesseln,
Das Herz entflammen und die Sinne reizen;
Kalt aber lässet es die zauberhaft
Auf einen Punkt gebannte, thöricht-fromm
Nur eine Pracht verehrende Leidenschaft.
(S. 205-206)


XXVI.
Ach, wärst du treu geblieben, treu und rein,
Bis zu den Sternen hätt' ich feiernd dich
Emporgetragen, ein für alle Zeiten,
Gleich jener Laura, strahlenhelles Bild;
Der Liebe flammende Begeisterung,
Die Dankbarkeit, die unermeßliche,
Die mich erfüllte, hätte mir dazu
Die Kraft verlieh'n. Nun wallst du deine Wege,
Nun schwindest du mit all den wunderbaren
Begabungen, die dich zur herrlichsten
Der Frauen machten, wenn du edler dächtest,
Ohn' eines ewigen Liedes Feierklang
Dahin, wie ein gemeines Weib.
(S. 207-208)


XXVII.
Wie groß ist die Ungerechtigkeit, wenn in dem
Maße, in welchem sich die Opfer vermehren,
die Liebe erlischt!
Heloise an Abälard
Wenn je ein Weib zur Treue sich verpflichtet
Aus innerlichstem Grunde fühlen mußte,
Du warst es, aller ungetreuen Seelen
Treuloseste! Jedwedes Opfer bringend
Im tiefsten Elend lebt' ich deinethalb,
In unheilbarem Zwiste mit dem Nächsten,
Was mich umgiebt; die allerreinste Treue
War dein Gebot an mich und ich erfüllt' es.

"Du treuer Mann! so sagtest du gerührt,
Du selbst zu mir, und welch' ein Uebermaß
Der allerzärtlichsten Betheuerungen
Entzückte mich aus deinem Rosenmunde,
Der so bethörend-zarter Liebeshauche,
Der so erhabner, edler Redeformen,
So himmlischer Accente Meister ist!
Mit allen Schmeichelkünsten weiblicher
Natur und weiblichen Genies - was stehen
Für Mittel jener zu Gebot, wie groß
Ist dies zu unserem Verderben! - ward ich
Von dir umsponnen, ward
So sicher und gewiß gemacht von dir,
Daß mir ein plötzlicher
Weltuntergang weit minder überraschend
Erschienen wär', als ein Verrath von dir.
Mit einem Male stiegst du leicht und lustig
Hinweg von mir und suchst
Dir einen neuen Buhlen. - Schrecklicher
Ward nie ein Mann von einem Weib verhöhnt.
(S. 209-211)


XXVIII.
Daß ich hinweg mich stehle,
Wild aufgestört von meiner Schmerzen Wuth,
Aus froher Menschen traulichem Verein;
Bei Nacht und Nebel fort in heißer Hast
Nach deinem Hause stürme, da empor
Zu deiner Fenster hellem Scheine starre,
Die bittersten von allen Thränen weine
Und klage, wie ein armer, irrer Geist,
Der aus dem Leben schied, dem allzu feindlich
Bedrängenden, und der
Nun auch im Tode keine Ruhe findet -

Verdienst du das? Wenn dich ein Ahnen nur
Von meinem Harme rührte, Furien
Des Schuldbewußtseins, unerträgliche,
Ergreifen und vernichten würden dich.
Der Jammer aber einer treuen Seele,
Wie wär' er einer so befleckten klar!
(S. 212-213)


XXIX.
Du hast so viel geliebt in deinem Leben,
Und hast doch nie geliebt. Dein Lieben war
Ein Buhlen nur, ein selbstischer Genuß,
Ein eitles Haschen nach Vergötterungen
Und ein Betrug des edleren Geliebten,
Der sich dir hingegeben treu und rein,
Nichts von der Tücke deines Wesens ahnend.
(S. 214)


XXX.
Es giebt ein reineres, edleres, moralischeres Gesetz,
als dasjenige, welches die Welt kennt.
George Sand
Geopfert hat sie, jene Bessere,
Die ich geliebt, mich ihrer Pflicht, mich ihrem
Gewissen, ihrem Frieden, ihrer Ruh'.
So trieb sie mich, der ich nach Liebe lechzte,
In dieses Weibes buhlerisches Netz,
Das mich so furchtbar nun zu Grunde richtet,
Mich seinen herzlos wetterwend'schen Launen,
Mich seinen unersättlichen Begierden
Zum Opfer bringt. So ist die Eine grausam
Aus Tugend und aus Menschenfurcht, die Andre
Aus Unbestand und Lasterhaftigkeit.
Was Jene that, die Welt nach ihrer Weise
Wird sagen, es sei gut und recht gethan;
Ich kann's nicht loben. Bittre Früchte trug's
Für mich und sie. Was gut ist in der That,
Ist weder Dies noch Jenes. Etwas ist es,
Was selten nur erkannt wird und gethan,
Wofür es an Begriff und Namen fehlt.
(S. 215-216)


XXXI.
Des Weibes schönster, edelster Beruf
Ist, einem Manne, dessen Herz und Geist
Erhaben über den gemeinen Hauf,
Der reines Sinnes in die Zeiten strebt,
Das Wahre nur, das Gute will und wirkt,
Und der darum mit einer Welt von Lüge
Und Schlechtigkeit in schlimmbelohntem Kampfe,
Das einsam-herbe Dasein zu versüßen,
Balsamische Linderung mit zarter Hand
Ihm träufend in die Wunde seiner Brust.
Die Perle dieses himmlischen Berufes,
Sie war von einem ehrenden Geschick
In deine Hand gelegt, und du, du hast
Sie weggeschleudert eines heuchlerischen,
Selbstsüchtigen, wollüstigen Knaben wegen.
(S. 217-218)


XXXII.
Schöpft mir die kühle Welle,
Die aus dem Borne quillt!
Denn schlürf' ich heißre Labe,
So wird die kranke Seele mir
Zu finster und zu wild.

Es steigt sodann entfesselt
Ein ganzer Höllenchor
Von fürchterlichen Flüchen,
Die aller edlen Milde bar,
Aus meiner Brust empor.

Und ohne Schonen schleudr' ich
Die ganze grause Fracht
Auf sie, die mir die Seele
Mit Gift getränkt, zum Fluche mir
Das ganze Sein gemacht.
(S. 219-220)


XXXIII.
O welche fürchterliche
Entzweiung in der Seele:
Bezaubert sein, gefesselt
Von so viel Reiz, so viel
Holdseligkeit, hinschmelzen
In Liebe, sterben fast
Vor markverzehrend-heißem
Verlangen, und doch - o Gott! -
Zugleich verachten müssen!
Es wird das Herz zerfleischt,
Es wird das Hirn zerrissen,
Das diesen größten, herbsten
Von allen Widersprüchen
Fühlen und denken muß.
(S. 221-222)


XXXIV.
Du wähnst, ich werde "lästern";
Ich werde deine Sünden
Der ganzen Welt verkünden,
Mich jenen Anderen,
Die du gekränkt, verbünden -
O du kannst ruhig sein.
Stumm, wie das Grab, will ich
All meinen Jammer tragen,
Ihn keiner Seele klagen,
Nur einsam und allein
Bei Nacht und Sternenschein
Entwallen feldhinein
Und es den Lüften hier,
Den Bäumen und den Bächen
Und den Gestirnen sagen,
Was du verübt an mir -
Dies Einzige soll meine Rache sein.
(S. 223-224)


XXXV.
Zurücksetzung da, wo man sein ganzes Dasein zur
Verfügung hingegeben, wo man Alles geopfert
hat, ist der Tod.
Gutzkow
Entschlummert unter tausend Thränen war ich;
Da träumte mir ein jammervoller Traum.
Mir war so weh, so weh. Es drängte mich
Aus meiner Zelle fort, der einsamen,
Es drängte mich zu ihr. Ich wollte sie
Noch einmal seh'n. Ich ging und suchte sie
In ihrem Haus, in ihren Zimmern auf.
Da war sie nicht. Ich fragte, wo sie sei.
"Sie ist hinausgefahren in den Park;
Da ist Gesellschaft heute", war die Antwort.
"Und ihr Befinden, ihre Stimmung?" - "Gut.
Sehr gut; wir sah'n sie nie so froh gelaunt;
Es glänzte, da sie in den Wagen stieg,
Vor Freude hell ihr rosig Angesicht." -
Ich stürzte fort; ich eilte nach dem Orte;
"Dort ist auch er; das ihrer Freude Grund."
Die Stadt mit ihrem alten Thurm und Thor
Lag hinter mir; die Sonne flammte prächtig
Im Untergeh'n; ich sah in diese Flammen,
In diese Pracht durch einen Thränenflor.
Mit einem Male stockte mir der Fuß;
Ich wußte nichts von Weg und Stege mehr.
Am Raine stand ein langer, finstrer Mann,
Fast anzuseh'n, wie ein Gerippe; den
Befragt' ich um den Pfad. "Nur da hinein!"
Antwortet' er. Es klaffte, wie ich schaute,
Der Erde Grund vor meinem Aug'. Ich folgte
Der Graungestalt, die mich hinunterführte.
Wir stiegen eine lange, dunkle Treppe
Tief, tief hinab. Am Ende sah ich mich
In einer Todtengruft. Ich schrack zusammen
Und war erwacht. - So malte mir der Traum,
Wie es mit ihr beschaffen und mit mir.
Sie lebt, sie liebt, sie lacht;
Ich steige langsam in mein Grab hinab.
(S. 225-227)


XXXVI.
Gebreitet über Garten und Gefild
Ist tiefe Ruh' und mondliche Dämmerung;
Es schweigt der Hunde widerlich Gebell;
Von ferne plätschert die Fontaine nur. -
Doch, ach, es lächelt dieser süße Friede
Mich nur von außen an; im Innern ist
Kein Friede. - Dorten die Kastanienbäume,
Und unter ihnen eine Gartenbank;
Zwei Liebende daselbst, ein zärtlich Herzen,
Ein Flammenkuß, ein nicht mehr abgewehrtes
Eindringen in das selige Geheimniß
Der unberührten, jungen Mädchenbrust -
Wohl euch und wehe! Denn wie bald vielleicht
Zerreißet er, der wonnevolle Bund,
Entflieht das Eine, ringt das Andere
Verachtet und verschmäht
In Gram und Jammer seine Hände wund!
(S. 228-229)


XXXVII.
Beständigkeit - giebt's auf Erde die?
Die Treue, fürcht' ich, ist
Nur eine Fabel. Oder ist doch irgend
Ein treues Herz, ein Wesen ohne Trug,
So stehet es vereinsamt da und stirbt,
Verrathen und verhöhnt,
In Jammer hin und in Verzweifelung.
Zwei schöne Seelen, die zusammen leben,
Zusammen sterben ewig ungetrennt,
Gehören in das Reich der Phantasie;
Die Welt, die wirkliche, befaßt sie nicht.
(S. 230)


XXXVIII.
O gäb' es irgend eine Religion,
Die dieses heiligen Namens würdig wäre;
Gäb's eine Kirche, die von Heuchelei,
Von Lüge, Herrschsucht, böser Tücke frei!
Ich würde dieser Kirche Priester sein,
Mich, reif durch Unglück, ihrem Dienste weih'n,
Die Schuld, das Elend trösten, der Erfahrne,
Geduld zu üben nimmer müde werden
Selbst am Verworfensten, und so vielleicht
Die eigne Brust von ihrer Qual befrei'n.
(S. 231)


XXXIX.
Schnell fertig ist die Welt mit ihrem Spruch,
Und der Gekränkte, der Erzürnte pflegt
Zu schelten und zu lästern ohne Maß,
Wo er geliebt zuvor und angebetet.
Nicht so gemeiner Sitte will ich fröhnen,
Ich will gelinder, will gerechter sein.
Denn könnte sie so große Zauber üben,
So lieblich und so liebewerth erscheinen,
So tief, so innig unsre Seele rühren,
Wenn nicht gleichwohl in ihr ein Engel wäre
Und nicht lebendig-wahr
Sich uns zu schauen und zu fühlen gäbe? -
Doch, ach, so eigen ist's mit menschlicher,
Mit weiblicher Natur bestellt: es mischt
Sich mit dem Himmlischen das Irdische,
Mit ihm sogar sich das Dämonische.
Ja, da gerade, wo
Gott einen Engel schaffen will, da kämpft
Von unten auf der Dämon störend an,
Schwarz seine Schatten werfend
In's gottgeborne, reine Geisterlicht.
(S. 232-233)


XL.
Mein Herz ist eine Phiole,
Von deiner Liebe Rosenöl getränkt.
Ob sie zerschlagen werde -
Zerschlagen noch verhaucht
Sie ihres Aroms unsterblichen Opferduft.
(S. 234)


XLI.
Es war in einer fürchterlichen Nacht;
Die Winde tobten heulend um mein Haus;
Nacht war es in mir selber, grause Nacht;
Es stöhnte Jammer und Verzweifelung
Aus meiner Brust, kein Schlummer nahte mir
Und goß mir einen Tropfen
Balsamischer Vergessenheit in's Herz.
Da trieb es aus Gemach und Hause mich
In's finstere Gefild,
In der Gestürme wilde Wuth hinaus.
Wie da die Lüfte mir im Haare wühlten,
Der Regen schauernd auf mich niederrann,
Da ward es stiller, friedlicher in mir.
Denn nicht die milden Reize,
Die reinen Hulden der Natur, die nichts,
Als tiefer Ruhe schönes, hehres Bild,
Beschwichtigen mein krankes, grauenvoll
Zerrüttetes Gemüthe, welches sie
Nur kalt und herzlos zu verhöhnen scheine;
Was diesen Segen in ihm wirkt, das sind
Nur ihre wilden, grimmen Sturmgewalten.
Es löste sich in einen Thränenstrom
Mein schwarzer Harm; es schmolz
In weiche Rührung meine Seele hin;
Ich betete: "O ewige Liebe, dein,
Dein will ich einzig, will ich ewig sein.
Kein aus der Hölle stammendes Gefühl
Empöre dieses sanfte Herz und treibe
Zu Thaten an, die seiner unwerth sind!
Ich will nicht hassen, nein, ich will nicht fluchen;
Ich will nicht kränken und nicht Rache nehmen;
Ich will sie, die mich in die Grube stößt,
Nicht mehr mit menschlicher, begehrlicher,
Gebrechlicher, mit einer höhern aber,
Ich will sie lieben, Gott, mit deiner Liebe,
Der ewig unerschüttert-himmlischen;
Will ohne Zorn und Groll, will nur vergebend,
Nur segnend ihrer denken immerdar,
Bis mir das Auge bricht, das weinende."
(S. 235-237)


XLII.
Ich sah sie einmal wieder;
Ihr neuer Buhle stand bei ihr.
Ich saß bei einer Andern.
Und koste traulich hier.

Wir waren versorgt, wir Beide;
Doch nicht an Frieden und Freude reich;
Mir saß der Tod im Herzen;
Und sie war ernst und bleich.

Sie erhob sich und ging zu tanzen,
Wild, wild zu tanzen im Nebensaal,
Auf daß sie betäub' im Innern
Die grimmige, tiefe Qual.

Ich blieb und lacht' und schwatzte,
Und stürzte Glas auf Glas hinein,
Auf daß ich erstick' im Herzen
Die ungeheure Pein.
(S. 238-239)


XLIII.
Nun ist's ein Jahr - da, um dieselbe Zeit,
Die festlich aller Welt und hocherfreulich
Und freundlicher, erwünschter Gaben voll,
Begann sie mich zu morden. Damals war
Ich noch ein Mann, gehörte noch dem Lichte,
Dem Leben an und konnte Freude fühlen.
Gebrochen ist nun jede Kraft in mir;
Erloschen ist in ewiger Thräne Bad
Der helle Strahl, der meinem Aug' entblitzte;
Von Gram gebeugt ist meines Hauptes Stolz -
Zum Greise hat mich dieses Jahr gemacht.
(S. 240)


XLIV.
Der Dichter übersetzt aus dem Catull
Wenn ihr erbarmungsreich, ihr Himmlischen,
Wenn ihr dem Unglück irgend und der Noth
Selbst in der äußersten Gefahr des Todes
Mit euerer Hülfe rettend nahe wart,
So schaut die Tiefe meines Elends an!
Und wenn mein Herz und wenn mein Wandel rein
Von böser Schuld, und wenn ich frommes Sinnes
Stets euer ewiges Gesetz geehrt,
Nie euch zu Zeugen, um Betrug zu üben,
Mit frechem Mund betheuernd angerufen,
Den Eid, den ich geschworen, nie verletzt -
So nehmet es, o nehmet es, ich flehe,
Von mir hinweg, dies fürchterliche Weh,
Das mir verzehrend durch die Adern schleicht,
Mir, jede süße Lust des Seins ertödtend,
In's Mark, in's innerste, des Lebens dringt,
Und mich den Schatten zu gesellen droht!
Nicht das begehr' ich fernerhin, daß sie
Mich liebe, die Verrätherin; nicht das,
Daß sie, gewohntem Unbestande fern,
In keuscher und getreuer Flamme brenne -
Das kann sie nicht. Mich selber nur zu retten,
Mich selbst von nicht zu tragend ewiger Qual
Die Seele zu befrei'n, ist mein Verlangen.
Nur dazu ruf' ich eure Götterkraft
Um Beistand an. Erfüllet zum Beweise,
Daß euch ein edler, reiner Sinn gefalle,
Dies Eine nur, ihr heiligen Mächte, mir!
(S. 241-243)
_____


Aus: Frauenbilder und Huldigungen
Von G. Fr. Daumer
Zweites Bändchen
Leipzig Verlag von Otto Wigand 1853


 

siehe auch: Teil 1 Teil 3 und Teil 4



 

 


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